Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Die moralischen Wochenschriften Fortsetzungen. Lessing klagt, daß die Herausgeber dieser Wochenschriften Aus manchen moralisierenden Wochenschriften der letzten Jahrzehnte des Das große Verdienst der moralischen Wochenschriften ist, die Menschen Dann haben die moralischen Wochenschriften unsre Literatur volkstümlich Eine anziehende Arbeit wäre es, nachzuspüren, wie die Wochenschriften Die moralischen Wochenschriften Fortsetzungen. Lessing klagt, daß die Herausgeber dieser Wochenschriften Aus manchen moralisierenden Wochenschriften der letzten Jahrzehnte des Das große Verdienst der moralischen Wochenschriften ist, die Menschen Dann haben die moralischen Wochenschriften unsre Literatur volkstümlich Eine anziehende Arbeit wäre es, nachzuspüren, wie die Wochenschriften <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0492" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296871"/> <fw type="header" place="top"> Die moralischen Wochenschriften</fw><lb/> <p xml:id="ID_2219" prev="#ID_2218"> Fortsetzungen. Lessing klagt, daß die Herausgeber dieser Wochenschriften<lb/> „größtenteils junge Witzlinge sind, die ungefähr der deutscheu Sprache ge¬<lb/> wachsen sind, hier und da etwas gelesen haben, und was das betrübteste ist,<lb/> ihre Blätter zu einer Art von Rente machen müssen." Einige der Blätter<lb/> erheben sich immerhin über die Durchschnittsware, so „Der Druide" (1748),<lb/> „Der nordische Aufseher" (1758), „Der Hypochonder" (1767), „Der Eremit"<lb/> (1769), besonders aber „Der Mann ohne Vorurtheil," den Sonnenfels in<lb/> Wien herausgab.</p><lb/> <p xml:id="ID_2220"> Aus manchen moralisierenden Wochenschriften der letzten Jahrzehnte des<lb/> achtzehnten Jahrhunderts sind Tageszeitungen entstanden; ich erinnere an das<lb/> „Wochenblatt zum Besten der Armen" in Kiel; auch die „Berlinische Wochen¬<lb/> schrift" trägt schon nicht mehr ganz den alten Charakter. Sie erweiterte die<lb/> Grenzen, vertrat die Aufklärung und den Rationalismus und zog auch die<lb/> Politik in ihr Gebiet. Mitarbeiter erhielt sie aus allen Kreisen: Ramler, Möser,<lb/> Gleim, Mendelssohn, die Humboldts, Georg Forster, Fichte und Kant sandten<lb/> Beiträge. Da sie umsichtig geleitet wurde, erfreute sich die Zeitschrift großer<lb/> Beliebtheit, wenn sie auch keineswegs die einschneidende Bedeutung und Wir¬<lb/> kung gehabt hat wie die ersten rein „moralischen" Wochenschriften. Die Ver¬<lb/> hältnisse waren andre geworden, man hatte andres zu tun, als zu morali¬<lb/> sieren, man sah andre Ziele vor sich und wandte sich allgemeinern Ideen zu.</p><lb/> <p xml:id="ID_2221"> Das große Verdienst der moralischen Wochenschriften ist, die Menschen<lb/> für die neue Zeit erzogen, sie zum Verständnis des sich immer schöner ent¬<lb/> wickelnden geistigen Lebens vorgebildet zu haben. Sie übten in den ersten<lb/> Jahrzehnten des achtzehnten Jahrhunderts einen wohltuender Einfluß auf<lb/> Haus und Familie aus, regten Fragen an, die uus noch jetzt beschäftigen<lb/> können, und schlugen Mittel zur Besserung mancher Verhältnisse vor, die jetzt<lb/> noch als gut und weise anerkannt werden müssen. Die Wochenschriften sind<lb/> das Organ des wiedererwachenden Bürgertums geworden, sie haben wieder<lb/> deutsch denken und fühlen gelehrt. In dem Gefolge der Wochenschriften ent¬<lb/> standen Gesellschaften, die das Gute und Edle fördern wollten; wir haben<lb/> solche an manchen Orten gehabt, und vielfach haben sie sich, so in Hamburg,<lb/> Lübeck und Kiel, bis auf den heutigen Tag erhalten und ungemein segens¬<lb/> reich gewirkt. Ihnen verdanken wir Schulen, Volksbibliotheken, Arbeitshäuser,<lb/> Sparkasse» und Kunstanstaltcn; überall, wo es gilt, die Bildung zu fördern,<lb/> stehn sie in der ersten Reihe.</p><lb/> <p xml:id="ID_2222"> Dann haben die moralischen Wochenschriften unsre Literatur volkstümlich<lb/> gemacht, sie haben die Kluft zwischen gelehrter Kunstdichtung und Volks¬<lb/> literatur, die das Volksleben so schwer schädigte, überbrückt. „Die gebildete<lb/> Literatur, sagt Hettner, wurde volkstümlicher, die volkstümliche gebildeter."</p><lb/> <p xml:id="ID_2223" next="#ID_2224"> Eine anziehende Arbeit wäre es, nachzuspüren, wie die Wochenschriften<lb/> das deutsche Geistes- und vor allem das deutsche Familienleben beeinflußt<lb/> haben, vielleicht ist später die Möglichkeit gegeben, weiter darauf einzugehn.<lb/> Vorarbeiten über die „Moralischen Wochenschriften" bestehn schon; das Buch<lb/> von Milberg, Die moralischen Wochenschriften des achtzehnten Jahrhunderts;<lb/> Kawczynski, Studien zur Literaturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts:</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0492]
Die moralischen Wochenschriften
Fortsetzungen. Lessing klagt, daß die Herausgeber dieser Wochenschriften
„größtenteils junge Witzlinge sind, die ungefähr der deutscheu Sprache ge¬
wachsen sind, hier und da etwas gelesen haben, und was das betrübteste ist,
ihre Blätter zu einer Art von Rente machen müssen." Einige der Blätter
erheben sich immerhin über die Durchschnittsware, so „Der Druide" (1748),
„Der nordische Aufseher" (1758), „Der Hypochonder" (1767), „Der Eremit"
(1769), besonders aber „Der Mann ohne Vorurtheil," den Sonnenfels in
Wien herausgab.
Aus manchen moralisierenden Wochenschriften der letzten Jahrzehnte des
achtzehnten Jahrhunderts sind Tageszeitungen entstanden; ich erinnere an das
„Wochenblatt zum Besten der Armen" in Kiel; auch die „Berlinische Wochen¬
schrift" trägt schon nicht mehr ganz den alten Charakter. Sie erweiterte die
Grenzen, vertrat die Aufklärung und den Rationalismus und zog auch die
Politik in ihr Gebiet. Mitarbeiter erhielt sie aus allen Kreisen: Ramler, Möser,
Gleim, Mendelssohn, die Humboldts, Georg Forster, Fichte und Kant sandten
Beiträge. Da sie umsichtig geleitet wurde, erfreute sich die Zeitschrift großer
Beliebtheit, wenn sie auch keineswegs die einschneidende Bedeutung und Wir¬
kung gehabt hat wie die ersten rein „moralischen" Wochenschriften. Die Ver¬
hältnisse waren andre geworden, man hatte andres zu tun, als zu morali¬
sieren, man sah andre Ziele vor sich und wandte sich allgemeinern Ideen zu.
Das große Verdienst der moralischen Wochenschriften ist, die Menschen
für die neue Zeit erzogen, sie zum Verständnis des sich immer schöner ent¬
wickelnden geistigen Lebens vorgebildet zu haben. Sie übten in den ersten
Jahrzehnten des achtzehnten Jahrhunderts einen wohltuender Einfluß auf
Haus und Familie aus, regten Fragen an, die uus noch jetzt beschäftigen
können, und schlugen Mittel zur Besserung mancher Verhältnisse vor, die jetzt
noch als gut und weise anerkannt werden müssen. Die Wochenschriften sind
das Organ des wiedererwachenden Bürgertums geworden, sie haben wieder
deutsch denken und fühlen gelehrt. In dem Gefolge der Wochenschriften ent¬
standen Gesellschaften, die das Gute und Edle fördern wollten; wir haben
solche an manchen Orten gehabt, und vielfach haben sie sich, so in Hamburg,
Lübeck und Kiel, bis auf den heutigen Tag erhalten und ungemein segens¬
reich gewirkt. Ihnen verdanken wir Schulen, Volksbibliotheken, Arbeitshäuser,
Sparkasse» und Kunstanstaltcn; überall, wo es gilt, die Bildung zu fördern,
stehn sie in der ersten Reihe.
Dann haben die moralischen Wochenschriften unsre Literatur volkstümlich
gemacht, sie haben die Kluft zwischen gelehrter Kunstdichtung und Volks¬
literatur, die das Volksleben so schwer schädigte, überbrückt. „Die gebildete
Literatur, sagt Hettner, wurde volkstümlicher, die volkstümliche gebildeter."
Eine anziehende Arbeit wäre es, nachzuspüren, wie die Wochenschriften
das deutsche Geistes- und vor allem das deutsche Familienleben beeinflußt
haben, vielleicht ist später die Möglichkeit gegeben, weiter darauf einzugehn.
Vorarbeiten über die „Moralischen Wochenschriften" bestehn schon; das Buch
von Milberg, Die moralischen Wochenschriften des achtzehnten Jahrhunderts;
Kawczynski, Studien zur Literaturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts:
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