Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Straßburg und Metz noch Köln. Mainz und Aachen der roten Marianne zu Bei dieser Sachlage ist es erklärlich, daß man hier in Paris mit fast Straßburg und Metz noch Köln. Mainz und Aachen der roten Marianne zu Bei dieser Sachlage ist es erklärlich, daß man hier in Paris mit fast <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0031" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297163"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_43" prev="#ID_42"> Straßburg und Metz noch Köln. Mainz und Aachen der roten Marianne zu<lb/> Füßen legen? Man kann als Mensch die stärksten Sympathien für Frankreich<lb/> haben, und diese Nation verdient sie vielleicht gerade wegen ihres hochgemuten<lb/> Patriotismus, als deutscher Politiker hat man aber keine Wahl: solange das<lb/> französische Volk nicht ehrlich die im Frankfurter Frieden festgelegte Gestaltung<lb/> der Dinge als für alle Zeiten maßgebend anerkennt, müssen wir den französischen<lb/> Einfluß in politischen Dingen mit allen Mitteln und überall bekämpfen, denn<lb/> nur ein ohnmächtiges Frankreich ist ein friedlicher Nachbar.</p><lb/> <p xml:id="ID_44" next="#ID_45"> Bei dieser Sachlage ist es erklärlich, daß man hier in Paris mit fast<lb/> kindischer Eifersucht über die Grenze starrt und alles mit Argwohn, mit Nero<lb/> oder mit Schadenfreude betrachtet, was bei uns passiert: Mißtrauen und Hohn<lb/> für die deutsch-amerikanische Annäherung, doppeltes Mißtrauen gegenüber den<lb/> Freundschaftsbeweisen zwischen Berlin und Petersburg, leidenschaftliche Partei¬<lb/> nahme für die Polen in Preußen, für die Tschechen in Böhmen, die man nicht<lb/> kennt, für die Italiener in Tirol. Schadenfreude über die deutsch-englische Ver¬<lb/> feindung, Verhimmelung des edeln Castro von Venezuela, Beunruhigung über<lb/> die Gesandtschaft nach Abessinien, gehässigste Verunglimpfung der deutschen<lb/> Balkanpolitik, Intrigue-, gegen die Bagdadbahn, die ewigen Protektoratszäntereicn.<lb/> Deutsche sind es, die die Revolution im Zarenreich anzetteln, um Rußland in<lb/> Deutschlands Arme zu jagen. Deutsche haben den ostasiatischen Krieg geschürt<lb/> und einst die Tage von Peking verschuldet. Deutschland lauert auf den Zu¬<lb/> sammenbruch Österreichs, spekuliert auf Trieft und Saloniki und wird demnächst<lb/> Holland und die Schweiz verschlingen. Deutschland macht alle Schwierigkeiten<lb/> in Marokko und verfeindet den Sultan mit der Republik. Die bulgarischen<lb/> Wirren: Berliner Mache, die Armeuierschlächtereicu: Berliner Mache. Die<lb/> ewigen Streiks in den französischen Häfen: nur im Interesse Deutschlands.<lb/> Der Simplontunnel: nur im Interesse Deutschlands. Die Konkurrenz Genuas<lb/> gegen Marseille durch das deutsche Kapital unterstützt. Kommt der Kronprinz<lb/> nach Cannes oder Prinz Heinrich zum Automobilrenncn um den Gordon-Bennett-<lb/> Preis, so ists eine Beleidigung des patriotischen Gefühls; kommen sie nicht, so<lb/> ists auch eine Beleidigung, denn man traut Frankreich Mangel an Höflichkeit<lb/> zu. Siegen die Hereros: man sieht, daß es mit dem deutschen Heere nicht<lb/> mehr weit her ist, und daß die Bilse und Baudissin Recht haben; gehn die<lb/> Deutschen energisch vor: ha, die brutalen Barbaren. So wars beim Kohlen-<lb/> arbeiterausstand, so ists mit den Handelsverträgen, über die man einen Lärm<lb/> schlägt, als wenn Frankreich dadurch das bitterste Unrecht zugefügt wäre. Und<lb/> so gehts auf Schritt und Tritt. Ein ruhiges Hineindenken in die deutsche<lb/> Politik ist den Staatsmännern hier heute noch ebenso unmöglich wie vor dreißig<lb/> Jahren. Die Stagnation in der Volksvermehrung Frankreichs ist womöglich<lb/> auch eine Niedertracht Preußens. Denn also ist in dem sehr ruhigen und<lb/> ernsten Le-Islr zu lesen: „Jedes Jahr, wenn das Journal oMc-ist die fran¬<lb/> zösische Bevölkerungsstatistik veröffentlicht, reiben sich die Deutschen die Hände,<lb/> und ihr Kaiser sagt lachend: Wieder eine Schlacht gewonnen, und noch dazu<lb/> eine, die uns nichts kostet." Wir sind gar nicht so schlecht, wie wir aussehen,<lb/> und machen den Franzosen einen Vorschlag zur Güte, der unsre Frenndschnft-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0031]
Straßburg und Metz noch Köln. Mainz und Aachen der roten Marianne zu
Füßen legen? Man kann als Mensch die stärksten Sympathien für Frankreich
haben, und diese Nation verdient sie vielleicht gerade wegen ihres hochgemuten
Patriotismus, als deutscher Politiker hat man aber keine Wahl: solange das
französische Volk nicht ehrlich die im Frankfurter Frieden festgelegte Gestaltung
der Dinge als für alle Zeiten maßgebend anerkennt, müssen wir den französischen
Einfluß in politischen Dingen mit allen Mitteln und überall bekämpfen, denn
nur ein ohnmächtiges Frankreich ist ein friedlicher Nachbar.
Bei dieser Sachlage ist es erklärlich, daß man hier in Paris mit fast
kindischer Eifersucht über die Grenze starrt und alles mit Argwohn, mit Nero
oder mit Schadenfreude betrachtet, was bei uns passiert: Mißtrauen und Hohn
für die deutsch-amerikanische Annäherung, doppeltes Mißtrauen gegenüber den
Freundschaftsbeweisen zwischen Berlin und Petersburg, leidenschaftliche Partei¬
nahme für die Polen in Preußen, für die Tschechen in Böhmen, die man nicht
kennt, für die Italiener in Tirol. Schadenfreude über die deutsch-englische Ver¬
feindung, Verhimmelung des edeln Castro von Venezuela, Beunruhigung über
die Gesandtschaft nach Abessinien, gehässigste Verunglimpfung der deutschen
Balkanpolitik, Intrigue-, gegen die Bagdadbahn, die ewigen Protektoratszäntereicn.
Deutsche sind es, die die Revolution im Zarenreich anzetteln, um Rußland in
Deutschlands Arme zu jagen. Deutsche haben den ostasiatischen Krieg geschürt
und einst die Tage von Peking verschuldet. Deutschland lauert auf den Zu¬
sammenbruch Österreichs, spekuliert auf Trieft und Saloniki und wird demnächst
Holland und die Schweiz verschlingen. Deutschland macht alle Schwierigkeiten
in Marokko und verfeindet den Sultan mit der Republik. Die bulgarischen
Wirren: Berliner Mache, die Armeuierschlächtereicu: Berliner Mache. Die
ewigen Streiks in den französischen Häfen: nur im Interesse Deutschlands.
Der Simplontunnel: nur im Interesse Deutschlands. Die Konkurrenz Genuas
gegen Marseille durch das deutsche Kapital unterstützt. Kommt der Kronprinz
nach Cannes oder Prinz Heinrich zum Automobilrenncn um den Gordon-Bennett-
Preis, so ists eine Beleidigung des patriotischen Gefühls; kommen sie nicht, so
ists auch eine Beleidigung, denn man traut Frankreich Mangel an Höflichkeit
zu. Siegen die Hereros: man sieht, daß es mit dem deutschen Heere nicht
mehr weit her ist, und daß die Bilse und Baudissin Recht haben; gehn die
Deutschen energisch vor: ha, die brutalen Barbaren. So wars beim Kohlen-
arbeiterausstand, so ists mit den Handelsverträgen, über die man einen Lärm
schlägt, als wenn Frankreich dadurch das bitterste Unrecht zugefügt wäre. Und
so gehts auf Schritt und Tritt. Ein ruhiges Hineindenken in die deutsche
Politik ist den Staatsmännern hier heute noch ebenso unmöglich wie vor dreißig
Jahren. Die Stagnation in der Volksvermehrung Frankreichs ist womöglich
auch eine Niedertracht Preußens. Denn also ist in dem sehr ruhigen und
ernsten Le-Islr zu lesen: „Jedes Jahr, wenn das Journal oMc-ist die fran¬
zösische Bevölkerungsstatistik veröffentlicht, reiben sich die Deutschen die Hände,
und ihr Kaiser sagt lachend: Wieder eine Schlacht gewonnen, und noch dazu
eine, die uns nichts kostet." Wir sind gar nicht so schlecht, wie wir aussehen,
und machen den Franzosen einen Vorschlag zur Güte, der unsre Frenndschnft-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |