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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Die Zukunft des deutschen volkstuins

Bevölkerungsgruppen in den Vereinigten Staaten heute die stärkste. Sie wird
es voraussichtlich bleiben. Nach der englischen und der irischen ist sie auch
am längsten am Bildungsprozeß beteiligt gewesen. Das zukünftige amerikanische
Volk sollte deshalb einen vorwiegend deutschen Charakter tragen und eine vor¬
wiegend deutsche Sprache sprechen. Der Grad des Vorwiegens wird ein
größerer oder ein geringerer sein, je länger oder je kürzer sich die eingewanderten
Deutschen ihre deutschen Charaktereigenschaften und ihre Sprache, die zugleich
Ausfluß und Bildnerin des Charakters ist, zu erhalten und auf ihre Kinder
zu vererben wissen werden. Es ist ganz selbstverständlich, daß je länger in den
Vereinigten Staaten deutsch gesprochen wird, desto mehr deutsche Worte und
deutsche Gedanken in die amerikanische Sprache und das amerikanische Geistes¬
leben übergehn werden, wie es in geringem Maße schon geschehen ist; und die
amerikanische Sprache wird dann, besser als die heutige englische, imstande sein,
dem deutschen Geistes- und Gemütsleben Ausdruck zu verleihen.

Die Anstrengungen zur Erhaltung der deutschen Sprache in den Vereinigten
Staaten werden deshalb nicht weggeworfne Mühe sein, sondern einem großen
Zukunftszwecke dienen.

Der deutsche Kaiser hat kürzlich in Bremen die Deutschen das Salz der
Erde genannt. Daß sie diese Rolle in den Vereinigten Staaten in der Ver¬
gangenheit erfüllt haben und noch erfüllen, läßt sich auf deu verschiedensten
Gebieten nachweisen. Sie werden hoffentlich, ja sicher fortfahren, es zu tun,
und helfen, eine schmackhafte und verdauliche Völkermischung herzustellen. Aber
wie das Salz in der Speise verschwindet, die es würzt, werden auch die
Deutschen in der Masse der amerikanischen Bevölkerung aufgehn, und kein
menschliches Bemühen wird es verhindern können. Wohl aber läßt sich viel
dazu tun, daß das Salz rein erhalten wird und seine würzende Kraft behält,
daß es -- wie es in der Bibel heißt -- nicht dumm wird. Und jede Be¬
mühung in dieser Richtung drüben wird hüben dankbar empfunden und aner¬
kannt werden.

Es mag noch hinzugefügt werden, daß wenn der Untergang der deutschen
Sprache als eine der Volkssprachen in den Vereinigten Staaten für die deutsche
Welt allerdings eine große Minderung ihres Machtgebiets, und ihr baldiger
Untergang aus deu angeführten Gründen ein Verlust für das in der Entwick
lung begriffne amerikanische Volk sein würde, daß dann die am meisten auf
diesen baldigen Untergang hinarbeiten, die, statt die deutsche Einwanderung
nach den Vereinigten Staaten zu fördern, sie von ihnen ablenken möchten.

Freilich würden solche Bemühungen schwerlich irgendwelchen nennenswerten
Erfolg haben. Denn Völkerwanderungen werden nicht durch Machtgcbote und
Abmahnungen veranlaßt oder zurückgehalten, sondern durch wirtschaftliche Be-
dingungen. Der gewaltige Rückgang in der deutschen Auswanderung nach
Amerika, der seit einem Jahrzehnt eingetreten ist (wie in der deutschen Aus¬
wanderung überhaupt), ist auf die gewaltige Hebung der deutschen Industrie
'zurückzuführen, die die gesamte nationale Kraft des Deutschen Reichs anspannt
und dessen ganzer Bevölkerung lohnende Beschäftigung und -- alles in allem --
ein ebenso gutes Dasein gewährt, wie es --- durchschnittlich -- in den Ver-


Die Zukunft des deutschen volkstuins

Bevölkerungsgruppen in den Vereinigten Staaten heute die stärkste. Sie wird
es voraussichtlich bleiben. Nach der englischen und der irischen ist sie auch
am längsten am Bildungsprozeß beteiligt gewesen. Das zukünftige amerikanische
Volk sollte deshalb einen vorwiegend deutschen Charakter tragen und eine vor¬
wiegend deutsche Sprache sprechen. Der Grad des Vorwiegens wird ein
größerer oder ein geringerer sein, je länger oder je kürzer sich die eingewanderten
Deutschen ihre deutschen Charaktereigenschaften und ihre Sprache, die zugleich
Ausfluß und Bildnerin des Charakters ist, zu erhalten und auf ihre Kinder
zu vererben wissen werden. Es ist ganz selbstverständlich, daß je länger in den
Vereinigten Staaten deutsch gesprochen wird, desto mehr deutsche Worte und
deutsche Gedanken in die amerikanische Sprache und das amerikanische Geistes¬
leben übergehn werden, wie es in geringem Maße schon geschehen ist; und die
amerikanische Sprache wird dann, besser als die heutige englische, imstande sein,
dem deutschen Geistes- und Gemütsleben Ausdruck zu verleihen.

Die Anstrengungen zur Erhaltung der deutschen Sprache in den Vereinigten
Staaten werden deshalb nicht weggeworfne Mühe sein, sondern einem großen
Zukunftszwecke dienen.

Der deutsche Kaiser hat kürzlich in Bremen die Deutschen das Salz der
Erde genannt. Daß sie diese Rolle in den Vereinigten Staaten in der Ver¬
gangenheit erfüllt haben und noch erfüllen, läßt sich auf deu verschiedensten
Gebieten nachweisen. Sie werden hoffentlich, ja sicher fortfahren, es zu tun,
und helfen, eine schmackhafte und verdauliche Völkermischung herzustellen. Aber
wie das Salz in der Speise verschwindet, die es würzt, werden auch die
Deutschen in der Masse der amerikanischen Bevölkerung aufgehn, und kein
menschliches Bemühen wird es verhindern können. Wohl aber läßt sich viel
dazu tun, daß das Salz rein erhalten wird und seine würzende Kraft behält,
daß es — wie es in der Bibel heißt — nicht dumm wird. Und jede Be¬
mühung in dieser Richtung drüben wird hüben dankbar empfunden und aner¬
kannt werden.

Es mag noch hinzugefügt werden, daß wenn der Untergang der deutschen
Sprache als eine der Volkssprachen in den Vereinigten Staaten für die deutsche
Welt allerdings eine große Minderung ihres Machtgebiets, und ihr baldiger
Untergang aus deu angeführten Gründen ein Verlust für das in der Entwick
lung begriffne amerikanische Volk sein würde, daß dann die am meisten auf
diesen baldigen Untergang hinarbeiten, die, statt die deutsche Einwanderung
nach den Vereinigten Staaten zu fördern, sie von ihnen ablenken möchten.

Freilich würden solche Bemühungen schwerlich irgendwelchen nennenswerten
Erfolg haben. Denn Völkerwanderungen werden nicht durch Machtgcbote und
Abmahnungen veranlaßt oder zurückgehalten, sondern durch wirtschaftliche Be-
dingungen. Der gewaltige Rückgang in der deutschen Auswanderung nach
Amerika, der seit einem Jahrzehnt eingetreten ist (wie in der deutschen Aus¬
wanderung überhaupt), ist auf die gewaltige Hebung der deutschen Industrie
'zurückzuführen, die die gesamte nationale Kraft des Deutschen Reichs anspannt
und dessen ganzer Bevölkerung lohnende Beschäftigung und — alles in allem —
ein ebenso gutes Dasein gewährt, wie es —- durchschnittlich — in den Ver-


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[0410] Die Zukunft des deutschen volkstuins Bevölkerungsgruppen in den Vereinigten Staaten heute die stärkste. Sie wird es voraussichtlich bleiben. Nach der englischen und der irischen ist sie auch am längsten am Bildungsprozeß beteiligt gewesen. Das zukünftige amerikanische Volk sollte deshalb einen vorwiegend deutschen Charakter tragen und eine vor¬ wiegend deutsche Sprache sprechen. Der Grad des Vorwiegens wird ein größerer oder ein geringerer sein, je länger oder je kürzer sich die eingewanderten Deutschen ihre deutschen Charaktereigenschaften und ihre Sprache, die zugleich Ausfluß und Bildnerin des Charakters ist, zu erhalten und auf ihre Kinder zu vererben wissen werden. Es ist ganz selbstverständlich, daß je länger in den Vereinigten Staaten deutsch gesprochen wird, desto mehr deutsche Worte und deutsche Gedanken in die amerikanische Sprache und das amerikanische Geistes¬ leben übergehn werden, wie es in geringem Maße schon geschehen ist; und die amerikanische Sprache wird dann, besser als die heutige englische, imstande sein, dem deutschen Geistes- und Gemütsleben Ausdruck zu verleihen. Die Anstrengungen zur Erhaltung der deutschen Sprache in den Vereinigten Staaten werden deshalb nicht weggeworfne Mühe sein, sondern einem großen Zukunftszwecke dienen. Der deutsche Kaiser hat kürzlich in Bremen die Deutschen das Salz der Erde genannt. Daß sie diese Rolle in den Vereinigten Staaten in der Ver¬ gangenheit erfüllt haben und noch erfüllen, läßt sich auf deu verschiedensten Gebieten nachweisen. Sie werden hoffentlich, ja sicher fortfahren, es zu tun, und helfen, eine schmackhafte und verdauliche Völkermischung herzustellen. Aber wie das Salz in der Speise verschwindet, die es würzt, werden auch die Deutschen in der Masse der amerikanischen Bevölkerung aufgehn, und kein menschliches Bemühen wird es verhindern können. Wohl aber läßt sich viel dazu tun, daß das Salz rein erhalten wird und seine würzende Kraft behält, daß es — wie es in der Bibel heißt — nicht dumm wird. Und jede Be¬ mühung in dieser Richtung drüben wird hüben dankbar empfunden und aner¬ kannt werden. Es mag noch hinzugefügt werden, daß wenn der Untergang der deutschen Sprache als eine der Volkssprachen in den Vereinigten Staaten für die deutsche Welt allerdings eine große Minderung ihres Machtgebiets, und ihr baldiger Untergang aus deu angeführten Gründen ein Verlust für das in der Entwick lung begriffne amerikanische Volk sein würde, daß dann die am meisten auf diesen baldigen Untergang hinarbeiten, die, statt die deutsche Einwanderung nach den Vereinigten Staaten zu fördern, sie von ihnen ablenken möchten. Freilich würden solche Bemühungen schwerlich irgendwelchen nennenswerten Erfolg haben. Denn Völkerwanderungen werden nicht durch Machtgcbote und Abmahnungen veranlaßt oder zurückgehalten, sondern durch wirtschaftliche Be- dingungen. Der gewaltige Rückgang in der deutschen Auswanderung nach Amerika, der seit einem Jahrzehnt eingetreten ist (wie in der deutschen Aus¬ wanderung überhaupt), ist auf die gewaltige Hebung der deutschen Industrie 'zurückzuführen, die die gesamte nationale Kraft des Deutschen Reichs anspannt und dessen ganzer Bevölkerung lohnende Beschäftigung und — alles in allem — ein ebenso gutes Dasein gewährt, wie es —- durchschnittlich — in den Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/410>, abgerufen am 05.02.2025.