Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Das alte Preußen vor ^306 ein wirkliches Gesamtbewußtsein noch auch nur einen gemeinsamen amtlichen Rechtlich war der König absolut, in ihm vereinigten sich noch nach dem Das alte Preußen vor ^306 ein wirkliches Gesamtbewußtsein noch auch nur einen gemeinsamen amtlichen Rechtlich war der König absolut, in ihm vereinigten sich noch nach dem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0351" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297483"/> <fw type="header" place="top"> Das alte Preußen vor ^306</fw><lb/> <p xml:id="ID_1575" prev="#ID_1574"> ein wirkliches Gesamtbewußtsein noch auch nur einen gemeinsamen amtlichen<lb/> Namen; es gab einen „König von Preußen," aber nicht einen Staat Preußen,<lb/> diese Bezeichnung betraf nur die Provinz; wollte man das ganze Gebiet be¬<lb/> zeichnen, so sagte man: „Alle Seiner Königlichen Majestät Provincien und<lb/> Lande," etwa wie heute noch der Kaiser von Österreich amtlich nur von seinen<lb/> „Königreichen und Ländern," aber nicht von Österreich spricht. Auch die Ver¬<lb/> waltung war keineswegs wirklich zentralisiert. Das Generaldirektorium Friedrich<lb/> Wilhelms des Ersten (seit 1723) bestand von Anfang an aus Provinzial-<lb/> ministerien, die nur örtlich in Berlin zusammengefaßt waren, und deren es da¬<lb/> mals (1806) nach den großen Gebietserwcrbungen des achtzehnten Jahrhunderts<lb/> fünf gab, Brandenburg, Pommern und Südpreußen (d. i. Posen), Ost-, West-<lb/> und Neuostpreußen (d. i. das nordöstliche Russisch-Polen), Schlesien, die nieder¬<lb/> sächsischen und die westfälischen Lande, Ansbach-Bayreuth und Neufchatel, eine<lb/> Einteilung, die beiläufig gar nicht danach fragte, ob die Provinz zum Deutschen<lb/> Reiche gehöre oder nicht, denn in der Tat war das damals gleichgiltig. Damit<lb/> verband sich eine Reihe von Fachministerien für Justiz, Handel und Fabrik¬<lb/> wesen, aber es gab keine Generalstaatskasse, eine Übersicht über die Einnahmen<lb/> und die Ausgaben des Staats hatte somit außer dem Könige niemand. Auch das<lb/> Recht, das Steuerwesen, die Militärpflicht waren in den verschiednen Landesteilen<lb/> verschieden geordnet. So war der König ganz persönlich der Mittelpunkt, ja<lb/> die bewegende Kraft des Staats; alle Beamten galten der Idee nach als Voll¬<lb/> strecker seines persönlichen Willens. Aus dieser Stellung ergab sich die Not¬<lb/> wendigkeit und die Bedeutung des Geheimen Kabinetts, das die Eingänge an<lb/> ihn und die von ihm ausgehenden Anordnungen vermittelte; die Minister ver¬<lb/> kehrten amtlich gar nicht mit ihm.</p><lb/> <p xml:id="ID_1576" next="#ID_1577"> Rechtlich war der König absolut, in ihm vereinigten sich noch nach dem<lb/> Allgemeinen Landrecht alle Rechte und Pflichten des Staats gegen seine<lb/> Bürger, ihm stand das Recht zu, Gesetze zu geben, auszulegen und wieder auf¬<lb/> zuheben. Die alten Landstünde bestanden nur in den westlichen Provinzen in<lb/> ihrer alten Wirksamkeit fort, in den ostelbischen Provinzen, den Kernländern des<lb/> Staats, waren sie politisch machtlos, in Schlesien, in Westpreußen und in den<lb/> später erworbnen polnischen Provinzen fehlten sie ganz. Aber ihre soziale Be¬<lb/> deutung war unerschüttert, denn die Bevölkerung war noch wie damals überall<lb/> ständisch gegliedert in Adel, Bürger und Bauern, die sich beinahe kastenartig<lb/> voneinander abschlossen, und zwar mit dem entschiedensten Übergewicht des<lb/> Adels, der Rittergutsbesitzer, und in den untern Verbänden übten sie auch<lb/> auf die Verwaltung noch einen großen Einfluß. Neben den ausgedehnten Do¬<lb/> mänen, die im Durchschnitt etwa den dritten Teil des gesamten Grund und<lb/> Bodens umfaßten — in Preußen sogar 326054 von 518756 Hufen, im<lb/> Kammerbezirk Gumbinnen allein 117 510 Hufen von 137851 —, standen die<lb/> steuerrätlichen Kreise für die accisenpflichtigen Städte und die landrätlichen<lb/> Kreise für die Rittergüter, deren Besitzer mit einigen Kommissären der Regierung<lb/> Kreistag bildeten und über die Erhebung der ländlichen Steuern, vor allem<lb/> bäuerlichen Grundsteuern beschlossen. Im ganzen Osten herrschten die Do¬<lb/> mänen und die Rittergüter vor, also die königlichen und die adlichen Grund-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0351]
Das alte Preußen vor ^306
ein wirkliches Gesamtbewußtsein noch auch nur einen gemeinsamen amtlichen
Namen; es gab einen „König von Preußen," aber nicht einen Staat Preußen,
diese Bezeichnung betraf nur die Provinz; wollte man das ganze Gebiet be¬
zeichnen, so sagte man: „Alle Seiner Königlichen Majestät Provincien und
Lande," etwa wie heute noch der Kaiser von Österreich amtlich nur von seinen
„Königreichen und Ländern," aber nicht von Österreich spricht. Auch die Ver¬
waltung war keineswegs wirklich zentralisiert. Das Generaldirektorium Friedrich
Wilhelms des Ersten (seit 1723) bestand von Anfang an aus Provinzial-
ministerien, die nur örtlich in Berlin zusammengefaßt waren, und deren es da¬
mals (1806) nach den großen Gebietserwcrbungen des achtzehnten Jahrhunderts
fünf gab, Brandenburg, Pommern und Südpreußen (d. i. Posen), Ost-, West-
und Neuostpreußen (d. i. das nordöstliche Russisch-Polen), Schlesien, die nieder¬
sächsischen und die westfälischen Lande, Ansbach-Bayreuth und Neufchatel, eine
Einteilung, die beiläufig gar nicht danach fragte, ob die Provinz zum Deutschen
Reiche gehöre oder nicht, denn in der Tat war das damals gleichgiltig. Damit
verband sich eine Reihe von Fachministerien für Justiz, Handel und Fabrik¬
wesen, aber es gab keine Generalstaatskasse, eine Übersicht über die Einnahmen
und die Ausgaben des Staats hatte somit außer dem Könige niemand. Auch das
Recht, das Steuerwesen, die Militärpflicht waren in den verschiednen Landesteilen
verschieden geordnet. So war der König ganz persönlich der Mittelpunkt, ja
die bewegende Kraft des Staats; alle Beamten galten der Idee nach als Voll¬
strecker seines persönlichen Willens. Aus dieser Stellung ergab sich die Not¬
wendigkeit und die Bedeutung des Geheimen Kabinetts, das die Eingänge an
ihn und die von ihm ausgehenden Anordnungen vermittelte; die Minister ver¬
kehrten amtlich gar nicht mit ihm.
Rechtlich war der König absolut, in ihm vereinigten sich noch nach dem
Allgemeinen Landrecht alle Rechte und Pflichten des Staats gegen seine
Bürger, ihm stand das Recht zu, Gesetze zu geben, auszulegen und wieder auf¬
zuheben. Die alten Landstünde bestanden nur in den westlichen Provinzen in
ihrer alten Wirksamkeit fort, in den ostelbischen Provinzen, den Kernländern des
Staats, waren sie politisch machtlos, in Schlesien, in Westpreußen und in den
später erworbnen polnischen Provinzen fehlten sie ganz. Aber ihre soziale Be¬
deutung war unerschüttert, denn die Bevölkerung war noch wie damals überall
ständisch gegliedert in Adel, Bürger und Bauern, die sich beinahe kastenartig
voneinander abschlossen, und zwar mit dem entschiedensten Übergewicht des
Adels, der Rittergutsbesitzer, und in den untern Verbänden übten sie auch
auf die Verwaltung noch einen großen Einfluß. Neben den ausgedehnten Do¬
mänen, die im Durchschnitt etwa den dritten Teil des gesamten Grund und
Bodens umfaßten — in Preußen sogar 326054 von 518756 Hufen, im
Kammerbezirk Gumbinnen allein 117 510 Hufen von 137851 —, standen die
steuerrätlichen Kreise für die accisenpflichtigen Städte und die landrätlichen
Kreise für die Rittergüter, deren Besitzer mit einigen Kommissären der Regierung
Kreistag bildeten und über die Erhebung der ländlichen Steuern, vor allem
bäuerlichen Grundsteuern beschlossen. Im ganzen Osten herrschten die Do¬
mänen und die Rittergüter vor, also die königlichen und die adlichen Grund-
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