Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Herrenmenschen sogenannte Gewissen, wenn man auch vom wissenschaftlichen Standpunkt aus sagen Inzwischen hatte die Frau Michel Kondrot beruhigt und ins Bett gebracht. Sein Gebet! Er betete ja nie. Seine wissenschaftliche Überzeugung machte Als er das Haus verlassen hatte und draußen in dunkler Nacht stand, hatte Als er am andern Morgen Tauenden beim Kaffee sein nächtliches Abenteuer Und auf Alkohol, meinte der Doktor. Jedenfalls wären ein paar Tropfen Opium nicht zum Schaden, meinte Tauenden Erstaunter aber, als Tauenden hingegangen war, kam sie zurück. Die Tropfen Aber Tauenden, sagte der Doktor, ich bin doch kein Pastor. Haben Sie ihm O ja, sagte Tauenden, aber er wollte es nicht gelten lassen. Jakobus um Herrenmenschen sogenannte Gewissen, wenn man auch vom wissenschaftlichen Standpunkt aus sagen Inzwischen hatte die Frau Michel Kondrot beruhigt und ins Bett gebracht. Sein Gebet! Er betete ja nie. Seine wissenschaftliche Überzeugung machte Als er das Haus verlassen hatte und draußen in dunkler Nacht stand, hatte Als er am andern Morgen Tauenden beim Kaffee sein nächtliches Abenteuer Und auf Alkohol, meinte der Doktor. Jedenfalls wären ein paar Tropfen Opium nicht zum Schaden, meinte Tauenden Erstaunter aber, als Tauenden hingegangen war, kam sie zurück. Die Tropfen Aber Tauenden, sagte der Doktor, ich bin doch kein Pastor. Haben Sie ihm O ja, sagte Tauenden, aber er wollte es nicht gelten lassen. Jakobus um <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0338" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297470"/> <fw type="header" place="top"> Herrenmenschen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1506" prev="#ID_1505"> sogenannte Gewissen, wenn man auch vom wissenschaftlichen Standpunkt aus sagen<lb/> muß, daß es das Wahngebilde eines unklaren Willens, das Resultat einer falsch<lb/> gerichteten Selbstzüchtung des Menschengeschlechts ist? Dem Schreien eines solchen<lb/> Gewissens gegenüber ist es nicht zu verwundern, daß der Mensch an Teufel und<lb/> Hölle glaubt. So reflektierte der Doktor in schnellem Fluge der Gedanken.</p><lb/> <p xml:id="ID_1507"> Inzwischen hatte die Frau Michel Kondrot beruhigt und ins Bett gebracht.<lb/> Und er hatte sichs gefallen lassen wie ein krankes Kind. Jetzt lag er still und<lb/> schluchzte, und die Frau tat ihm Zusprache in litauischen Worten in freundlichem<lb/> und tröstlichen Ton. Darauf trat sie zurück und stellte einen Stuhl vor das Bett,<lb/> was die Aufforderung bedeutete, der Doktor möchte sich dort hinsetzen. Das tat<lb/> er denn auch, und nun hätte er fortfahren sollen, zuzureden und zu beruhigen. Er<lb/> konnte es nicht. Er fühlte zu seiner Überraschung und Beschämung, daß ihm<lb/> gänzlich die Fähigkeit abging zu einer ganz einfachen Sache, zu einer Kunst, die<lb/> das Weib aus dem Volke wie etwas Selbstverständliches übte. Es fiel ihni nicht<lb/> ein einziges Wort ein, das hier angemessenerweise hätte gesagt werden können.<lb/> Woran lag das? Um wenigstens etwas zu tun, nahm er die Hand Kondrots und<lb/> fühlte nach dem Puls. Kondrot fuhr mit beiden Händen zu, drückte die Hand<lb/> Rainborns und ächzte: Helfen Sie, helfen Sie! Ach, wer kann mir helfen? Aber<lb/> beten Sie. Für eine Verlorne Seele beten ist doch wohl keine Sünde. Versprechen<lb/> Sie mirs, schließen Sie mich in Ihr Gebet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1508"> Sein Gebet! Er betete ja nie. Seine wissenschaftliche Überzeugung machte<lb/> ihm ja das Gebet unmöglich. Aber es war auch unmöglich, dieses dem Manne<lb/> in diesem Augenblick klar zu machen. Er sagte also etwas, was wie eine Zusage<lb/> verstanden werden konnte. Kondrot atmete erleichtert auf, faltete die Hände und<lb/> versank in Apathie. Beim Gehn versprach Namborn der Frau, am nächsten Morgen<lb/> Tropfen zu schicken, wobei er an Tantchens Medizinkasten dachte. Ein paar Tropfen<lb/> Opium konnten ja keinesfalls schaden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1509"> Als er das Haus verlassen hatte und draußen in dunkler Nacht stand, hatte<lb/> er das Gefühl eines, der geglaubt hatte, den Weg ganz sicher zu kennen, und der<lb/> ihn doch verloren hatte. Wie einfach gestalten sich die Verhältnisse des Lebens, wenn<lb/> man sie philosophisch ordnet, und wie verwickelt sind sie in Wirklichkeit. Man glaubt<lb/> seiner Einsicht ganz sicher zu sein und gerät vor Abgründe, über die keine Brücke<lb/> hinüber führt. Diese Gedanken beunruhigten den Doktor ernstlich. Zuhause an¬<lb/> gekommen las er noch ein paar Kapitel Zarathustra und legte sich dann in dem<lb/> Troste nieder, seinen Fernblick wiedergewonnen zu haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1510"> Als er am andern Morgen Tauenden beim Kaffee sein nächtliches Abenteuer<lb/> berichtete, war diese höchlichst erstaunt. Es war richtig, Kondrot gehörte zu den<lb/> Surinkimas, das war eine Gemeinschaft auserwählter Frommer, die ihre eignen<lb/> Versammlungen und Verkündiger hatten, ohne jedoch aus der Kirche ausgetreten<lb/> zu sei«. Vielmehr besuchten diese Leute auch hin und wieder den Gemeindegottcs-<lb/> dienst, um deu Pastor auf seine Rechtgläubigkeit zu kontrollieren. Und Kondrot<lb/> war der Apsakytojis, der Verkündiger seiner Leute. Und dieser Mann — daß er<lb/> trinke, wurde ja behauptet, aber das war ja nichts besondres — sollte die Zufälle<lb/> eines Menschen haben, der am Delirium leidet? Sie mochten wohl, meinte Tauenden,<lb/> auf religiöser Überspannung beruhen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1511"> Und auf Alkohol, meinte der Doktor.</p><lb/> <p xml:id="ID_1512"> Jedenfalls wären ein paar Tropfen Opium nicht zum Schaden, meinte Tauenden<lb/> und rüstete ihren Pompadour.</p><lb/> <p xml:id="ID_1513"> Erstaunter aber, als Tauenden hingegangen war, kam sie zurück. Die Tropfen<lb/> waren nicht nötig gewesen. Kondrot hatte sich ganz ruhig und verständig gezeigt<lb/> und hatte nach dem Doktor verlangt, er müsse beichten. Er könne auch ihr, dem<lb/> Tauenden, nicht sagen, was er auf dem Herzen habe.</p><lb/> <p xml:id="ID_1514"> Aber Tauenden, sagte der Doktor, ich bin doch kein Pastor. Haben Sie ihm<lb/> das nicht gesagt?</p><lb/> <p xml:id="ID_1515" next="#ID_1516"> O ja, sagte Tauenden, aber er wollte es nicht gelten lassen. Jakobus um</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0338]
Herrenmenschen
sogenannte Gewissen, wenn man auch vom wissenschaftlichen Standpunkt aus sagen
muß, daß es das Wahngebilde eines unklaren Willens, das Resultat einer falsch
gerichteten Selbstzüchtung des Menschengeschlechts ist? Dem Schreien eines solchen
Gewissens gegenüber ist es nicht zu verwundern, daß der Mensch an Teufel und
Hölle glaubt. So reflektierte der Doktor in schnellem Fluge der Gedanken.
Inzwischen hatte die Frau Michel Kondrot beruhigt und ins Bett gebracht.
Und er hatte sichs gefallen lassen wie ein krankes Kind. Jetzt lag er still und
schluchzte, und die Frau tat ihm Zusprache in litauischen Worten in freundlichem
und tröstlichen Ton. Darauf trat sie zurück und stellte einen Stuhl vor das Bett,
was die Aufforderung bedeutete, der Doktor möchte sich dort hinsetzen. Das tat
er denn auch, und nun hätte er fortfahren sollen, zuzureden und zu beruhigen. Er
konnte es nicht. Er fühlte zu seiner Überraschung und Beschämung, daß ihm
gänzlich die Fähigkeit abging zu einer ganz einfachen Sache, zu einer Kunst, die
das Weib aus dem Volke wie etwas Selbstverständliches übte. Es fiel ihni nicht
ein einziges Wort ein, das hier angemessenerweise hätte gesagt werden können.
Woran lag das? Um wenigstens etwas zu tun, nahm er die Hand Kondrots und
fühlte nach dem Puls. Kondrot fuhr mit beiden Händen zu, drückte die Hand
Rainborns und ächzte: Helfen Sie, helfen Sie! Ach, wer kann mir helfen? Aber
beten Sie. Für eine Verlorne Seele beten ist doch wohl keine Sünde. Versprechen
Sie mirs, schließen Sie mich in Ihr Gebet.
Sein Gebet! Er betete ja nie. Seine wissenschaftliche Überzeugung machte
ihm ja das Gebet unmöglich. Aber es war auch unmöglich, dieses dem Manne
in diesem Augenblick klar zu machen. Er sagte also etwas, was wie eine Zusage
verstanden werden konnte. Kondrot atmete erleichtert auf, faltete die Hände und
versank in Apathie. Beim Gehn versprach Namborn der Frau, am nächsten Morgen
Tropfen zu schicken, wobei er an Tantchens Medizinkasten dachte. Ein paar Tropfen
Opium konnten ja keinesfalls schaden.
Als er das Haus verlassen hatte und draußen in dunkler Nacht stand, hatte
er das Gefühl eines, der geglaubt hatte, den Weg ganz sicher zu kennen, und der
ihn doch verloren hatte. Wie einfach gestalten sich die Verhältnisse des Lebens, wenn
man sie philosophisch ordnet, und wie verwickelt sind sie in Wirklichkeit. Man glaubt
seiner Einsicht ganz sicher zu sein und gerät vor Abgründe, über die keine Brücke
hinüber führt. Diese Gedanken beunruhigten den Doktor ernstlich. Zuhause an¬
gekommen las er noch ein paar Kapitel Zarathustra und legte sich dann in dem
Troste nieder, seinen Fernblick wiedergewonnen zu haben.
Als er am andern Morgen Tauenden beim Kaffee sein nächtliches Abenteuer
berichtete, war diese höchlichst erstaunt. Es war richtig, Kondrot gehörte zu den
Surinkimas, das war eine Gemeinschaft auserwählter Frommer, die ihre eignen
Versammlungen und Verkündiger hatten, ohne jedoch aus der Kirche ausgetreten
zu sei«. Vielmehr besuchten diese Leute auch hin und wieder den Gemeindegottcs-
dienst, um deu Pastor auf seine Rechtgläubigkeit zu kontrollieren. Und Kondrot
war der Apsakytojis, der Verkündiger seiner Leute. Und dieser Mann — daß er
trinke, wurde ja behauptet, aber das war ja nichts besondres — sollte die Zufälle
eines Menschen haben, der am Delirium leidet? Sie mochten wohl, meinte Tauenden,
auf religiöser Überspannung beruhen.
Und auf Alkohol, meinte der Doktor.
Jedenfalls wären ein paar Tropfen Opium nicht zum Schaden, meinte Tauenden
und rüstete ihren Pompadour.
Erstaunter aber, als Tauenden hingegangen war, kam sie zurück. Die Tropfen
waren nicht nötig gewesen. Kondrot hatte sich ganz ruhig und verständig gezeigt
und hatte nach dem Doktor verlangt, er müsse beichten. Er könne auch ihr, dem
Tauenden, nicht sagen, was er auf dem Herzen habe.
Aber Tauenden, sagte der Doktor, ich bin doch kein Pastor. Haben Sie ihm
das nicht gesagt?
O ja, sagte Tauenden, aber er wollte es nicht gelten lassen. Jakobus um
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |