Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren Vier Frauen ihren fertigen Teig, der dann mit unsern Broden zusammen verarbeitet Eines Tags sagte mir mein Lehrmeister, daß die Meister der Innung "Quartal" Beim Beginn des Frühjahrs mußte ich auf dem Felde behilflich sein, Steine Die arbeitsreichste Zeit des Jahres waren die vier Wochen vor Weihnachten. Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren Vier Frauen ihren fertigen Teig, der dann mit unsern Broden zusammen verarbeitet Eines Tags sagte mir mein Lehrmeister, daß die Meister der Innung „Quartal" Beim Beginn des Frühjahrs mußte ich auf dem Felde behilflich sein, Steine Die arbeitsreichste Zeit des Jahres waren die vier Wochen vor Weihnachten. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0496" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296875"/> <fw type="header" place="top"> Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren</fw><lb/> <p xml:id="ID_2237" prev="#ID_2236"> Vier Frauen ihren fertigen Teig, der dann mit unsern Broden zusammen verarbeitet<lb/> und in den Backofen geschoben wurde.</p><lb/> <p xml:id="ID_2238"> Eines Tags sagte mir mein Lehrmeister, daß die Meister der Innung „Quartal"<lb/> hätten, und daß ich „aufgedingt," d. h. in die Bäckerinnung aufgenommen werden<lb/> sollte. Die Meister selbst hatten sich schon im schwarzen Rock und im Zylinder<lb/> zum bisherigen Obermeister begeben, um die Jnnuugslnde zum neuerwählten Ober¬<lb/> meister zu bringen. Diese Innungslade, die jedesmal von den beiden jüngsten<lb/> Meistern getragen wurde, war ein uralter wurmstichiger Kasten, der nur noch drei<lb/> Füße aufwies, und der die Urkunden der Lengenfelder Bäckerinnung enthielt. Um<lb/> drei Uhr Nachmittags mußte ich in meinem Sonntagsanzug in der Backstube des<lb/> neuen Obermeisters antreten und wurde dort zusammen mit einem andern Lehr¬<lb/> ling aufgedingt. Der Obermeister hielt eine Ansprache an uns und gab unsern<lb/> Eintritt als Lehrling der Bäckerinnung zu Protokoll, sprach auch die Hoffnung ans,<lb/> daß wir nach Ablauf unsrer dreijährigen Lehrzeit freigesprochen werden würden.<lb/> Wir wurden hierauf mit einigen Gläsern Bier und Schinkenbemnien traktiert und<lb/> durften uns den Nachmittag unserm Vergnügen hingeben.</p><lb/> <p xml:id="ID_2239"> Beim Beginn des Frühjahrs mußte ich auf dem Felde behilflich sein, Steine<lb/> auf dem Kleefelde auflese», Saatkartoffelu hinausbringen und auslesen, Dünger aus¬<lb/> breite» und Kartoffeln stecken. An Arbeit fehlte es nur nicht, dafür waren die Be¬<lb/> handlung und die Kost sehr gut; ich entsinne mich, während meiner Lehrzeit nur<lb/> eine einzige Schelle erhalten zu haben. Jeden Donnerstag und Sonnabend gab es<lb/> rohe Klöße, in deren Vertilgung ich mein möglichstes leistete und die Zahl elf er¬<lb/> reichte. Sonntags machte die Meisterin einen Nierenbraten oder einen Gänsebraten,<lb/> wobei es für jeden ein Glas Wein gab. Später im Sommer, als es auf die<lb/> Ernte zuging, wurde ein Geselle angenommen. Bei der Ernte war ich, so oft es<lb/> meine Zeit erlaubte, mit tätig, brachte Heu, Roggen, Hafer, Gerste, Grummet und<lb/> später im Herbst Kartoffeln und zuletzt das Kraut mit herein, half auch beim<lb/> Dreschen, das wir deu Winter über zu Vieren oder fünfen taten, und wobei allerlei<lb/> scherzhafte Gebräuche uns die Zeit verkürzten. Nach alter Sitte mußte der, der<lb/> den letzten Schlag tat, etwas zum besten geben. Im Herbst wurden auch zwei<lb/> Schweine geschlachtet, wobei ich mit Hand anlegte und mich nachher mit Wellfleisch<lb/> für die ausgestandner Mühen entschädigte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2240" next="#ID_2241"> Die arbeitsreichste Zeit des Jahres waren die vier Wochen vor Weihnachten.<lb/> Schon in der letzten Woche des Novembers wurde ein Buch ausgelegt, in das sich<lb/> alle die eintragen mußten, die bei meinem Meister ihre Stollen und Kuchen backen<lb/> lassen wollte«. Zeitig wurde damit begonnen, Spreisel in großen Mengen zu dörren.<lb/> Das Mehl für das Weihnachtsgebäck, das mein Meister an seine Kunden verkaufte,<lb/> war seit Pfingsten auf Lager und hatte dadurch eine hohe Ergiebigkeit erreicht.<lb/> Etwa zehn Tage vor Weihnachten begann das Backen; täglich kamen zwei bis drei<lb/> „Schuß" der von der vornehmern Kundschaft gelieferten Stollen und Kuchen in<lb/> den Ofen. In dieser Zeit mußte ich in die Häuser der Kundschaft gehn und dort<lb/> den Teig machen, der dann bei uns in der Backstube zu Kuchen und Stollen ver¬<lb/> arbeitet wurde. Das Backen dauerte volle acht Tage und acht Nächte, sodaß in<lb/> dieser Zeit an Schlafen nicht zu denken war. Aller drei Stunden kamen neue<lb/> Leute, die ihre» Teig brachten, also um sieben, zehn, ein, vier, sieben, zehn, ein<lb/> und vier Uhr. Die Frauen, die den Teig brachten, mußten zuvor ihre Bleche selbst<lb/> putzen und ihre Kuchen mit Streusel, Quark oder Obst selbst belegen. Obgleich die<lb/> einzelnen Kuchen durch Kerbe und Ringe bezeichnet wurden, kamen bei diesem Ge¬<lb/> schäft doch zuweilen Verwechslungen vor, wodurch mitunter kleine Zwistigkeiten unter<lb/> den Frauen entstanden. Da wir in dieser ganzen Zeit selbst kein Brot buken, kam<lb/> es oft vor, daß wir uns von einem Bäcker Brot holen mußten. Am Wcihnachts-<lb/> heiligabend wurden nur Kuchen und Stollen für unsern eignen Bedarf und ein<lb/> wenig Backwerk zum Verkauf gebacken, womit wir Abends um acht Uhr fertig<lb/> wurden, dann endlich durften wir zu Bett gehn und uns der lange entbehrten</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0496]
Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren
Vier Frauen ihren fertigen Teig, der dann mit unsern Broden zusammen verarbeitet
und in den Backofen geschoben wurde.
Eines Tags sagte mir mein Lehrmeister, daß die Meister der Innung „Quartal"
hätten, und daß ich „aufgedingt," d. h. in die Bäckerinnung aufgenommen werden
sollte. Die Meister selbst hatten sich schon im schwarzen Rock und im Zylinder
zum bisherigen Obermeister begeben, um die Jnnuugslnde zum neuerwählten Ober¬
meister zu bringen. Diese Innungslade, die jedesmal von den beiden jüngsten
Meistern getragen wurde, war ein uralter wurmstichiger Kasten, der nur noch drei
Füße aufwies, und der die Urkunden der Lengenfelder Bäckerinnung enthielt. Um
drei Uhr Nachmittags mußte ich in meinem Sonntagsanzug in der Backstube des
neuen Obermeisters antreten und wurde dort zusammen mit einem andern Lehr¬
ling aufgedingt. Der Obermeister hielt eine Ansprache an uns und gab unsern
Eintritt als Lehrling der Bäckerinnung zu Protokoll, sprach auch die Hoffnung ans,
daß wir nach Ablauf unsrer dreijährigen Lehrzeit freigesprochen werden würden.
Wir wurden hierauf mit einigen Gläsern Bier und Schinkenbemnien traktiert und
durften uns den Nachmittag unserm Vergnügen hingeben.
Beim Beginn des Frühjahrs mußte ich auf dem Felde behilflich sein, Steine
auf dem Kleefelde auflese», Saatkartoffelu hinausbringen und auslesen, Dünger aus¬
breite» und Kartoffeln stecken. An Arbeit fehlte es nur nicht, dafür waren die Be¬
handlung und die Kost sehr gut; ich entsinne mich, während meiner Lehrzeit nur
eine einzige Schelle erhalten zu haben. Jeden Donnerstag und Sonnabend gab es
rohe Klöße, in deren Vertilgung ich mein möglichstes leistete und die Zahl elf er¬
reichte. Sonntags machte die Meisterin einen Nierenbraten oder einen Gänsebraten,
wobei es für jeden ein Glas Wein gab. Später im Sommer, als es auf die
Ernte zuging, wurde ein Geselle angenommen. Bei der Ernte war ich, so oft es
meine Zeit erlaubte, mit tätig, brachte Heu, Roggen, Hafer, Gerste, Grummet und
später im Herbst Kartoffeln und zuletzt das Kraut mit herein, half auch beim
Dreschen, das wir deu Winter über zu Vieren oder fünfen taten, und wobei allerlei
scherzhafte Gebräuche uns die Zeit verkürzten. Nach alter Sitte mußte der, der
den letzten Schlag tat, etwas zum besten geben. Im Herbst wurden auch zwei
Schweine geschlachtet, wobei ich mit Hand anlegte und mich nachher mit Wellfleisch
für die ausgestandner Mühen entschädigte.
Die arbeitsreichste Zeit des Jahres waren die vier Wochen vor Weihnachten.
Schon in der letzten Woche des Novembers wurde ein Buch ausgelegt, in das sich
alle die eintragen mußten, die bei meinem Meister ihre Stollen und Kuchen backen
lassen wollte«. Zeitig wurde damit begonnen, Spreisel in großen Mengen zu dörren.
Das Mehl für das Weihnachtsgebäck, das mein Meister an seine Kunden verkaufte,
war seit Pfingsten auf Lager und hatte dadurch eine hohe Ergiebigkeit erreicht.
Etwa zehn Tage vor Weihnachten begann das Backen; täglich kamen zwei bis drei
„Schuß" der von der vornehmern Kundschaft gelieferten Stollen und Kuchen in
den Ofen. In dieser Zeit mußte ich in die Häuser der Kundschaft gehn und dort
den Teig machen, der dann bei uns in der Backstube zu Kuchen und Stollen ver¬
arbeitet wurde. Das Backen dauerte volle acht Tage und acht Nächte, sodaß in
dieser Zeit an Schlafen nicht zu denken war. Aller drei Stunden kamen neue
Leute, die ihre» Teig brachten, also um sieben, zehn, ein, vier, sieben, zehn, ein
und vier Uhr. Die Frauen, die den Teig brachten, mußten zuvor ihre Bleche selbst
putzen und ihre Kuchen mit Streusel, Quark oder Obst selbst belegen. Obgleich die
einzelnen Kuchen durch Kerbe und Ringe bezeichnet wurden, kamen bei diesem Ge¬
schäft doch zuweilen Verwechslungen vor, wodurch mitunter kleine Zwistigkeiten unter
den Frauen entstanden. Da wir in dieser ganzen Zeit selbst kein Brot buken, kam
es oft vor, daß wir uns von einem Bäcker Brot holen mußten. Am Wcihnachts-
heiligabend wurden nur Kuchen und Stollen für unsern eignen Bedarf und ein
wenig Backwerk zum Verkauf gebacken, womit wir Abends um acht Uhr fertig
wurden, dann endlich durften wir zu Bett gehn und uns der lange entbehrten
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