Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Sucht Rußland nach einem nordeuropäischen Rriegshafen? sich wohl einigen. Man zankt sich über die Frage, unter wen die selbständig Leider hat die Sache einen hochpolitischen Hintergrund bekommen. Zuerst Björnson war geneigt, für eine russische, an der schwedischen Nordgrenze Sucht Rußland nach einem nordeuropäischen Rriegshafen? sich wohl einigen. Man zankt sich über die Frage, unter wen die selbständig Leider hat die Sache einen hochpolitischen Hintergrund bekommen. Zuerst Björnson war geneigt, für eine russische, an der schwedischen Nordgrenze <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0527" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296906"/> <fw type="header" place="top"> Sucht Rußland nach einem nordeuropäischen Rriegshafen?</fw><lb/> <p xml:id="ID_2449" prev="#ID_2448"> sich wohl einigen. Man zankt sich über die Frage, unter wen die selbständig<lb/> zu machenden norwegischen Konsulate gestellt werden sollen. Das Ausland<lb/> möchte sagen: Wie glücklich sind die Norweger und die Schweden daran, daß<lb/> sie um eine solche Lappalie in ernste Erbitterung geraten können! An ernstem<lb/> Streitfragen fehlt es ihnen also.</p><lb/> <p xml:id="ID_2450"> Leider hat die Sache einen hochpolitischen Hintergrund bekommen. Zuerst<lb/> ist es der norwegische Dichter Björnstjerue Vjörnson gewesen, der das Aus¬<lb/> land in diesen Bruderstreit gezogen hat. Er hat angenommen, daß Rußland<lb/> einen hohen Preis für die Gewinnung eines eisfreien Hafens an der nor¬<lb/> wegischen Nordwestküste geben würde, und hat deshalb angeregt, ihm einen<lb/> solchen im Norden abzutreten. Das Land hat dort wenig Wert. Pelzjäger<lb/> und Nenntierlappen sind seine einzigen Bewohner — ausgenommen in den<lb/> Häfen. Dort sind großartige Stationen für den Fang von Kabeljauen,<lb/> Heringen, Walfischen. Tromsö ist die Hauptstation für etwa dreißigtausend<lb/> Fischer, die von hier aus ihren Fang betreiben. Doch das ist nur der vierte<lb/> Teil der gesamten am Hochseefischfang beteiligten Bevölkerung. An Fischerei¬<lb/> erzeugnissen werden für vierzig Millionen Mark und mehr ausgeführt. Tromsö<lb/> hat nur siebentausend ständige Einwohner und ist doch die größte Stadt nördlich<lb/> von Drontheim. Die Provinz Tromsö legt sich zwischen den Nordwestzipfel<lb/> Finnlands, der nur bis auf vierzig Kilometer dem Salzwasser des Atlantischen<lb/> Ozeans nahe kommt, und das Weltmeer. Finnland steckt an der schwedischen<lb/> Nordgrenze gewissermaßen eine Zunge nach der atlantischen Küste ans; es<lb/> rührt das daher, daß im Jahre 1814 als Nordgrenze Schwedens der Muonio<lb/> oder Torrea-Elf in seiner ganzen Länge bestimmt worden ist; seine Quelle<lb/> liegt nur vierzig Kilometer von der Westküste der .Halbinsel. Schon gibt es<lb/> eine Eisenbahn von der schwedischen Küste am Bodenlöcher Meerbusen quer<lb/> über die Halbinsel nach dein Ofoten-Fjord; sie führt Massen von schwedischen<lb/> Erzen aus, für die dieser Weg der kürzere ist, zugleich ist er im Winter immer<lb/> offen, während alle Häfen am Bodenlöcher Busen zufrieren.</p><lb/> <p xml:id="ID_2451"> Björnson war geneigt, für eine russische, an der schwedischen Nordgrenze<lb/> entlang führende Eisenbahn den Russen das Land abzutreten und einen für<lb/> einen Seehafen geeigneten Platz dazu. Als solcher wäre zunächst Tromsö<lb/> selbst zu nennen. Die Stadt liegt auf einer kleinen Insel zwischen dein Fest¬<lb/> lande und größern, sie gegen Stürme und Angriffe schützenden Inseln. Drei<lb/> Fjorde gehn von ihr zum Ozean, und alle sind tief genng für die größten<lb/> Schiffe. Der Platz hat also große Borzüge für einen Kriegshafen. Er ist<lb/> zudem eisfrei, denn die ganze norwegische Küste, sogar über Hammerfest und<lb/> Vardö hinaus die russische Eismcerküste, stehn uuter dem wohltätigen Einfluß<lb/> des Golfstroms, der seine warmen Fluten ununterbrochen hier herauwälzt.<lb/> Wenn Rußland hier einen befestigten Hafen für seine Flotte Hütte, so könnte<lb/> sie ihm nicht durch die dünischen Meerenge,: in der Ostsee eingesperrt gehalten<lb/> werden, und während Liban und Kronstäbe im Winter vom Eise verbarri¬<lb/> kadiert wären, könnte man von Tromsö aus die Schiffe zu jeder Jahreszeit<lb/> frei in das Weltmeer hinaus senden. Was trotz alledem dagegen spricht,<lb/> werden wir weiter unten sehen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0527]
Sucht Rußland nach einem nordeuropäischen Rriegshafen?
sich wohl einigen. Man zankt sich über die Frage, unter wen die selbständig
zu machenden norwegischen Konsulate gestellt werden sollen. Das Ausland
möchte sagen: Wie glücklich sind die Norweger und die Schweden daran, daß
sie um eine solche Lappalie in ernste Erbitterung geraten können! An ernstem
Streitfragen fehlt es ihnen also.
Leider hat die Sache einen hochpolitischen Hintergrund bekommen. Zuerst
ist es der norwegische Dichter Björnstjerue Vjörnson gewesen, der das Aus¬
land in diesen Bruderstreit gezogen hat. Er hat angenommen, daß Rußland
einen hohen Preis für die Gewinnung eines eisfreien Hafens an der nor¬
wegischen Nordwestküste geben würde, und hat deshalb angeregt, ihm einen
solchen im Norden abzutreten. Das Land hat dort wenig Wert. Pelzjäger
und Nenntierlappen sind seine einzigen Bewohner — ausgenommen in den
Häfen. Dort sind großartige Stationen für den Fang von Kabeljauen,
Heringen, Walfischen. Tromsö ist die Hauptstation für etwa dreißigtausend
Fischer, die von hier aus ihren Fang betreiben. Doch das ist nur der vierte
Teil der gesamten am Hochseefischfang beteiligten Bevölkerung. An Fischerei¬
erzeugnissen werden für vierzig Millionen Mark und mehr ausgeführt. Tromsö
hat nur siebentausend ständige Einwohner und ist doch die größte Stadt nördlich
von Drontheim. Die Provinz Tromsö legt sich zwischen den Nordwestzipfel
Finnlands, der nur bis auf vierzig Kilometer dem Salzwasser des Atlantischen
Ozeans nahe kommt, und das Weltmeer. Finnland steckt an der schwedischen
Nordgrenze gewissermaßen eine Zunge nach der atlantischen Küste ans; es
rührt das daher, daß im Jahre 1814 als Nordgrenze Schwedens der Muonio
oder Torrea-Elf in seiner ganzen Länge bestimmt worden ist; seine Quelle
liegt nur vierzig Kilometer von der Westküste der .Halbinsel. Schon gibt es
eine Eisenbahn von der schwedischen Küste am Bodenlöcher Meerbusen quer
über die Halbinsel nach dein Ofoten-Fjord; sie führt Massen von schwedischen
Erzen aus, für die dieser Weg der kürzere ist, zugleich ist er im Winter immer
offen, während alle Häfen am Bodenlöcher Busen zufrieren.
Björnson war geneigt, für eine russische, an der schwedischen Nordgrenze
entlang führende Eisenbahn den Russen das Land abzutreten und einen für
einen Seehafen geeigneten Platz dazu. Als solcher wäre zunächst Tromsö
selbst zu nennen. Die Stadt liegt auf einer kleinen Insel zwischen dein Fest¬
lande und größern, sie gegen Stürme und Angriffe schützenden Inseln. Drei
Fjorde gehn von ihr zum Ozean, und alle sind tief genng für die größten
Schiffe. Der Platz hat also große Borzüge für einen Kriegshafen. Er ist
zudem eisfrei, denn die ganze norwegische Küste, sogar über Hammerfest und
Vardö hinaus die russische Eismcerküste, stehn uuter dem wohltätigen Einfluß
des Golfstroms, der seine warmen Fluten ununterbrochen hier herauwälzt.
Wenn Rußland hier einen befestigten Hafen für seine Flotte Hütte, so könnte
sie ihm nicht durch die dünischen Meerenge,: in der Ostsee eingesperrt gehalten
werden, und während Liban und Kronstäbe im Winter vom Eise verbarri¬
kadiert wären, könnte man von Tromsö aus die Schiffe zu jeder Jahreszeit
frei in das Weltmeer hinaus senden. Was trotz alledem dagegen spricht,
werden wir weiter unten sehen.
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