Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Das Ermittlungsverfahren in Strafsachen Vorgeschlagen hat). Im übrigen würde man die Staatsanwälte in den Be¬ Die Bedenken, die einer solchen Umgestaltung der Staatsanwaltschaft Andrerseits muß aber bedacht werden, daß die Amtsvorsteher schon jetzt Es bleibt die Frage, wem die neugeordnete Behörde unterzuordnen wäre, Bei unserm Falle würde sich der Staatsanwalt alsbald nach Empfang Grenzboten II 1905 46
Das Ermittlungsverfahren in Strafsachen Vorgeschlagen hat). Im übrigen würde man die Staatsanwälte in den Be¬ Die Bedenken, die einer solchen Umgestaltung der Staatsanwaltschaft Andrerseits muß aber bedacht werden, daß die Amtsvorsteher schon jetzt Es bleibt die Frage, wem die neugeordnete Behörde unterzuordnen wäre, Bei unserm Falle würde sich der Staatsanwalt alsbald nach Empfang Grenzboten II 1905 46
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0365" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297497"/> <fw type="header" place="top"> Das Ermittlungsverfahren in Strafsachen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1620" prev="#ID_1619"> Vorgeschlagen hat). Im übrigen würde man die Staatsanwälte in den Be¬<lb/> zirken verteilen müssen, sodaß jeder einen oder mehrere Amtsgerichtsbezirke<lb/> unter sich hätte, in denen er alle Strafsachen von Anfang an und möglichst an<lb/> Ort und Stelle bis zur Abgabe an das Gericht bearbeiten müßte. Zur Hilfe<lb/> würden ihm einige im Bezirk verteilte Kriminalbeamte beizugeben sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1621"> Die Bedenken, die einer solchen Umgestaltung der Staatsanwaltschaft<lb/> entgegenstehn, sind zunächst finanzieller Natur. Die große Zahl der Amts¬<lb/> vorsteher besorgt die Kriminalpolizei ohne Unkosten für den Staat. Die<lb/> städtischen Polizeibehörden arbeiten auf Stadtkosten. Demgegenüber würde bei<lb/> der vorgeschlagnen Neuorganisation der Fiskus die gesamte Kriminalpolizei<lb/> durch besoldete Beamte auszuüben haben. Auch würde eine gewisse Ver¬<lb/> mehrung der im Kriminaldienst beschäftigten Polizeibeamten nötig sein, da die<lb/> Hilfe, die jetzt von den andern Polizeibeamten nebenher der Kriminalpolizei<lb/> geleistet wird, später nicht in demselben Maße mehr zu haben sein würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1622"> Andrerseits muß aber bedacht werden, daß die Amtsvorsteher schon jetzt<lb/> so mit Geschäften überbürdet sind, daß man über kurz oder lang an ihre Ent¬<lb/> lastung wird herantreten müssen. Die Städte könnte man zur Tragung der<lb/> Kosten in ähnlicher Weise heranziehn wie jetzt, wo die Städte mit königlicher<lb/> Polizei zu deren Kosten beizutragen haben (Gesetz vom 20. April 1892). Die<lb/> Vermehrung der Kriminalbeamten würde endlich dadurch — wenigstens zum<lb/> Teil — ausgeglichen, daß die Untersuchungsrichter und die Ermittlungsrichter<lb/> der Amtsgerichte wegfallen würden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1623"> Es bleibt die Frage, wem die neugeordnete Behörde unterzuordnen wäre,<lb/> dem Justizminister oder dem Minister des Innern. Da sie eine politische Be¬<lb/> hörde sein und auch in Zukunft häufig auf die Hilfe und die Mitwirkung der<lb/> Polizei (Wohlfahrts- und Sicherheitspolizei) angewiesen sein würde, so spricht<lb/> dies dafür, sie unter denselben Chef, den Minister des Innern, zu stellen.<lb/> (In Osterreich beabsichtigt man dies zu tun.) Andrerseits kann nicht verkannt<lb/> werden, daß das Abrücken von dem eigentlichen Kreis der Verwaltung, wenn<lb/> ducht größere Sicherheit, so doch den Anschein einer solchen dafür gewährt,<lb/> daß die Justiz nicht zu politischen Zwecken gemißbraucht werden soll. Wenn<lb/> man also die Anklagebehörde von dem Justizministerium loslösen wollte, so<lb/> würde man durch Erweiterung der Befugnisse des Verteidigers im Vorver¬<lb/> fahren und durch Ausdehnung der Rechte des Verletzten, die Anklage zu er¬<lb/> zwingen, darauf hinzuwirken haben, daß das Vertrauen des Publikums in<lb/> die neue Behörde nicht erschüttert würde. Alles in allem scheinen die Schwierig¬<lb/> sten, die der vorgeschlagnen Neuregelung der Strafverfolgung im Wege stehn,<lb/> "lebt unüberwindbar zu sein. Der Nutzen aber liegt auf der Hand.</p><lb/> <p xml:id="ID_1624" next="#ID_1625"> Bei unserm Falle würde sich der Staatsanwalt alsbald nach Empfang<lb/> der Nachricht, und bevor sich die Beteiligten in alle Winde zerstreuen konnten,<lb/> Ort und Stelle zu begeben und sie hier, während sie noch unter dem<lb/> Mischen Eindruck des Erlebten stünden, auch sich noch nicht über die zu<lb/> Machenden Aussagen im einzelnen verständigen konnten, zu vernehmen haben.<lb/> Von Petersen würde er sich die Medizinflasche vorzeigen lassen oder durch<lb/> Nachfragen in der Apotheke alsbald die Richtigkeit seiner Angaben feststellen</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1905 46</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0365]
Das Ermittlungsverfahren in Strafsachen
Vorgeschlagen hat). Im übrigen würde man die Staatsanwälte in den Be¬
zirken verteilen müssen, sodaß jeder einen oder mehrere Amtsgerichtsbezirke
unter sich hätte, in denen er alle Strafsachen von Anfang an und möglichst an
Ort und Stelle bis zur Abgabe an das Gericht bearbeiten müßte. Zur Hilfe
würden ihm einige im Bezirk verteilte Kriminalbeamte beizugeben sein.
Die Bedenken, die einer solchen Umgestaltung der Staatsanwaltschaft
entgegenstehn, sind zunächst finanzieller Natur. Die große Zahl der Amts¬
vorsteher besorgt die Kriminalpolizei ohne Unkosten für den Staat. Die
städtischen Polizeibehörden arbeiten auf Stadtkosten. Demgegenüber würde bei
der vorgeschlagnen Neuorganisation der Fiskus die gesamte Kriminalpolizei
durch besoldete Beamte auszuüben haben. Auch würde eine gewisse Ver¬
mehrung der im Kriminaldienst beschäftigten Polizeibeamten nötig sein, da die
Hilfe, die jetzt von den andern Polizeibeamten nebenher der Kriminalpolizei
geleistet wird, später nicht in demselben Maße mehr zu haben sein würde.
Andrerseits muß aber bedacht werden, daß die Amtsvorsteher schon jetzt
so mit Geschäften überbürdet sind, daß man über kurz oder lang an ihre Ent¬
lastung wird herantreten müssen. Die Städte könnte man zur Tragung der
Kosten in ähnlicher Weise heranziehn wie jetzt, wo die Städte mit königlicher
Polizei zu deren Kosten beizutragen haben (Gesetz vom 20. April 1892). Die
Vermehrung der Kriminalbeamten würde endlich dadurch — wenigstens zum
Teil — ausgeglichen, daß die Untersuchungsrichter und die Ermittlungsrichter
der Amtsgerichte wegfallen würden.
Es bleibt die Frage, wem die neugeordnete Behörde unterzuordnen wäre,
dem Justizminister oder dem Minister des Innern. Da sie eine politische Be¬
hörde sein und auch in Zukunft häufig auf die Hilfe und die Mitwirkung der
Polizei (Wohlfahrts- und Sicherheitspolizei) angewiesen sein würde, so spricht
dies dafür, sie unter denselben Chef, den Minister des Innern, zu stellen.
(In Osterreich beabsichtigt man dies zu tun.) Andrerseits kann nicht verkannt
werden, daß das Abrücken von dem eigentlichen Kreis der Verwaltung, wenn
ducht größere Sicherheit, so doch den Anschein einer solchen dafür gewährt,
daß die Justiz nicht zu politischen Zwecken gemißbraucht werden soll. Wenn
man also die Anklagebehörde von dem Justizministerium loslösen wollte, so
würde man durch Erweiterung der Befugnisse des Verteidigers im Vorver¬
fahren und durch Ausdehnung der Rechte des Verletzten, die Anklage zu er¬
zwingen, darauf hinzuwirken haben, daß das Vertrauen des Publikums in
die neue Behörde nicht erschüttert würde. Alles in allem scheinen die Schwierig¬
sten, die der vorgeschlagnen Neuregelung der Strafverfolgung im Wege stehn,
"lebt unüberwindbar zu sein. Der Nutzen aber liegt auf der Hand.
Bei unserm Falle würde sich der Staatsanwalt alsbald nach Empfang
der Nachricht, und bevor sich die Beteiligten in alle Winde zerstreuen konnten,
Ort und Stelle zu begeben und sie hier, während sie noch unter dem
Mischen Eindruck des Erlebten stünden, auch sich noch nicht über die zu
Machenden Aussagen im einzelnen verständigen konnten, zu vernehmen haben.
Von Petersen würde er sich die Medizinflasche vorzeigen lassen oder durch
Nachfragen in der Apotheke alsbald die Richtigkeit seiner Angaben feststellen
Grenzboten II 1905 46
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