Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Zur Konfessionslage in Deutschland lüden, Hotels nach der Konfession der Inhaber. Sind es auch erst Anfänge, Wer will uns hindern, Fühlung zu suchen, in großen oder kleinem Ver¬ Die Stellung der evangelischen Christenheit zur römischen Kirche war im Es ist noch nicht so lange her, daß die vaterländische und die religiöse Be¬ Zur Konfessionslage in Deutschland lüden, Hotels nach der Konfession der Inhaber. Sind es auch erst Anfänge, Wer will uns hindern, Fühlung zu suchen, in großen oder kleinem Ver¬ Die Stellung der evangelischen Christenheit zur römischen Kirche war im Es ist noch nicht so lange her, daß die vaterländische und die religiöse Be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0298" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297430"/> <fw type="header" place="top"> Zur Konfessionslage in Deutschland</fw><lb/> <p xml:id="ID_1365" prev="#ID_1364"> lüden, Hotels nach der Konfession der Inhaber. Sind es auch erst Anfänge,<lb/> die Sache wird weiter gehn, das Ende ist der förmliche Boykott, der unver-<lb/> meidlich ist, wenn nicht beizeiten der Riegel vorgeschoben wird. Soll gestritten<lb/> werden, so rufe man und reize auf zu dem edeln Wettstreit, bei dem sich beide<lb/> Kirchen überbieten könnten, in wahrer Secleupflege, in Verbreitung tiefer<lb/> Religiosität, in treuer Erziehung und Belehrung der Jugend, in sorgfältiger<lb/> Unterstützung der Armen, in uneigennütziger Pflege der Kranken, in ernstem<lb/> Schaffen der theologischen Wissenschaft, in innerer nud äußerer Hebung des<lb/> gesamten Volkswohls. Nicht der Kirche gehört die Zukunft, die über die größten<lb/> weltlichen Machtmittel verfügt, sondern der, die den tiefsten Reichtum an werk¬<lb/> tätiger Liebe zu entfalten vermag.</p><lb/> <p xml:id="ID_1366"> Wer will uns hindern, Fühlung zu suchen, in großen oder kleinem Ver¬<lb/> sammlungen zusammenzukommen nud Zwiesprache zu halten über religiöse Ver¬<lb/> hältnisse und notwendige Fragen der Gegenwart? Aber nicht blos; in die<lb/> Öffentlichkeit hinaus gilt es Friedcnskörner als Saat ans Hoffnung zu streue»,<lb/> sondern auch in deu Familien, in den Schulen, in privaten Kreisen, wo immer<lb/> sich Gelegenheit findet, sollten wir zum Frieden mahnen. Die Heilung des<lb/> Schadens kauu freilich nur langsam geschehen. Einen großartigen Umschwung<lb/> über Nacht erwarten wir nicht. Aber auf eine Besserung der jetzigen Zustände<lb/> hoffen wir. Es ist genug gehadert, genug gerümpft worden. Was sind heute<lb/> die Früchte des Kampfes? Verstimmung, Verbitterung, Verkennung. Das<lb/> Volk verlangt uach Frieden, und es braucht deu Frieden. Und unsre Christen¬<lb/> pflicht ruft uns dasselbe zu. Die Religion, die Pflegerin und Hüterin der<lb/> Liebe und des Friedens, muß es heute erleben, daß mit Berufung auf sie zwei<lb/> feindliche Lager einander gegenüberstelln. Wir wollen kein Kapitulieren. Jeder<lb/> bleibe unter seiner Fahne. Aber die Kriegsfanfaren sollen verstummen oder<lb/> wenigstens ihre Melodien wechseln. Das nationale und das religiöse Leben<lb/> hat lange genug gelitten nnter dem Kriegsgeschrei.</p><lb/> <p xml:id="ID_1367"> Die Stellung der evangelischen Christenheit zur römischen Kirche war im<lb/> Laufe der Zeit nicht immer gleich. Die Anstrengungen des Dreißigjährigen<lb/> Krieges hatten gezeigt, wie ernstgemeint die Spaltung war. Es war ein<lb/> Ringen ans Leben und Tod, und zuletzt hatte keiner den andern überwunden.<lb/> Eine lange Ruhezeit folgte, bis in unsern Tagen der Kampf aufs neue ent¬<lb/> brannt ist. Daß dieser Kampf bisher unblutig verlaufen ist, das ist nicht das<lb/> Verdienst der Hetzer, Schürer und Agitatoren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1368" next="#ID_1369"> Es ist noch nicht so lange her, daß die vaterländische und die religiöse Be¬<lb/> geisterung, die durch die Freiheitskriege hervorgerufen war, zahlreiche nord¬<lb/> deutsche und Süddeutsche, Protestanten und Katholiken zusammenführte und sie<lb/> in der Liebe zu der wiedergefundnen irdischen und ewigen Heimat verband.<lb/> In der Nachblüte unsrer großen Dichtung, in unsrer aufblühenden bildenden<lb/> Kunst wurden protestantische und katholische Geistesgaben ausgetauscht. Die<lb/> großen philosophischen Lehrgebäude, die auf Kant gefolgt sind, finden Nach¬<lb/> ahmung bei katholischen Forschern. Ja sogar da, wo sich der konfessionelle<lb/> Gegensatz am unmittelbarsten und schneidendsten geltend machte, auf theologischen<lb/> Gebiet, trat Fehde und Widerspruch zurück und Arbeitsgemeinschaft, Geistes-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0298]
Zur Konfessionslage in Deutschland
lüden, Hotels nach der Konfession der Inhaber. Sind es auch erst Anfänge,
die Sache wird weiter gehn, das Ende ist der förmliche Boykott, der unver-
meidlich ist, wenn nicht beizeiten der Riegel vorgeschoben wird. Soll gestritten
werden, so rufe man und reize auf zu dem edeln Wettstreit, bei dem sich beide
Kirchen überbieten könnten, in wahrer Secleupflege, in Verbreitung tiefer
Religiosität, in treuer Erziehung und Belehrung der Jugend, in sorgfältiger
Unterstützung der Armen, in uneigennütziger Pflege der Kranken, in ernstem
Schaffen der theologischen Wissenschaft, in innerer nud äußerer Hebung des
gesamten Volkswohls. Nicht der Kirche gehört die Zukunft, die über die größten
weltlichen Machtmittel verfügt, sondern der, die den tiefsten Reichtum an werk¬
tätiger Liebe zu entfalten vermag.
Wer will uns hindern, Fühlung zu suchen, in großen oder kleinem Ver¬
sammlungen zusammenzukommen nud Zwiesprache zu halten über religiöse Ver¬
hältnisse und notwendige Fragen der Gegenwart? Aber nicht blos; in die
Öffentlichkeit hinaus gilt es Friedcnskörner als Saat ans Hoffnung zu streue»,
sondern auch in deu Familien, in den Schulen, in privaten Kreisen, wo immer
sich Gelegenheit findet, sollten wir zum Frieden mahnen. Die Heilung des
Schadens kauu freilich nur langsam geschehen. Einen großartigen Umschwung
über Nacht erwarten wir nicht. Aber auf eine Besserung der jetzigen Zustände
hoffen wir. Es ist genug gehadert, genug gerümpft worden. Was sind heute
die Früchte des Kampfes? Verstimmung, Verbitterung, Verkennung. Das
Volk verlangt uach Frieden, und es braucht deu Frieden. Und unsre Christen¬
pflicht ruft uns dasselbe zu. Die Religion, die Pflegerin und Hüterin der
Liebe und des Friedens, muß es heute erleben, daß mit Berufung auf sie zwei
feindliche Lager einander gegenüberstelln. Wir wollen kein Kapitulieren. Jeder
bleibe unter seiner Fahne. Aber die Kriegsfanfaren sollen verstummen oder
wenigstens ihre Melodien wechseln. Das nationale und das religiöse Leben
hat lange genug gelitten nnter dem Kriegsgeschrei.
Die Stellung der evangelischen Christenheit zur römischen Kirche war im
Laufe der Zeit nicht immer gleich. Die Anstrengungen des Dreißigjährigen
Krieges hatten gezeigt, wie ernstgemeint die Spaltung war. Es war ein
Ringen ans Leben und Tod, und zuletzt hatte keiner den andern überwunden.
Eine lange Ruhezeit folgte, bis in unsern Tagen der Kampf aufs neue ent¬
brannt ist. Daß dieser Kampf bisher unblutig verlaufen ist, das ist nicht das
Verdienst der Hetzer, Schürer und Agitatoren.
Es ist noch nicht so lange her, daß die vaterländische und die religiöse Be¬
geisterung, die durch die Freiheitskriege hervorgerufen war, zahlreiche nord¬
deutsche und Süddeutsche, Protestanten und Katholiken zusammenführte und sie
in der Liebe zu der wiedergefundnen irdischen und ewigen Heimat verband.
In der Nachblüte unsrer großen Dichtung, in unsrer aufblühenden bildenden
Kunst wurden protestantische und katholische Geistesgaben ausgetauscht. Die
großen philosophischen Lehrgebäude, die auf Kant gefolgt sind, finden Nach¬
ahmung bei katholischen Forschern. Ja sogar da, wo sich der konfessionelle
Gegensatz am unmittelbarsten und schneidendsten geltend machte, auf theologischen
Gebiet, trat Fehde und Widerspruch zurück und Arbeitsgemeinschaft, Geistes-
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