Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Schulhaß und Heeresscheu Daß die griechische Sprache schön ist, habe ich in der Schule, im Verkehr Eine schwere Arbcitlast ruht auf den Schultern eines Schülers, der sich Als ich das schwierige Pensum der Untertertia zu bewältigen hatte, ging Es lernt sich schwer, wenn man im Herzen die Sorge um ein Wesen trägt, Schulhaß und Heeresscheu Daß die griechische Sprache schön ist, habe ich in der Schule, im Verkehr Eine schwere Arbcitlast ruht auf den Schultern eines Schülers, der sich Als ich das schwierige Pensum der Untertertia zu bewältigen hatte, ging Es lernt sich schwer, wenn man im Herzen die Sorge um ein Wesen trägt, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0311" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297443"/> <fw type="header" place="top"> Schulhaß und Heeresscheu</fw><lb/> <p xml:id="ID_1396"> Daß die griechische Sprache schön ist, habe ich in der Schule, im Verkehr<lb/> mit den Schulklassikern nie empfunden. Einen Schimmer ihrer Schönheit fing<lb/> ich auf, als ich las, wie Frau Hadwig deu Musterschüler Burkard den Antiphon<lb/> 'I'lmIn.Mi p«tiuni, ez»I»^it<z ton K^lion lehrte und Praxedis //»Aev, </,/^<lb/> /roAtv, ?k.era(/«t; saug. Ans dem Gran der Klassikeransgabcn<lb/> leuchtete mir dieser Schimmer nie auf, Wenn ich ruhig und ohne jede Vvr-<lb/> eingenvnnnenhcit gegen meine Lehrer, deren Fehler die Mängel der Schul-<lb/> ordnung waren, und die much mit gebnndnen Händen mich reich beschenkten,<lb/> die Eindrücke prüfe, die die Klassikerlektüre auf mich gemacht hat, so muß ich<lb/> bitter die vergeudete Kraft bedauern, die gewissenhafte Lehrer an die Inter¬<lb/> pretation und wir Schüler — minder gewissenhaft und trotzdem übermäßig an¬<lb/> gestrengt — an das Abspülen des riesigen lateinischen und griechischen Wörter¬<lb/> fadens unsrer Schullektüre wenden mußten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1397"> Eine schwere Arbcitlast ruht auf den Schultern eines Schülers, der sich<lb/> bemüht, den Anforderungen einer Mittelschule zu genügen. Erdrückend wird<lb/> diese Last für einen jungen Menschen, dessen Arbcittraft häusliche Sorgen<lb/> lahmen. Mau überschätzt die Verbreitung des Leichtsinns. Vielen Schülern<lb/> fehlt er ganz. Und Sorgen, häusliche Sorgen hat jedes, auch das jüngste<lb/> Herz, wenn es etwas zu lieben hat und lieben kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_1398"> Als ich das schwierige Pensum der Untertertia zu bewältigen hatte, ging<lb/> ich viele Wintcrwocheu lang jeden Morgen zuerst in die Küche zur Bratröhre.<lb/> Die diente unserm kranken Kätzchen als Nachtquartier. Sie erhielt die karge<lb/> Wärme, die das kurzlebige Herdfeuer ihr mitteilte, lange, und so wurde sie als<lb/> Krankenstübchm für das wärmebedürftige Tier verwandt. Gedanken und ge¬<lb/> braten wurde in ihr nicht. Die Sorge um die Katze verließ mich auch in der<lb/> Schule nicht. Aber der Ton der Schulglocke klang mir nicht so tröstlich und<lb/> verheißungsvoll wie dem jungen Kntzenfreunde Whittington das Geläute der<lb/> Londoner Glocken, das ihn als den künftigen Lordmahvr grüßte. Einen Teil<lb/> der Schuld, daß ich nicht eben glänzend aus der vierten in die fünfte Klasse<lb/> aufstieg, trug das rußige Ascheuputtelchen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1399" next="#ID_1400"> Es lernt sich schwer, wenn man im Herzen die Sorge um ein Wesen trägt,<lb/> das man liebt, auch wenn es nur eine Katze ist. Es lernt sich schwer, wenn<lb/> man in enger Gemeinschaft wohnend alle Sorgen der Eltern teilen muß, wenn<lb/> man ihre Angst vor dem Zusammenbruche des Hauses, das sie sich gebaut<lb/> haben, kennt, ans ihren Mienen und aus ihren Worten entnehmen kann, wie<lb/> nach das Verderben ist, und dem Geschick nur durch immer stärkere Einschränkung<lb/> aller Bedürfnisse, hungernd, frierend, passiven Widerstand zu leisten vermag,<lb/> Es lernt sich am schwersten, wenn Krankheit im Gefolge der Not einzieht, und<lb/> der Tod das junge Herz zum erstenmal beraubt. Eigentlich kann nur der<lb/> Lehrer die Leistung eines Schillers richtig würdigen, der weiß, wo und unter<lb/> welchen Verhältnissen der Schüler lernt. „Man denkt milde, ganz milde über<lb/> Mangelhafte Schularbeiten, wenn man in der Häuslichkeit des sie liefernden<lb/> Kindes gewesen ist." Das ist ein gutes Wort der Lehrerin, die im laufenden<lb/> Jahrgang der Grenzboten Erinnerungen und Erfahrungen veröffentlicht hat.<lb/> Die Schulordnungen und mit ihnen viele Lehrer setzen voraus, daß der Schüler</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0311]
Schulhaß und Heeresscheu
Daß die griechische Sprache schön ist, habe ich in der Schule, im Verkehr
mit den Schulklassikern nie empfunden. Einen Schimmer ihrer Schönheit fing
ich auf, als ich las, wie Frau Hadwig deu Musterschüler Burkard den Antiphon
'I'lmIn.Mi p«tiuni, ez»I»^it<z ton K^lion lehrte und Praxedis //»Aev, </,/^
/roAtv, ?k.era(/«t; saug. Ans dem Gran der Klassikeransgabcn
leuchtete mir dieser Schimmer nie auf, Wenn ich ruhig und ohne jede Vvr-
eingenvnnnenhcit gegen meine Lehrer, deren Fehler die Mängel der Schul-
ordnung waren, und die much mit gebnndnen Händen mich reich beschenkten,
die Eindrücke prüfe, die die Klassikerlektüre auf mich gemacht hat, so muß ich
bitter die vergeudete Kraft bedauern, die gewissenhafte Lehrer an die Inter¬
pretation und wir Schüler — minder gewissenhaft und trotzdem übermäßig an¬
gestrengt — an das Abspülen des riesigen lateinischen und griechischen Wörter¬
fadens unsrer Schullektüre wenden mußten.
Eine schwere Arbcitlast ruht auf den Schultern eines Schülers, der sich
bemüht, den Anforderungen einer Mittelschule zu genügen. Erdrückend wird
diese Last für einen jungen Menschen, dessen Arbcittraft häusliche Sorgen
lahmen. Mau überschätzt die Verbreitung des Leichtsinns. Vielen Schülern
fehlt er ganz. Und Sorgen, häusliche Sorgen hat jedes, auch das jüngste
Herz, wenn es etwas zu lieben hat und lieben kann.
Als ich das schwierige Pensum der Untertertia zu bewältigen hatte, ging
ich viele Wintcrwocheu lang jeden Morgen zuerst in die Küche zur Bratröhre.
Die diente unserm kranken Kätzchen als Nachtquartier. Sie erhielt die karge
Wärme, die das kurzlebige Herdfeuer ihr mitteilte, lange, und so wurde sie als
Krankenstübchm für das wärmebedürftige Tier verwandt. Gedanken und ge¬
braten wurde in ihr nicht. Die Sorge um die Katze verließ mich auch in der
Schule nicht. Aber der Ton der Schulglocke klang mir nicht so tröstlich und
verheißungsvoll wie dem jungen Kntzenfreunde Whittington das Geläute der
Londoner Glocken, das ihn als den künftigen Lordmahvr grüßte. Einen Teil
der Schuld, daß ich nicht eben glänzend aus der vierten in die fünfte Klasse
aufstieg, trug das rußige Ascheuputtelchen.
Es lernt sich schwer, wenn man im Herzen die Sorge um ein Wesen trägt,
das man liebt, auch wenn es nur eine Katze ist. Es lernt sich schwer, wenn
man in enger Gemeinschaft wohnend alle Sorgen der Eltern teilen muß, wenn
man ihre Angst vor dem Zusammenbruche des Hauses, das sie sich gebaut
haben, kennt, ans ihren Mienen und aus ihren Worten entnehmen kann, wie
nach das Verderben ist, und dem Geschick nur durch immer stärkere Einschränkung
aller Bedürfnisse, hungernd, frierend, passiven Widerstand zu leisten vermag,
Es lernt sich am schwersten, wenn Krankheit im Gefolge der Not einzieht, und
der Tod das junge Herz zum erstenmal beraubt. Eigentlich kann nur der
Lehrer die Leistung eines Schillers richtig würdigen, der weiß, wo und unter
welchen Verhältnissen der Schüler lernt. „Man denkt milde, ganz milde über
Mangelhafte Schularbeiten, wenn man in der Häuslichkeit des sie liefernden
Kindes gewesen ist." Das ist ein gutes Wort der Lehrerin, die im laufenden
Jahrgang der Grenzboten Erinnerungen und Erfahrungen veröffentlicht hat.
Die Schulordnungen und mit ihnen viele Lehrer setzen voraus, daß der Schüler
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |