Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.La Fontaine und das Glück zusnchen, die gemeint war. Wir Deutschen tun das ebenso willig und unver¬ Was uns als Glück bezeichnet wird, und was uns den wohltuender Ein- La Fontaine und das Glück zusnchen, die gemeint war. Wir Deutschen tun das ebenso willig und unver¬ Was uns als Glück bezeichnet wird, und was uns den wohltuender Ein- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0323" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297455"/> <fw type="header" place="top"> La Fontaine und das Glück</fw><lb/> <p xml:id="ID_1432" prev="#ID_1431"> zusnchen, die gemeint war. Wir Deutschen tun das ebenso willig und unver¬<lb/> drossen wie, in der Regel, mit einer Feinfühligkeit, die so allgemein ist, daß<lb/> sich niemand etwas besondres auf sie zugute tut. Kaum ist uns das Glück,<lb/> das doch sächlichen Geschlechts ist, als eine launenhafte, am liebsten auf einer<lb/> schillernden Seifenblase reisende Göttin gezeigt worden, erfahren wir im nächsten<lb/> Augenblick, daß wir es bannen, ergreifen, dauernd genießen, verdienen, ver¬<lb/> scherzen und — was das ärgste ist — einem Nebenmenschen verdanken können:<lb/> die schöne, spärlich gekleidete Göttin, deren Altäre von den Lotteriekollekteuren<lb/> dauernd bekränzt werden, hat im Handumdrehen einem abstrakten Begriffe Platz<lb/> gemacht, die in allen Farben des Regenbogens schillernde Seifenblase ist ver¬<lb/> schwunden, und wo eben noch Unberechenbares den Ausschlag gab, pontifizieren<lb/> Beharrlichkeit, Düimbohrigkeit und Pflichteifer. Eben ist uns gesagt worden,<lb/> das Glück breche wie Glas, und gleich darauf wird uns versichert, es lasse sich<lb/> schmieden; ja auch wir, die wir der strammfäustigsten aller Professionen fern<lb/> stehn, könnten das erproben, denn jeder sei seines Glückes Schmied. Welches<lb/> Glück im einzelnen Falle gemeint ist, ob das zerbrechliche, der zerplatzenden<lb/> Seifenblase verwandte oder das solide, metallne, dem Feuer und dem Amboß<lb/> standhaltende, sagt uns niemand als unser kleiner Finger, wenn wir den zu<lb/> fragen verstehn, und wenn er uns nicht gar zu orakelhaft zu antworten ge¬<lb/> ruht. Da das Glück beim Glücksspiel, beim Glücksrad, beim Glückstopf nach<lb/> dem, was uns der Dichter, der Philosoph und die Waschfrau versichern, dem<lb/> ersten besten Schläfer in den Schoß fällt, so hätten wir es nach dem überein¬<lb/> stimmenden Zeugnisse dieser untrüglichen Stimmen mit einer im einzelnen Falle<lb/> durch einen beliebigen Windstoß zugewehten Gabe des Zufalls zu tun, und doch<lb/> jagt der Glücksritter dem Glücke auf gespenstischem Rosse über unbeachtet ge¬<lb/> lassene Abgründe nach, und bisweilen — nicht allzuoft — erfaßt ers wirklich<lb/> beim Kragen. Soll man dem Dichter, dem Philosophen, der aus dem Kaffee¬<lb/> satz weissagenden Sibylle glauben und das große Los schlafend erwarten, oder<lb/> soll man sich, in Ermanglung eines flüchtigern Renners, auf den ermatteten<lb/> Pegasus setzen und über dyspeptische Kritik und ladenhütermüde Verleger hin¬<lb/> weg an dein halsbrecherischen Nennen um Notorietüt teilnehmen? Flüchtig und<lb/> Unstet soll das Glück sein, und doch wird uns die Lehre gegeben: Lerne nur<lb/> das Glück ergreife», denn das Glück ist immer nah. Wir werden nicht müde,<lb/> Bekannten und Freunden mit Worten, Briefen und Karten zu allen möglichen<lb/> Und unmöglichen Gelegenheiten Glück zu wünschen und wissen doch recht gut,<lb/> °aß unsre bestgemeinten Wünsche nicht einmal die Konsistenz einer Seifenblase<lb/> haben, daß sie von dem Glück, das sie zu bringen vermeinen oder vorgeben,<lb/> 'Acht die äußersten Flügelspitzen zu erfasse» vermögen, und daß sie im besten<lb/> Halle nur farb- und geruchlose Eintagsblüten unsers Wohlwollens sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_1433" next="#ID_1434"> Was uns als Glück bezeichnet wird, und was uns den wohltuender Ein-<lb/> ^nel des Wünschenswerten, zu Erstrebenden macht, ist, wenn ihm keine Deutung<lb/> ^geben wird, ein Chaos von Begriffen, worin wir uns nur dank unserm<lb/> guten Willen und auch nur ungefähr zurechtfinden. Unsre Nachbarn die<lb/> manzosen und unsre Vettern die Engländer nehmen doch etwas mehr Anlauf<lb/> on Unterscheidungen, obwohl auch bei ihnen der Sprachgebrauch mehrfach</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0323]
La Fontaine und das Glück
zusnchen, die gemeint war. Wir Deutschen tun das ebenso willig und unver¬
drossen wie, in der Regel, mit einer Feinfühligkeit, die so allgemein ist, daß
sich niemand etwas besondres auf sie zugute tut. Kaum ist uns das Glück,
das doch sächlichen Geschlechts ist, als eine launenhafte, am liebsten auf einer
schillernden Seifenblase reisende Göttin gezeigt worden, erfahren wir im nächsten
Augenblick, daß wir es bannen, ergreifen, dauernd genießen, verdienen, ver¬
scherzen und — was das ärgste ist — einem Nebenmenschen verdanken können:
die schöne, spärlich gekleidete Göttin, deren Altäre von den Lotteriekollekteuren
dauernd bekränzt werden, hat im Handumdrehen einem abstrakten Begriffe Platz
gemacht, die in allen Farben des Regenbogens schillernde Seifenblase ist ver¬
schwunden, und wo eben noch Unberechenbares den Ausschlag gab, pontifizieren
Beharrlichkeit, Düimbohrigkeit und Pflichteifer. Eben ist uns gesagt worden,
das Glück breche wie Glas, und gleich darauf wird uns versichert, es lasse sich
schmieden; ja auch wir, die wir der strammfäustigsten aller Professionen fern
stehn, könnten das erproben, denn jeder sei seines Glückes Schmied. Welches
Glück im einzelnen Falle gemeint ist, ob das zerbrechliche, der zerplatzenden
Seifenblase verwandte oder das solide, metallne, dem Feuer und dem Amboß
standhaltende, sagt uns niemand als unser kleiner Finger, wenn wir den zu
fragen verstehn, und wenn er uns nicht gar zu orakelhaft zu antworten ge¬
ruht. Da das Glück beim Glücksspiel, beim Glücksrad, beim Glückstopf nach
dem, was uns der Dichter, der Philosoph und die Waschfrau versichern, dem
ersten besten Schläfer in den Schoß fällt, so hätten wir es nach dem überein¬
stimmenden Zeugnisse dieser untrüglichen Stimmen mit einer im einzelnen Falle
durch einen beliebigen Windstoß zugewehten Gabe des Zufalls zu tun, und doch
jagt der Glücksritter dem Glücke auf gespenstischem Rosse über unbeachtet ge¬
lassene Abgründe nach, und bisweilen — nicht allzuoft — erfaßt ers wirklich
beim Kragen. Soll man dem Dichter, dem Philosophen, der aus dem Kaffee¬
satz weissagenden Sibylle glauben und das große Los schlafend erwarten, oder
soll man sich, in Ermanglung eines flüchtigern Renners, auf den ermatteten
Pegasus setzen und über dyspeptische Kritik und ladenhütermüde Verleger hin¬
weg an dein halsbrecherischen Nennen um Notorietüt teilnehmen? Flüchtig und
Unstet soll das Glück sein, und doch wird uns die Lehre gegeben: Lerne nur
das Glück ergreife», denn das Glück ist immer nah. Wir werden nicht müde,
Bekannten und Freunden mit Worten, Briefen und Karten zu allen möglichen
Und unmöglichen Gelegenheiten Glück zu wünschen und wissen doch recht gut,
°aß unsre bestgemeinten Wünsche nicht einmal die Konsistenz einer Seifenblase
haben, daß sie von dem Glück, das sie zu bringen vermeinen oder vorgeben,
'Acht die äußersten Flügelspitzen zu erfasse» vermögen, und daß sie im besten
Halle nur farb- und geruchlose Eintagsblüten unsers Wohlwollens sind.
Was uns als Glück bezeichnet wird, und was uns den wohltuender Ein-
^nel des Wünschenswerten, zu Erstrebenden macht, ist, wenn ihm keine Deutung
^geben wird, ein Chaos von Begriffen, worin wir uns nur dank unserm
guten Willen und auch nur ungefähr zurechtfinden. Unsre Nachbarn die
manzosen und unsre Vettern die Engländer nehmen doch etwas mehr Anlauf
on Unterscheidungen, obwohl auch bei ihnen der Sprachgebrauch mehrfach
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