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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Der Geigenban

einander schlagen und sich voneinander entfernen. Es ist nun wohl einleuchtend,
daß der Widerstand, den neues Holz diesen Schwingungen entgegensetzt, zuerst
groß ist und sich erst bei jahrelangem Spielen allmählich verringert. Der Ton
spricht dann leichter an, und allerhand unschöne Nebengeräusche, die die Folgen
des zu großen innern Widerstandes im Holze waren, verschwinden. Das Holz
hat sich gewissermaßen an das Schwingen gewöhnt. Aber nur unter den
Händen eines guten Spielers entwickelt sich die Geige zu der höchsten Voll¬
endung, zu der sie nach Material und Bauart befähigt ist, denn nur ein
schöner kraftvoller Bogenstrich verbunden mit ganz reiner Intonation zwingen
die neue Geige gerade zu den Schwingungen, deren sie bedarf. In der Hand
des Stümpers kann aus einer noch so gut gebauten Violine nie etwas gutes
werden.

Andrerseits ist auch klar, wie sehr es neben der Bauart auch auf das
Material ankommt. Man kann hoffen, daß in neuerer Zeit, wo die besten
Meister des Geigenbaues ihr Augenmerk wieder in dem wünschenswerten Maße
auf diese Anforderung gerichtet haben, ihre Produkte den Meisterwerken der
klassischen Zeit wieder näher kommen werden. Das Holz, das zu den Decken
und Zarger (den Seitenwänden) verwandt wird, wird von einer besondern
Fichtenspielart genommen, die vorzugsweise in den südlichen Alpentälern zu
finden ist. Stradivari pflegte jeden Winter in die Wälder zu reisen und an
Ort und Stelle sein Holz auszusuchen. Stainer erwarb von seiner Regierung
das Recht, jeden Baum in den Staatsforsten, der ihm geeignet erschien, füllen
zu lassen. Dieses Vorrecht hat sich auf die Mittenwalder Geigenmacher ver¬
erbt und wird von ihnen heute noch ausgeübt. Zu den Boden der Geigen
wird Ahornholz benutzt. Dieses bezogen die Italiener aus deu Donaulündern,
von wo es die Türken in großer Menge nach Venedig exportierten. Die
Venezianer verwandten das Ahornholz zu Rudern für ihre Kriegsschiffe, und
die Sage behauptet, die Türken hätten aus Eifersucht auf die venezianische
Seemacht das Holz vorher immer gründlich gewässert, um es brüchiger zu
machen, und gerade dieses Holz sei für die Geigenböden besonders geeignet
gewesen.

Noch heute ist es eine schwere Aufgabe für den Geigenmacher, sich ge¬
eignetes Holz zu verschaffen, und die Fähigkeit, es zu beurteilen, gibt schon
allein einen Maßstab, der den Künstler vom Handwerker unterscheidet. Der
Handel mit Geigenholz ist darum auch zu einem ausgebreiteten Geschäftszweige
geworden. Das Holz wird in Klötzen, die für je eine Decke oder einen Boden
ausreichen, verhandelt und erreicht in der besten Qualität hohe Preise. In
der Werkstätte des Geigenbauers bleibt es sodann mehrere Jahrzehnte lang
liegen und wird erst, wenn es vollständig ausgetrocknet ist, bearbeitet. Dazu
wird der Klotz zunächst gespalten, die Teile werden dann so aneinander ge¬
leimt, daß die beiden Hälften der zukünftigen Decke genau symmetrisch sind,
und dann beginnt mit Hobel und Schnitzmesser das Herausarbeiten genau
nach dem Modell, dem der Meister folgen will. Gebogen werden nur die
Seitenteile, die die Verbindung zwischen Decke und Boden herstellen. Dann
wird das <zyrxu3 der Geige mit all den Leistchen und Klötzchen, die dazu ge-


Der Geigenban

einander schlagen und sich voneinander entfernen. Es ist nun wohl einleuchtend,
daß der Widerstand, den neues Holz diesen Schwingungen entgegensetzt, zuerst
groß ist und sich erst bei jahrelangem Spielen allmählich verringert. Der Ton
spricht dann leichter an, und allerhand unschöne Nebengeräusche, die die Folgen
des zu großen innern Widerstandes im Holze waren, verschwinden. Das Holz
hat sich gewissermaßen an das Schwingen gewöhnt. Aber nur unter den
Händen eines guten Spielers entwickelt sich die Geige zu der höchsten Voll¬
endung, zu der sie nach Material und Bauart befähigt ist, denn nur ein
schöner kraftvoller Bogenstrich verbunden mit ganz reiner Intonation zwingen
die neue Geige gerade zu den Schwingungen, deren sie bedarf. In der Hand
des Stümpers kann aus einer noch so gut gebauten Violine nie etwas gutes
werden.

Andrerseits ist auch klar, wie sehr es neben der Bauart auch auf das
Material ankommt. Man kann hoffen, daß in neuerer Zeit, wo die besten
Meister des Geigenbaues ihr Augenmerk wieder in dem wünschenswerten Maße
auf diese Anforderung gerichtet haben, ihre Produkte den Meisterwerken der
klassischen Zeit wieder näher kommen werden. Das Holz, das zu den Decken
und Zarger (den Seitenwänden) verwandt wird, wird von einer besondern
Fichtenspielart genommen, die vorzugsweise in den südlichen Alpentälern zu
finden ist. Stradivari pflegte jeden Winter in die Wälder zu reisen und an
Ort und Stelle sein Holz auszusuchen. Stainer erwarb von seiner Regierung
das Recht, jeden Baum in den Staatsforsten, der ihm geeignet erschien, füllen
zu lassen. Dieses Vorrecht hat sich auf die Mittenwalder Geigenmacher ver¬
erbt und wird von ihnen heute noch ausgeübt. Zu den Boden der Geigen
wird Ahornholz benutzt. Dieses bezogen die Italiener aus deu Donaulündern,
von wo es die Türken in großer Menge nach Venedig exportierten. Die
Venezianer verwandten das Ahornholz zu Rudern für ihre Kriegsschiffe, und
die Sage behauptet, die Türken hätten aus Eifersucht auf die venezianische
Seemacht das Holz vorher immer gründlich gewässert, um es brüchiger zu
machen, und gerade dieses Holz sei für die Geigenböden besonders geeignet
gewesen.

Noch heute ist es eine schwere Aufgabe für den Geigenmacher, sich ge¬
eignetes Holz zu verschaffen, und die Fähigkeit, es zu beurteilen, gibt schon
allein einen Maßstab, der den Künstler vom Handwerker unterscheidet. Der
Handel mit Geigenholz ist darum auch zu einem ausgebreiteten Geschäftszweige
geworden. Das Holz wird in Klötzen, die für je eine Decke oder einen Boden
ausreichen, verhandelt und erreicht in der besten Qualität hohe Preise. In
der Werkstätte des Geigenbauers bleibt es sodann mehrere Jahrzehnte lang
liegen und wird erst, wenn es vollständig ausgetrocknet ist, bearbeitet. Dazu
wird der Klotz zunächst gespalten, die Teile werden dann so aneinander ge¬
leimt, daß die beiden Hälften der zukünftigen Decke genau symmetrisch sind,
und dann beginnt mit Hobel und Schnitzmesser das Herausarbeiten genau
nach dem Modell, dem der Meister folgen will. Gebogen werden nur die
Seitenteile, die die Verbindung zwischen Decke und Boden herstellen. Dann
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[0384] Der Geigenban einander schlagen und sich voneinander entfernen. Es ist nun wohl einleuchtend, daß der Widerstand, den neues Holz diesen Schwingungen entgegensetzt, zuerst groß ist und sich erst bei jahrelangem Spielen allmählich verringert. Der Ton spricht dann leichter an, und allerhand unschöne Nebengeräusche, die die Folgen des zu großen innern Widerstandes im Holze waren, verschwinden. Das Holz hat sich gewissermaßen an das Schwingen gewöhnt. Aber nur unter den Händen eines guten Spielers entwickelt sich die Geige zu der höchsten Voll¬ endung, zu der sie nach Material und Bauart befähigt ist, denn nur ein schöner kraftvoller Bogenstrich verbunden mit ganz reiner Intonation zwingen die neue Geige gerade zu den Schwingungen, deren sie bedarf. In der Hand des Stümpers kann aus einer noch so gut gebauten Violine nie etwas gutes werden. Andrerseits ist auch klar, wie sehr es neben der Bauart auch auf das Material ankommt. Man kann hoffen, daß in neuerer Zeit, wo die besten Meister des Geigenbaues ihr Augenmerk wieder in dem wünschenswerten Maße auf diese Anforderung gerichtet haben, ihre Produkte den Meisterwerken der klassischen Zeit wieder näher kommen werden. Das Holz, das zu den Decken und Zarger (den Seitenwänden) verwandt wird, wird von einer besondern Fichtenspielart genommen, die vorzugsweise in den südlichen Alpentälern zu finden ist. Stradivari pflegte jeden Winter in die Wälder zu reisen und an Ort und Stelle sein Holz auszusuchen. Stainer erwarb von seiner Regierung das Recht, jeden Baum in den Staatsforsten, der ihm geeignet erschien, füllen zu lassen. Dieses Vorrecht hat sich auf die Mittenwalder Geigenmacher ver¬ erbt und wird von ihnen heute noch ausgeübt. Zu den Boden der Geigen wird Ahornholz benutzt. Dieses bezogen die Italiener aus deu Donaulündern, von wo es die Türken in großer Menge nach Venedig exportierten. Die Venezianer verwandten das Ahornholz zu Rudern für ihre Kriegsschiffe, und die Sage behauptet, die Türken hätten aus Eifersucht auf die venezianische Seemacht das Holz vorher immer gründlich gewässert, um es brüchiger zu machen, und gerade dieses Holz sei für die Geigenböden besonders geeignet gewesen. Noch heute ist es eine schwere Aufgabe für den Geigenmacher, sich ge¬ eignetes Holz zu verschaffen, und die Fähigkeit, es zu beurteilen, gibt schon allein einen Maßstab, der den Künstler vom Handwerker unterscheidet. Der Handel mit Geigenholz ist darum auch zu einem ausgebreiteten Geschäftszweige geworden. Das Holz wird in Klötzen, die für je eine Decke oder einen Boden ausreichen, verhandelt und erreicht in der besten Qualität hohe Preise. In der Werkstätte des Geigenbauers bleibt es sodann mehrere Jahrzehnte lang liegen und wird erst, wenn es vollständig ausgetrocknet ist, bearbeitet. Dazu wird der Klotz zunächst gespalten, die Teile werden dann so aneinander ge¬ leimt, daß die beiden Hälften der zukünftigen Decke genau symmetrisch sind, und dann beginnt mit Hobel und Schnitzmesser das Herausarbeiten genau nach dem Modell, dem der Meister folgen will. Gebogen werden nur die Seitenteile, die die Verbindung zwischen Decke und Boden herstellen. Dann wird das <zyrxu3 der Geige mit all den Leistchen und Klötzchen, die dazu ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/384>, abgerufen am 05.02.2025.