Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Deutschland und die ünßere Politik Frankreichs Kriegführung in der Mandschurei zu vergegenwärtigen, ebensowenig wie die Grenzlwten II 1905'I
Deutschland und die ünßere Politik Frankreichs Kriegführung in der Mandschurei zu vergegenwärtigen, ebensowenig wie die Grenzlwten II 1905'I
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Deutschland und die ünßere Politik Frankreichs
Kriegführung in der Mandschurei zu vergegenwärtigen, ebensowenig wie die
eigentümlichen Verhältnisse des slawischen Niesenreichs im Innern, Das Urteil
über den einst vergötterten Zaren war fertig, und nur der gute» Disziplin der
vernünftigen Presse ist es zu danken, daß nicht das ganze Publikum in das
wüste Geschrei der Sozialdemokratie in Masseiwersammluug lind Presse mit ein¬
stimmte. Nur mit Mühe konnte Delcasse in der Deputiertenkammer gegenüber
dem wütenden Gebaren der Sozialisten gegen den „Mörder" und „Schlächter"
in Petersburg die Stimme der Vernunft zur Geltung bringen. Kein Zweifel,
der gebildete Teil des Bürgertums folgt ebenfalls nur sehr kühlen Berechnungen,
wenn er für Beibehaltung des Zwcibundes eintritt. Man steigt in die Nkten-
kammern vergangner Jahrhunderte, um die „Natürlichkeit" des russisch-franzö¬
sischen Bündnisses nachzuweisen. Wie ehemals Türkei,, Polen und Schweden, so
seien heute die Russen die gegebnen Waffengenossen gegen Deutschland. Das habe
schon Peter der Große erkannt, der 1717 Philipp von Orleans ein Bündnis
mit den Worten anbot: „Ich werde für Sie den alten Platz Polens, der Türkei
und Schwedens einnehmen." Das habe auch Bismarck bestätigt, der im Jahre
1856 ein russisch-französisches Bündnis als in der Natur der Dinge liegend
erklärte. Nun ist mit solchen Zitaten gemeiniglich sehr wenig anzufangen, da
man leicht ebensoviel Aussprüche ausgraben kann, die das Gegenteil zu be¬
weisen geeignet sind; auch gibt es keine feststehenden Wahrheiten in der Politik,
bei der'alles im rastlosen Fluß ist. Die Sully, Richelieu und Mazarin be¬
trachteten sich als die gegebnen Verbündeten der deutschen Protestanten, in¬
sonderheit Brandenburgs. Will der vou Delcasse inspirierte romxs, der das
Kunststück, mit Nußland und England zugleich zu liebäugeln, täglich im Schweiße
seines Angesichts übt, vielleicht auch die Politik dieser alte» Meister der fran¬
zösischen Diplomatie als heute noch wegweisend betrachte»? Wie dem auch sei,
in solchen gewundnen Deduktionen spricht nüchterne Berechnung und keine
warme Freundschaft. Darum glaube mau aber ja nicht, daß der Zweibund für
uns an Gefährlichkeit verloren habe. Nußland braucht nur zu winken, wenn es
Frankreich wieder ganz beherrschen will: es kostet ihm nur eine Frontveränderuug
gegen Deutschland. Frankreich würde mit Freudentränen den Japanern, den
Venezolanern, den Hvtteuwtteu in die Arme sinken, wenn diese für Revision
des Frankfurter Friedens eintreten wollten, und es sollte die russische Buudes-
brüderschaft verschmähen? Die Republik ist immer und in jedem Augenblick
bereit, gegen Deutschland loszuschlagen, wenn sich eine dritte Macht bereit findet,
ihr die elsaß - lothringischen Kastanien aus dem Feuer zu holen und die Ver¬
sicherungsprämie gegen ein neues Sedan zu zahlen. Jedoch die Annäherung
Rußlands an Deutschland hat das Bild verändert; einem gegen Berlin marsch¬
bereiten Nußland würde man die Massacres von Petersburg gern verzeihen,
über die mau jetzt aus Rand und Band ist, weil man die Russen eben über-
Haupt nicht kennt. (schind folgt)
Grenzlwten II 1905'I
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