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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Unter Kunde", Komödianten und wilden Tieren

Nachtruhe hingeben. Früh um fünf aber wurde ich wieder geweckt, da der Lehr¬
meister mit seiner Familie und den Angestellten in die Mette ging, wo wir so
ziemlich als die ersten erschienen. Beim Heimweg von der Weihnachtsmette be¬
merkte ich schon von der Straße aus, daß in der guten Stube des Meisters ein
Weihnachtsbaum brannte. Ich wurde aufgefordert, mit einzutreten, und erstaunte
über die reiche Bescherung, die mir zuteil wurde: von Kopf bis zu Füße" wurde
ich neu gekleidet und fand außer einem Stollen, Äpfeln und Nüssen auch einen be¬
sonders schweren Apfel, in den einige Taler gesteckt waren. Eine solche Bescherung
war für mich etwas Neues, denn bei uns zuhause war das Weihnachtsfest in be-
scheidneren Maße gefeiert worden, und mein Angebinde war gewöhnlich ein Schal
gewesen, den die Eltern selbst verfertigt hatten.

Am ersten Feiertag ruhte die Arbeit vollständig, am zweiten aber wurde ein
wenig Weiße Ware und ein Schuß Brot gebacken, während am sogenannten dritten
Feiertag das Weißbrot aufgewärmt "ud dadurch wieder verkaufsfähig gemacht
wurde, und das Brotbacken wieder in gewohnter Weise vor sich ging. Was der
Betrieb der Bäckerei an freier Zeit übrig ließ, wurde den Winter über mit Spreisel-
hacken, Hvlzfahren und Aufständen der leeren Mehlsäcke ausgefüllt, bis dann das
Frühjahr wieder kam, wo die Arbeiten auf dem Felde begannen.

In das erste Jahr meiner Lehrzeit fällt ein Ereignis, das in der Gegend
großes Aufsehen erregte: der Bahnhof zu Elch ging in einer Sonntagnacht in
Flammen auf, wobei zwei Kinder verbrannten.

Da mein Meister auf dem Güterboden des Bahnhofs gerade eine Sendung
Mehl liegen hatte und über dessen Schicksal in Unruhe war, ließ ich es mir nicht
nehmen, mit einigen Kameraden am Sonntag Nachmittag nach Elch zu gehn und
die Brandstätte zu besichtigen. Der Güterboden war unversehrt geblieben, dagegen
war der Bahnhof zum Teil ausgebrannt, und wir sahen durch die Fenster eines
Waschhauses die Leichen der verbrannten Kinder auf zwei Stühlen liegen.

In den Bäckereibetrieb kam zu Fastnacht insofern eine kleine Abwechslung, als
um diese Zeit Pfannkuchen und ganz dünne Kartoffelkuchen gebacken wurden. Zu
Ostern trat ein neuer Lehrling ein, der nun die Anfangsarbeiten zu verrichten
hatte, während ich ausrückte und die Gesclleuarbeit übernahm.

Der neue Lehrling war zwar gescheiter als andre Leute, was ihn aber nicht
vor einem kleinen Unfall bewahrte, der für uns andre sehr belustigend war. Als
er nämlich während der Weihnachtsbäckerei in der dritten Nacht die Kuchen auf
den Ofen zur "Gare" gestellt hatte, setzte er sich, vou der Müdigkeit überwältigt,
ans die oberste Stufe des Backofens und schlief dort ein, dabei verlor er das Gleich¬
gewicht und stürzte herab, dem Meister, der auf der untersten Stufe saß, gerade
auf den Kopf. Der Meister, über diese unvorhergesehene Störung seiner Ruhe auf¬
gebracht, konnte sich nicht enthalten, dem Lehrling ein paar Schellen zu geben. Ich
selbst Pflegte, wenn ich dem Einschlafen nahe war, in den Hof hinauszugehn und
mir mit kaltem Wasser die Augen zu waschen, wodurch ich wieder munter wurde.

Ungefähr in diese Zeit fiel wieder einmal ein Brandunglück. In der Nähe
von Elch lag eine kleine Wassermühle, die ein Müller gepachtet hatte, der zugleich
mich ein wenig Bäckerei betrieb. Der Mann war in schlechten Verhältnissen und
wollte seine Lage mit Hilfe der Feuerversicherung verbessern. Er zündete das An¬
wesen selbst an, und die Mühle brannte nieder. Da man ihn in der Gegend
genau kannte, fiel der Verdacht der Brandstiftung sofort auf thu selbst, und bei der
Untersuchung stellte es sich heraus, daß er, der ein großer Kunstliebhaber war, seine
Lieblingsbilder in dem kalten Backofen versteckt hatte, wo sie allerdings vor Brand¬
schäden sicher gewesen waren. Er wurde verhaftet und kam auf mehrere Je^re
hinter Schloß und Riegel.

Zu der Mühle gehörte ein ansehnliches Feld und ein großer Obstgarten.
Nach dem Brande kam die Frau des Müllers zu meinem Lehrmeister und bot ihm
die Frucht auf dem Halm und das Obst ans den Bäumen zum Kauf ein. Der


Unter Kunde», Komödianten und wilden Tieren

Nachtruhe hingeben. Früh um fünf aber wurde ich wieder geweckt, da der Lehr¬
meister mit seiner Familie und den Angestellten in die Mette ging, wo wir so
ziemlich als die ersten erschienen. Beim Heimweg von der Weihnachtsmette be¬
merkte ich schon von der Straße aus, daß in der guten Stube des Meisters ein
Weihnachtsbaum brannte. Ich wurde aufgefordert, mit einzutreten, und erstaunte
über die reiche Bescherung, die mir zuteil wurde: von Kopf bis zu Füße» wurde
ich neu gekleidet und fand außer einem Stollen, Äpfeln und Nüssen auch einen be¬
sonders schweren Apfel, in den einige Taler gesteckt waren. Eine solche Bescherung
war für mich etwas Neues, denn bei uns zuhause war das Weihnachtsfest in be-
scheidneren Maße gefeiert worden, und mein Angebinde war gewöhnlich ein Schal
gewesen, den die Eltern selbst verfertigt hatten.

Am ersten Feiertag ruhte die Arbeit vollständig, am zweiten aber wurde ein
wenig Weiße Ware und ein Schuß Brot gebacken, während am sogenannten dritten
Feiertag das Weißbrot aufgewärmt «ud dadurch wieder verkaufsfähig gemacht
wurde, und das Brotbacken wieder in gewohnter Weise vor sich ging. Was der
Betrieb der Bäckerei an freier Zeit übrig ließ, wurde den Winter über mit Spreisel-
hacken, Hvlzfahren und Aufständen der leeren Mehlsäcke ausgefüllt, bis dann das
Frühjahr wieder kam, wo die Arbeiten auf dem Felde begannen.

In das erste Jahr meiner Lehrzeit fällt ein Ereignis, das in der Gegend
großes Aufsehen erregte: der Bahnhof zu Elch ging in einer Sonntagnacht in
Flammen auf, wobei zwei Kinder verbrannten.

Da mein Meister auf dem Güterboden des Bahnhofs gerade eine Sendung
Mehl liegen hatte und über dessen Schicksal in Unruhe war, ließ ich es mir nicht
nehmen, mit einigen Kameraden am Sonntag Nachmittag nach Elch zu gehn und
die Brandstätte zu besichtigen. Der Güterboden war unversehrt geblieben, dagegen
war der Bahnhof zum Teil ausgebrannt, und wir sahen durch die Fenster eines
Waschhauses die Leichen der verbrannten Kinder auf zwei Stühlen liegen.

In den Bäckereibetrieb kam zu Fastnacht insofern eine kleine Abwechslung, als
um diese Zeit Pfannkuchen und ganz dünne Kartoffelkuchen gebacken wurden. Zu
Ostern trat ein neuer Lehrling ein, der nun die Anfangsarbeiten zu verrichten
hatte, während ich ausrückte und die Gesclleuarbeit übernahm.

Der neue Lehrling war zwar gescheiter als andre Leute, was ihn aber nicht
vor einem kleinen Unfall bewahrte, der für uns andre sehr belustigend war. Als
er nämlich während der Weihnachtsbäckerei in der dritten Nacht die Kuchen auf
den Ofen zur „Gare" gestellt hatte, setzte er sich, vou der Müdigkeit überwältigt,
ans die oberste Stufe des Backofens und schlief dort ein, dabei verlor er das Gleich¬
gewicht und stürzte herab, dem Meister, der auf der untersten Stufe saß, gerade
auf den Kopf. Der Meister, über diese unvorhergesehene Störung seiner Ruhe auf¬
gebracht, konnte sich nicht enthalten, dem Lehrling ein paar Schellen zu geben. Ich
selbst Pflegte, wenn ich dem Einschlafen nahe war, in den Hof hinauszugehn und
mir mit kaltem Wasser die Augen zu waschen, wodurch ich wieder munter wurde.

Ungefähr in diese Zeit fiel wieder einmal ein Brandunglück. In der Nähe
von Elch lag eine kleine Wassermühle, die ein Müller gepachtet hatte, der zugleich
mich ein wenig Bäckerei betrieb. Der Mann war in schlechten Verhältnissen und
wollte seine Lage mit Hilfe der Feuerversicherung verbessern. Er zündete das An¬
wesen selbst an, und die Mühle brannte nieder. Da man ihn in der Gegend
genau kannte, fiel der Verdacht der Brandstiftung sofort auf thu selbst, und bei der
Untersuchung stellte es sich heraus, daß er, der ein großer Kunstliebhaber war, seine
Lieblingsbilder in dem kalten Backofen versteckt hatte, wo sie allerdings vor Brand¬
schäden sicher gewesen waren. Er wurde verhaftet und kam auf mehrere Je^re
hinter Schloß und Riegel.

Zu der Mühle gehörte ein ansehnliches Feld und ein großer Obstgarten.
Nach dem Brande kam die Frau des Müllers zu meinem Lehrmeister und bot ihm
die Frucht auf dem Halm und das Obst ans den Bäumen zum Kauf ein. Der


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[0497] Unter Kunde», Komödianten und wilden Tieren Nachtruhe hingeben. Früh um fünf aber wurde ich wieder geweckt, da der Lehr¬ meister mit seiner Familie und den Angestellten in die Mette ging, wo wir so ziemlich als die ersten erschienen. Beim Heimweg von der Weihnachtsmette be¬ merkte ich schon von der Straße aus, daß in der guten Stube des Meisters ein Weihnachtsbaum brannte. Ich wurde aufgefordert, mit einzutreten, und erstaunte über die reiche Bescherung, die mir zuteil wurde: von Kopf bis zu Füße» wurde ich neu gekleidet und fand außer einem Stollen, Äpfeln und Nüssen auch einen be¬ sonders schweren Apfel, in den einige Taler gesteckt waren. Eine solche Bescherung war für mich etwas Neues, denn bei uns zuhause war das Weihnachtsfest in be- scheidneren Maße gefeiert worden, und mein Angebinde war gewöhnlich ein Schal gewesen, den die Eltern selbst verfertigt hatten. Am ersten Feiertag ruhte die Arbeit vollständig, am zweiten aber wurde ein wenig Weiße Ware und ein Schuß Brot gebacken, während am sogenannten dritten Feiertag das Weißbrot aufgewärmt «ud dadurch wieder verkaufsfähig gemacht wurde, und das Brotbacken wieder in gewohnter Weise vor sich ging. Was der Betrieb der Bäckerei an freier Zeit übrig ließ, wurde den Winter über mit Spreisel- hacken, Hvlzfahren und Aufständen der leeren Mehlsäcke ausgefüllt, bis dann das Frühjahr wieder kam, wo die Arbeiten auf dem Felde begannen. In das erste Jahr meiner Lehrzeit fällt ein Ereignis, das in der Gegend großes Aufsehen erregte: der Bahnhof zu Elch ging in einer Sonntagnacht in Flammen auf, wobei zwei Kinder verbrannten. Da mein Meister auf dem Güterboden des Bahnhofs gerade eine Sendung Mehl liegen hatte und über dessen Schicksal in Unruhe war, ließ ich es mir nicht nehmen, mit einigen Kameraden am Sonntag Nachmittag nach Elch zu gehn und die Brandstätte zu besichtigen. Der Güterboden war unversehrt geblieben, dagegen war der Bahnhof zum Teil ausgebrannt, und wir sahen durch die Fenster eines Waschhauses die Leichen der verbrannten Kinder auf zwei Stühlen liegen. In den Bäckereibetrieb kam zu Fastnacht insofern eine kleine Abwechslung, als um diese Zeit Pfannkuchen und ganz dünne Kartoffelkuchen gebacken wurden. Zu Ostern trat ein neuer Lehrling ein, der nun die Anfangsarbeiten zu verrichten hatte, während ich ausrückte und die Gesclleuarbeit übernahm. Der neue Lehrling war zwar gescheiter als andre Leute, was ihn aber nicht vor einem kleinen Unfall bewahrte, der für uns andre sehr belustigend war. Als er nämlich während der Weihnachtsbäckerei in der dritten Nacht die Kuchen auf den Ofen zur „Gare" gestellt hatte, setzte er sich, vou der Müdigkeit überwältigt, ans die oberste Stufe des Backofens und schlief dort ein, dabei verlor er das Gleich¬ gewicht und stürzte herab, dem Meister, der auf der untersten Stufe saß, gerade auf den Kopf. Der Meister, über diese unvorhergesehene Störung seiner Ruhe auf¬ gebracht, konnte sich nicht enthalten, dem Lehrling ein paar Schellen zu geben. Ich selbst Pflegte, wenn ich dem Einschlafen nahe war, in den Hof hinauszugehn und mir mit kaltem Wasser die Augen zu waschen, wodurch ich wieder munter wurde. Ungefähr in diese Zeit fiel wieder einmal ein Brandunglück. In der Nähe von Elch lag eine kleine Wassermühle, die ein Müller gepachtet hatte, der zugleich mich ein wenig Bäckerei betrieb. Der Mann war in schlechten Verhältnissen und wollte seine Lage mit Hilfe der Feuerversicherung verbessern. Er zündete das An¬ wesen selbst an, und die Mühle brannte nieder. Da man ihn in der Gegend genau kannte, fiel der Verdacht der Brandstiftung sofort auf thu selbst, und bei der Untersuchung stellte es sich heraus, daß er, der ein großer Kunstliebhaber war, seine Lieblingsbilder in dem kalten Backofen versteckt hatte, wo sie allerdings vor Brand¬ schäden sicher gewesen waren. Er wurde verhaftet und kam auf mehrere Je^re hinter Schloß und Riegel. Zu der Mühle gehörte ein ansehnliches Feld und ein großer Obstgarten. Nach dem Brande kam die Frau des Müllers zu meinem Lehrmeister und bot ihm die Frucht auf dem Halm und das Obst ans den Bäumen zum Kauf ein. Der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/497>, abgerufen am 05.02.2025.