Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren und nach Greiz steuerte, traf ich mit einem alten "Kunden" zusammen, der mich In der Fremdenstube der Penne waren unter der Decke über den verschiednen Um zehn Uhr Abends wurde wie immer in den Pennen das Zeichen zum Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren und nach Greiz steuerte, traf ich mit einem alten „Kunden" zusammen, der mich In der Fremdenstube der Penne waren unter der Decke über den verschiednen Um zehn Uhr Abends wurde wie immer in den Pennen das Zeichen zum <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0552" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296931"/> <fw type="header" place="top"> Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren</fw><lb/> <p xml:id="ID_2524" prev="#ID_2523"> und nach Greiz steuerte, traf ich mit einem alten „Kunden" zusammen, der mich<lb/> ansprach und sofort sah, daß ich „von Muttern" kam. Er machte mich „kochum,"<lb/> das heißt, er weihte mich in die Geheimnisse des Wanderlebens ein. Als wir eine<lb/> Weile miteinander gewandert waren, zog mein Begleiter eine blecherne Wichsdose<lb/> hervor, öffnete sie mit geheimnisvoller Miene und bot mir einen „Priem" an, den<lb/> ich auf sein Zureden beherzt in den Mund steckte. Er versicherte mir, daß ihn<lb/> diese Gabe der Natur vor Krankheit schütze, und ich habe in der Folge den Genuß<lb/> des Kautabaks schätzen gelernt und bin ihm bis zum heutigen Tage treu geblieben.<lb/> Als wir das nächste „Küff" (Dorf) erreicht hatten, schlug der alte Kunde vor, hier<lb/> zu „talfen" (fechten), worauf wir das Dorf teilten. Wir trafen uns an einer ver¬<lb/> abredeten Stelle wieder und zeigten uns gegenseitig, was wir getalft hatten. Jeder<lb/> von uns war nun im Besitze von zwanzig „Poschern" (Pfennigen) und einigen<lb/> Stückchen „Hanf" oder „Legium" (Brot). So kamen wir nach Greiz und gingen<lb/> dort auf die „Zentralpenne" (Herberge). Auf der Penne waren etwa zwanzig<lb/> Kunden versammelt, die sich zum Teil mit Kartenspielen (Sechsundsechzig), zum<lb/> Teil mit dem Singen von Liedern — namentlich: An der Saale kühlem Strande —<lb/> beschäftigten. Wir schlugen nach altem Brauch mit unserm „Steuz" (Wanderstab)<lb/> zur Begrüßung auf den Tisch, worauf uns der Penneboos (Herbergsvater) will¬<lb/> kommen hieß und uns fragte: Was habt ihr für ein „Metier"? Ich antwortete<lb/> „Lehmer" (Bäcker), mein Begleiter sagte „Pflanzer" (Schuster). Ich bemerke hier<lb/> gleich, daß der Penneboos alle Kunden mit „du" anredet und auch von ihnen ge¬<lb/> duzt wird, während auf den christlichen Herbergen zur Heimat die Anrede mit<lb/> „Sie" üblich ist. In der Kundensprache hat jedes Metier oder jede „Religion"<lb/> ihre besondre Bezeichnung: der Schneider heißt „seichter," der Hutmacher „Kopf¬<lb/> schuster," der Schornsteinfeger und der Buchdrucker „Schwarzkünstler," der Wind¬<lb/> müller „Roller," der Wassermüller „Klapperschütze," der Schmied „Flammer," der<lb/> Schlosser „Katzenkopf," der Klempner „Sonnenschmied," der Seiler „Galgenposa¬<lb/> mentierer," der Fleischer „Katzkow," der Barbier „Doktor," der Böttcher „Rum¬<lb/> treiber," der Buchbinder „Pappenheimer" oder „Apostelklopfer," der Nagelschmied<lb/> „Zweckenkonditor," der Tischler „Hobeloffizier," der Maurer „Dreckschwalbe," der<lb/> Zigarrenmacher „Piependreher" oder „Püppchenwickler." Die zusammengehörenden<lb/> Gewerkschaften wie Bäcker und Müller, Schuster und Schneider, Maurer und<lb/> Zimmermann, Schmied und Schlosser nennen sich „Schwager."</p><lb/> <p xml:id="ID_2525"> In der Fremdenstube der Penne waren unter der Decke über den verschiednen<lb/> Tischen die Symbole der Gewerke angebracht. So sah ich über einem Tische eine<lb/> große Brezel, über einem andern ein Wagenrad und einen Kranz von Hufeisen,<lb/> über einem dritten einen Stiefel und ein Bügeleisen. Dadurch waren die Tische<lb/> als die Stammtische der Bäcker, der Schmiede und Stellmacher und der Schuster<lb/> und Schneider bezeichnet. Ich habe solche Symbole, von denen ich noch manche<lb/> aufzählen könnte, in vielen Pennen gefunden, ganz im Gegensatz zu den christlichen<lb/> Herbergen, deren Schmuck sich auf bildliche Darstellungen und Bibelsprüche beschränkt.<lb/> In der Penne konnte man für zehn oder zwanzig Pfennige ein warmes Abend¬<lb/> essen erhalten, das entweder aus Bratkartoffeln oder ans „Rundungen" (Kartoffeln)<lb/> mit „Schwimmlingen" (Heringen) bestand. Dazu wurde Bier oder Kaffee ver¬<lb/> abreicht. Manche „schwachem" (tranken) auch „ein halb Pfund Svruff," d. h. eine<lb/> bestimmte Quantität (für zehn Pfennige) Schnaps. Nach dem Essen belustigte man<lb/> sich mit Rauchen, Kartenspielen und „Schallern" (Singen). Ganz besonders beliebt<lb/> waren die Lieder „Das schönste Land auf Deutschlands An'n bist du, mein Sachsen¬<lb/> land," „An der Saale kühlem Strande," „Nicht weit von Württemberg und Baden"<lb/> und „Pfeifchen, wer hat dich erfunden."</p><lb/> <p xml:id="ID_2526" next="#ID_2527"> Um zehn Uhr Abends wurde wie immer in den Pennen das Zeichen zum<lb/> Schlafengehn gegeben, die Kunden traten an eine Art von Stehpult heran, an dem<lb/> der Boos jedem einzelnen die Papiere abnahm und die Namen ins Fremdenbuch<lb/> eintrug, während er zugleich fragte, auf welche Art mau „türmen" (schlafen) wolle.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0552]
Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren
und nach Greiz steuerte, traf ich mit einem alten „Kunden" zusammen, der mich
ansprach und sofort sah, daß ich „von Muttern" kam. Er machte mich „kochum,"
das heißt, er weihte mich in die Geheimnisse des Wanderlebens ein. Als wir eine
Weile miteinander gewandert waren, zog mein Begleiter eine blecherne Wichsdose
hervor, öffnete sie mit geheimnisvoller Miene und bot mir einen „Priem" an, den
ich auf sein Zureden beherzt in den Mund steckte. Er versicherte mir, daß ihn
diese Gabe der Natur vor Krankheit schütze, und ich habe in der Folge den Genuß
des Kautabaks schätzen gelernt und bin ihm bis zum heutigen Tage treu geblieben.
Als wir das nächste „Küff" (Dorf) erreicht hatten, schlug der alte Kunde vor, hier
zu „talfen" (fechten), worauf wir das Dorf teilten. Wir trafen uns an einer ver¬
abredeten Stelle wieder und zeigten uns gegenseitig, was wir getalft hatten. Jeder
von uns war nun im Besitze von zwanzig „Poschern" (Pfennigen) und einigen
Stückchen „Hanf" oder „Legium" (Brot). So kamen wir nach Greiz und gingen
dort auf die „Zentralpenne" (Herberge). Auf der Penne waren etwa zwanzig
Kunden versammelt, die sich zum Teil mit Kartenspielen (Sechsundsechzig), zum
Teil mit dem Singen von Liedern — namentlich: An der Saale kühlem Strande —
beschäftigten. Wir schlugen nach altem Brauch mit unserm „Steuz" (Wanderstab)
zur Begrüßung auf den Tisch, worauf uns der Penneboos (Herbergsvater) will¬
kommen hieß und uns fragte: Was habt ihr für ein „Metier"? Ich antwortete
„Lehmer" (Bäcker), mein Begleiter sagte „Pflanzer" (Schuster). Ich bemerke hier
gleich, daß der Penneboos alle Kunden mit „du" anredet und auch von ihnen ge¬
duzt wird, während auf den christlichen Herbergen zur Heimat die Anrede mit
„Sie" üblich ist. In der Kundensprache hat jedes Metier oder jede „Religion"
ihre besondre Bezeichnung: der Schneider heißt „seichter," der Hutmacher „Kopf¬
schuster," der Schornsteinfeger und der Buchdrucker „Schwarzkünstler," der Wind¬
müller „Roller," der Wassermüller „Klapperschütze," der Schmied „Flammer," der
Schlosser „Katzenkopf," der Klempner „Sonnenschmied," der Seiler „Galgenposa¬
mentierer," der Fleischer „Katzkow," der Barbier „Doktor," der Böttcher „Rum¬
treiber," der Buchbinder „Pappenheimer" oder „Apostelklopfer," der Nagelschmied
„Zweckenkonditor," der Tischler „Hobeloffizier," der Maurer „Dreckschwalbe," der
Zigarrenmacher „Piependreher" oder „Püppchenwickler." Die zusammengehörenden
Gewerkschaften wie Bäcker und Müller, Schuster und Schneider, Maurer und
Zimmermann, Schmied und Schlosser nennen sich „Schwager."
In der Fremdenstube der Penne waren unter der Decke über den verschiednen
Tischen die Symbole der Gewerke angebracht. So sah ich über einem Tische eine
große Brezel, über einem andern ein Wagenrad und einen Kranz von Hufeisen,
über einem dritten einen Stiefel und ein Bügeleisen. Dadurch waren die Tische
als die Stammtische der Bäcker, der Schmiede und Stellmacher und der Schuster
und Schneider bezeichnet. Ich habe solche Symbole, von denen ich noch manche
aufzählen könnte, in vielen Pennen gefunden, ganz im Gegensatz zu den christlichen
Herbergen, deren Schmuck sich auf bildliche Darstellungen und Bibelsprüche beschränkt.
In der Penne konnte man für zehn oder zwanzig Pfennige ein warmes Abend¬
essen erhalten, das entweder aus Bratkartoffeln oder ans „Rundungen" (Kartoffeln)
mit „Schwimmlingen" (Heringen) bestand. Dazu wurde Bier oder Kaffee ver¬
abreicht. Manche „schwachem" (tranken) auch „ein halb Pfund Svruff," d. h. eine
bestimmte Quantität (für zehn Pfennige) Schnaps. Nach dem Essen belustigte man
sich mit Rauchen, Kartenspielen und „Schallern" (Singen). Ganz besonders beliebt
waren die Lieder „Das schönste Land auf Deutschlands An'n bist du, mein Sachsen¬
land," „An der Saale kühlem Strande," „Nicht weit von Württemberg und Baden"
und „Pfeifchen, wer hat dich erfunden."
Um zehn Uhr Abends wurde wie immer in den Pennen das Zeichen zum
Schlafengehn gegeben, die Kunden traten an eine Art von Stehpult heran, an dem
der Boos jedem einzelnen die Papiere abnahm und die Namen ins Fremdenbuch
eintrug, während er zugleich fragte, auf welche Art mau „türmen" (schlafen) wolle.
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