Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Herrenmenschen Kondrot faltete die Hände und bewegte die Lippen wie einer, der auf dem Herr Doktor, sagte Kondrot, ich will dem lieben Gott alle Morgen und alle Und weiter nichts? Wie wäre es denn, wenn Sie das Schnapstrinker ließen? Herr Doktor, sagte Kondrot mit feierlichem Nachdruck, seit ich mit Ihnen Aber lieber Kondrot, sagte der Doktor, ich bin doch nicht Ihr Beichtvater. Der aber ließ sich nicht stören und fuhr fort: Soll ich in unsrer Versammlung Das ist doch Ihre Sache, sagte der Doktor, das machen Sie doch mit Ihrem Herr Doktor, erwiderte Koudrot, Sie wissen es nicht so wie ich, wenn einer Hören Sie, Kondrot, sagte der Doktor, imnier ehrlich! Man muß bei allem, In der nächsten Versammlung legte er nieder, indem er erklärte, er fühle sich Von da an bewies Kondrot eine dankbare Anhänglichkeit an das Schlößchen Wenn der Knecht auf dem Schlößchen den Branntweingenuß zu den uuveräußer- Herrenmenschen Kondrot faltete die Hände und bewegte die Lippen wie einer, der auf dem Herr Doktor, sagte Kondrot, ich will dem lieben Gott alle Morgen und alle Und weiter nichts? Wie wäre es denn, wenn Sie das Schnapstrinker ließen? Herr Doktor, sagte Kondrot mit feierlichem Nachdruck, seit ich mit Ihnen Aber lieber Kondrot, sagte der Doktor, ich bin doch nicht Ihr Beichtvater. Der aber ließ sich nicht stören und fuhr fort: Soll ich in unsrer Versammlung Das ist doch Ihre Sache, sagte der Doktor, das machen Sie doch mit Ihrem Herr Doktor, erwiderte Koudrot, Sie wissen es nicht so wie ich, wenn einer Hören Sie, Kondrot, sagte der Doktor, imnier ehrlich! Man muß bei allem, In der nächsten Versammlung legte er nieder, indem er erklärte, er fühle sich Von da an bewies Kondrot eine dankbare Anhänglichkeit an das Schlößchen Wenn der Knecht auf dem Schlößchen den Branntweingenuß zu den uuveräußer- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0444" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296825"/> <fw type="header" place="top"> Herrenmenschen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1977"> Kondrot faltete die Hände und bewegte die Lippen wie einer, der auf dem<lb/> Schafott seine Begnadigung erhalten hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1978"> Herr Doktor, sagte Kondrot, ich will dem lieben Gott alle Morgen und alle<lb/> Abend auf den Knien danken.</p><lb/> <p xml:id="ID_1979"> Und weiter nichts? Wie wäre es denn, wenn Sie das Schnapstrinker ließen?</p><lb/> <p xml:id="ID_1980"> Herr Doktor, sagte Kondrot mit feierlichem Nachdruck, seit ich mit Ihnen<lb/> gesprochen habe, habe ich keinen Tropfen Branntwein mehr getrunken. Und ich<lb/> lege hier einen Eid vor Gott ab, daß ich keinen Tropfen mehr trinken werde, und-<lb/> daß ich mein Lebtag gegen den Branntweinteufcl kämpfen werde, gegen diesen<lb/> Fluch, um dem mein Volk zugrunde geht. Und Sie, Herr Doktor, das gebe Gott,<lb/> sie müssen helfen. Mich verlacht man, aber Ihnen wird man glauben, denn niemand<lb/> hat Sie betrunken gesehen. — Und, Herr Doktor, ist es genug, daß ich Ihnen<lb/> gebeichtet habe, oder muß ich öffentlich Buße tun?</p><lb/> <p xml:id="ID_1981"> Aber lieber Kondrot, sagte der Doktor, ich bin doch nicht Ihr Beichtvater.</p><lb/> <p xml:id="ID_1982"> Der aber ließ sich nicht stören und fuhr fort: Soll ich in unsrer Versammlung<lb/> beichten, und soll ich mein Amt als Apsakytvjis niederlegen?</p><lb/> <p xml:id="ID_1983"> Das ist doch Ihre Sache, sagte der Doktor, das machen Sie doch mit Ihrem<lb/> Gewissen aus.</p><lb/> <p xml:id="ID_1984"> Herr Doktor, erwiderte Koudrot, Sie wissen es nicht so wie ich, wenn einer<lb/> in Gewissensnot ist, dann braucht er einen Berater, dann hilft es nichts, sich selber<lb/> zu beraten. Ein Arzt, der krank ist, kuriert sich auch uicht selber, sondern läßt den<lb/> Nachbararzt kommen. Soll ich mein Amt niederlegen?</p><lb/> <p xml:id="ID_1985"> Hören Sie, Kondrot, sagte der Doktor, imnier ehrlich! Man muß bei allem,<lb/> was man tut, zuerst ehrlich sein. Würden Ihre Leute Sie zum Sprecher gewählt<lb/> haben, wenn sie gewußt hätten, was Sie mir erzählt haben? Nein. Also legen<lb/> Sie nieder. Kirchenbuße brauche» Sie nicht zu tun. -— Ramborn hätte, wenn<lb/> jemand auf die so bestimmte Weisung „Kirchenbuße brauchen Sie nicht zu tun"<lb/> gefragt hätte: warum nicht? schwerlich eine sichere Autwort geben können. Aber<lb/> Koudrot fühlte sich auch so beruhigt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1986"> In der nächsten Versammlung legte er nieder, indem er erklärte, er fühle sich<lb/> des Amtes nicht würdig, und bereitete dadurch seinen Gläubigen eine große Ver¬<lb/> legenheit, da sie keinen hatten, der ihn hätte ersehen können. Er tat noch mehr.<lb/> Er ging den nächsten Sonntag in die Kirche zum Herrn Pastor, und dies nicht<lb/> in der Absicht, die Rechtgläubigkeit des Herrn Pastors zu prüfen, sondern um sich<lb/> zu erbauen und nach der Kirche dem Herrn Pastor die Hand zu reichen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1987"> Von da an bewies Kondrot eine dankbare Anhänglichkeit an das Schlößchen<lb/> und seine Bewohner. Er kam, wenn er Zeit hatte, hinaus, sah nach dem Rechten<lb/> und gab guten Rat. Und so bahnte sich ein Weg des Verständnisses zwischen dem<lb/> Doktor und der einheimischen Bevölkerung an. Es ist merkwürdig, wie wenig sich<lb/> oft die Glieder verschiedner Stände desselben Volks versteh». Der Doktor hatte<lb/> aus der Verachtung, die er gegen die Litauer fühlte, kein Hehl gemacht, und was<lb/> er erlebt hatte, schien ihm einige Berechtigung zu geben, aber er hatte doch darin<lb/> Unrecht, daß er seine Erfahrungen zu schnell verallgemeinerte, und daß er zu wenig<lb/> in die Tiefe sah. Und die Bevölkerung sah die Bewohner des Preußische« Schlößchens<lb/> als Fremde an, und da, wo deren Rechte der eignen Begehrlichkeit im Wege standen,<lb/> als Feinde. Die Pflichten gegen den Nächsten, wie sie in der Erklärung Luthers<lb/> zu den zehn Geboten aufgeführt waren, galten ihnen bis an die Dorfgrenze, für<lb/> das preußische Schlößchen aber nur sehr bedingterweise. Hierzu kam das Mißtrauen,<lb/> das der Litauer gegen den Deutschen hegt. Er erkennt des Deutschen Überlegen¬<lb/> heit an, aber er wehrt sich dagegen und schließt sich vor ihr durch rückhaltige List<lb/> ab. Und daß sich der Doktor erlaubt hatte, eiuen neuen Begriff von Eigentum<lb/> einzuführen und der landesüblichen Bummelei entgegenzutreten und Disziplin zu<lb/> üben, das hatte man ihm gründlich übel genommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1988" next="#ID_1989"> Wenn der Knecht auf dem Schlößchen den Branntweingenuß zu den uuveräußer-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0444]
Herrenmenschen
Kondrot faltete die Hände und bewegte die Lippen wie einer, der auf dem
Schafott seine Begnadigung erhalten hat.
Herr Doktor, sagte Kondrot, ich will dem lieben Gott alle Morgen und alle
Abend auf den Knien danken.
Und weiter nichts? Wie wäre es denn, wenn Sie das Schnapstrinker ließen?
Herr Doktor, sagte Kondrot mit feierlichem Nachdruck, seit ich mit Ihnen
gesprochen habe, habe ich keinen Tropfen Branntwein mehr getrunken. Und ich
lege hier einen Eid vor Gott ab, daß ich keinen Tropfen mehr trinken werde, und-
daß ich mein Lebtag gegen den Branntweinteufcl kämpfen werde, gegen diesen
Fluch, um dem mein Volk zugrunde geht. Und Sie, Herr Doktor, das gebe Gott,
sie müssen helfen. Mich verlacht man, aber Ihnen wird man glauben, denn niemand
hat Sie betrunken gesehen. — Und, Herr Doktor, ist es genug, daß ich Ihnen
gebeichtet habe, oder muß ich öffentlich Buße tun?
Aber lieber Kondrot, sagte der Doktor, ich bin doch nicht Ihr Beichtvater.
Der aber ließ sich nicht stören und fuhr fort: Soll ich in unsrer Versammlung
beichten, und soll ich mein Amt als Apsakytvjis niederlegen?
Das ist doch Ihre Sache, sagte der Doktor, das machen Sie doch mit Ihrem
Gewissen aus.
Herr Doktor, erwiderte Koudrot, Sie wissen es nicht so wie ich, wenn einer
in Gewissensnot ist, dann braucht er einen Berater, dann hilft es nichts, sich selber
zu beraten. Ein Arzt, der krank ist, kuriert sich auch uicht selber, sondern läßt den
Nachbararzt kommen. Soll ich mein Amt niederlegen?
Hören Sie, Kondrot, sagte der Doktor, imnier ehrlich! Man muß bei allem,
was man tut, zuerst ehrlich sein. Würden Ihre Leute Sie zum Sprecher gewählt
haben, wenn sie gewußt hätten, was Sie mir erzählt haben? Nein. Also legen
Sie nieder. Kirchenbuße brauche» Sie nicht zu tun. -— Ramborn hätte, wenn
jemand auf die so bestimmte Weisung „Kirchenbuße brauchen Sie nicht zu tun"
gefragt hätte: warum nicht? schwerlich eine sichere Autwort geben können. Aber
Koudrot fühlte sich auch so beruhigt.
In der nächsten Versammlung legte er nieder, indem er erklärte, er fühle sich
des Amtes nicht würdig, und bereitete dadurch seinen Gläubigen eine große Ver¬
legenheit, da sie keinen hatten, der ihn hätte ersehen können. Er tat noch mehr.
Er ging den nächsten Sonntag in die Kirche zum Herrn Pastor, und dies nicht
in der Absicht, die Rechtgläubigkeit des Herrn Pastors zu prüfen, sondern um sich
zu erbauen und nach der Kirche dem Herrn Pastor die Hand zu reichen.
Von da an bewies Kondrot eine dankbare Anhänglichkeit an das Schlößchen
und seine Bewohner. Er kam, wenn er Zeit hatte, hinaus, sah nach dem Rechten
und gab guten Rat. Und so bahnte sich ein Weg des Verständnisses zwischen dem
Doktor und der einheimischen Bevölkerung an. Es ist merkwürdig, wie wenig sich
oft die Glieder verschiedner Stände desselben Volks versteh». Der Doktor hatte
aus der Verachtung, die er gegen die Litauer fühlte, kein Hehl gemacht, und was
er erlebt hatte, schien ihm einige Berechtigung zu geben, aber er hatte doch darin
Unrecht, daß er seine Erfahrungen zu schnell verallgemeinerte, und daß er zu wenig
in die Tiefe sah. Und die Bevölkerung sah die Bewohner des Preußische« Schlößchens
als Fremde an, und da, wo deren Rechte der eignen Begehrlichkeit im Wege standen,
als Feinde. Die Pflichten gegen den Nächsten, wie sie in der Erklärung Luthers
zu den zehn Geboten aufgeführt waren, galten ihnen bis an die Dorfgrenze, für
das preußische Schlößchen aber nur sehr bedingterweise. Hierzu kam das Mißtrauen,
das der Litauer gegen den Deutschen hegt. Er erkennt des Deutschen Überlegen¬
heit an, aber er wehrt sich dagegen und schließt sich vor ihr durch rückhaltige List
ab. Und daß sich der Doktor erlaubt hatte, eiuen neuen Begriff von Eigentum
einzuführen und der landesüblichen Bummelei entgegenzutreten und Disziplin zu
üben, das hatte man ihm gründlich übel genommen.
Wenn der Knecht auf dem Schlößchen den Branntweingenuß zu den uuveräußer-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |