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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Herrenmenschen

hingeschrieben, wo man vermuten konnte, daß sie sich aufhalten könnte -- vergeblich.
Es blieb kaum etwas andres übrig, als anzunehmen, daß sie sich im Bruchteiche
oder anderswo das Leben genommen habe.

Die Seele erträgt es nicht, daß Bilder, die sie festgehalten hat, ausgelöscht
werden, ohne daß etwas andres an die Stelle tritt. Wenn der große Galerie¬
diener, der Tod, in unser Museum tritt und ein Bild, das uns lieb war, entfernt,
dann pflegt er ein andres an die Stelle zu hangen. Das ist zwar nicht mit frohen
Farben gemalt, das erzählt von Krankheit, Abschied, Grab und Friedhof, aber es
ist ein Ersatz, es füllt den Raum aus, und es wird uns mit der Zeit auch lieb.
Aber hier war das Bild Marys über Nacht weggenommen worden, und nichts
trat an die Stelle, als ein wehender Schleier der Ungewißheit. Ramborn stampfte,
mißmutig die Füße aus dem zähen Brei ziehend, durch den kotigen Boden. Genau so,
sagte er zu sich, wie eine Fliege, die auf den Leim gegangen ist und festsitzt. Das ist
das Menschenlos. Erst brummt man planlos umher, und dann klebt man irgendwo
fest, und dann krabbelt man im Leone, solange die Kräfte reichen, und dann überläßt
man es dem Nachfolger, dasselbe Kunststück mit demselben Erfolg zu machen.

Die Tagesarbeit verging in melancholischen Einerlei. Die Knechte und die
Arbeiter kamen mißmutig zur Arbeit und gingen brummend heim, in derselben
verdrossenen Haltung wie ihre Gäule. Die Mägde taten, was sie zu tun gewöhnt
waren. Kein Lachen, kein Gesang. Der Inspektor war mit allem unzufrieden und
schimpfte von früh bis spät. Und Wolf saß in seiner kleinen Schulbank und
träumte. Nur Tauenden, die wahrlich so schwer beladen war wie irgendeiner, die
für das Haus, den Hof, die Jnstleute und die Kranken im Dorfe zu sorgen hatte,
die jeden Morgen mit einem Rundgang bei ihren Patienten begann, und die unter
dem Verlust ihrer Schwägerin und Freundin und unter der traurigen Zeit litt
wie jeder andre, Tauenden, die fortmährend angelaufen, gerufen und gebeten wurde,
Tauenden war allezeit freundlich, allezeit unermüdlich, allezeit hilfbereit.

Wie machen Sie das, fragte eines Abends der Doktor, seine Wirtschafts¬
bücher zurückschiebend, Tauenden, die einen langen Strumpf strickte, wie machen
Sie das, daß Sie immer frisch und arbeitsfroh sind?

Mir gewährt die Arbeit Befriedigung, antwortete Tauenden.

Daß Sie sich aufreiben, um für andre zu sorgen, das gewährt Ihnen Be¬
friedigung? fragte der Doktor.

Ja, es macht mir Freude, sagte Tauenden in einem Ton, als spräche sie etwas
ganz Selbstverständliches aus.

Der Strumpf da, den Sie stricken, der macht Ihnen Freude?

Gewiß. Er ist für die alte Lore bestimmt. Denken Sie sich das nur einmal
aus. So eine arme, alte Person, für die niemand sorgt, und die so leicht friert,
für die sind doch ein Paar warme wollne Strümpfe das halbe Paradies. Und
ein Topf voll Erbsen beinahe die andre Hälfte. Wenn ich nun meinen Strumpf
Stricke, so freue ich mich schon im voraus darüber, wie die alte Frau sich über die
Strümpfe freuen wird.

Aber das sind doch fremde Freuden, meinte der Doktor.

Nein, meine eignen, sagte Tauenden. Ich selber freue mich doch. Und das
ist das Schöne, daß ich mir diese Freude bereiten kann, so oft ich will.

Aber wo bleiben Sie denn dann selbst? Sie werden doch nicht satt, wenn
Sie zusehen, wie ein andrer ißt.

Lieber Gott, Doktorchen, was man selbst braucht, das findet sich schon. Was
wan für andre übrig hat, das ist der eigentliche Lebensertrag. Und daß man
"und noch Freude empfindet an dem Guten, das man andern erweist, das ist vom
lieben Gott doch sehr gnädig eingerichtet.

Hin! Der Doktor konnte sich allerdings nicht zu der Auffassung aufschwingen,
^ß der Genuß, der in selbstloser Tat liegt, eine gnädige Einrichtung Gottes sei.
Vielmehr mußte ja der Trieb der Selbsterhaltung andern gegenüber, des Selbst-


Grcnzboten II 1305 35
Herrenmenschen

hingeschrieben, wo man vermuten konnte, daß sie sich aufhalten könnte — vergeblich.
Es blieb kaum etwas andres übrig, als anzunehmen, daß sie sich im Bruchteiche
oder anderswo das Leben genommen habe.

Die Seele erträgt es nicht, daß Bilder, die sie festgehalten hat, ausgelöscht
werden, ohne daß etwas andres an die Stelle tritt. Wenn der große Galerie¬
diener, der Tod, in unser Museum tritt und ein Bild, das uns lieb war, entfernt,
dann pflegt er ein andres an die Stelle zu hangen. Das ist zwar nicht mit frohen
Farben gemalt, das erzählt von Krankheit, Abschied, Grab und Friedhof, aber es
ist ein Ersatz, es füllt den Raum aus, und es wird uns mit der Zeit auch lieb.
Aber hier war das Bild Marys über Nacht weggenommen worden, und nichts
trat an die Stelle, als ein wehender Schleier der Ungewißheit. Ramborn stampfte,
mißmutig die Füße aus dem zähen Brei ziehend, durch den kotigen Boden. Genau so,
sagte er zu sich, wie eine Fliege, die auf den Leim gegangen ist und festsitzt. Das ist
das Menschenlos. Erst brummt man planlos umher, und dann klebt man irgendwo
fest, und dann krabbelt man im Leone, solange die Kräfte reichen, und dann überläßt
man es dem Nachfolger, dasselbe Kunststück mit demselben Erfolg zu machen.

Die Tagesarbeit verging in melancholischen Einerlei. Die Knechte und die
Arbeiter kamen mißmutig zur Arbeit und gingen brummend heim, in derselben
verdrossenen Haltung wie ihre Gäule. Die Mägde taten, was sie zu tun gewöhnt
waren. Kein Lachen, kein Gesang. Der Inspektor war mit allem unzufrieden und
schimpfte von früh bis spät. Und Wolf saß in seiner kleinen Schulbank und
träumte. Nur Tauenden, die wahrlich so schwer beladen war wie irgendeiner, die
für das Haus, den Hof, die Jnstleute und die Kranken im Dorfe zu sorgen hatte,
die jeden Morgen mit einem Rundgang bei ihren Patienten begann, und die unter
dem Verlust ihrer Schwägerin und Freundin und unter der traurigen Zeit litt
wie jeder andre, Tauenden, die fortmährend angelaufen, gerufen und gebeten wurde,
Tauenden war allezeit freundlich, allezeit unermüdlich, allezeit hilfbereit.

Wie machen Sie das, fragte eines Abends der Doktor, seine Wirtschafts¬
bücher zurückschiebend, Tauenden, die einen langen Strumpf strickte, wie machen
Sie das, daß Sie immer frisch und arbeitsfroh sind?

Mir gewährt die Arbeit Befriedigung, antwortete Tauenden.

Daß Sie sich aufreiben, um für andre zu sorgen, das gewährt Ihnen Be¬
friedigung? fragte der Doktor.

Ja, es macht mir Freude, sagte Tauenden in einem Ton, als spräche sie etwas
ganz Selbstverständliches aus.

Der Strumpf da, den Sie stricken, der macht Ihnen Freude?

Gewiß. Er ist für die alte Lore bestimmt. Denken Sie sich das nur einmal
aus. So eine arme, alte Person, für die niemand sorgt, und die so leicht friert,
für die sind doch ein Paar warme wollne Strümpfe das halbe Paradies. Und
ein Topf voll Erbsen beinahe die andre Hälfte. Wenn ich nun meinen Strumpf
Stricke, so freue ich mich schon im voraus darüber, wie die alte Frau sich über die
Strümpfe freuen wird.

Aber das sind doch fremde Freuden, meinte der Doktor.

Nein, meine eignen, sagte Tauenden. Ich selber freue mich doch. Und das
ist das Schöne, daß ich mir diese Freude bereiten kann, so oft ich will.

Aber wo bleiben Sie denn dann selbst? Sie werden doch nicht satt, wenn
Sie zusehen, wie ein andrer ißt.

Lieber Gott, Doktorchen, was man selbst braucht, das findet sich schon. Was
wan für andre übrig hat, das ist der eigentliche Lebensertrag. Und daß man
"und noch Freude empfindet an dem Guten, das man andern erweist, das ist vom
lieben Gott doch sehr gnädig eingerichtet.

Hin! Der Doktor konnte sich allerdings nicht zu der Auffassung aufschwingen,
^ß der Genuß, der in selbstloser Tat liegt, eine gnädige Einrichtung Gottes sei.
Vielmehr mußte ja der Trieb der Selbsterhaltung andern gegenüber, des Selbst-


Grcnzboten II 1305 35
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[0277] Herrenmenschen hingeschrieben, wo man vermuten konnte, daß sie sich aufhalten könnte — vergeblich. Es blieb kaum etwas andres übrig, als anzunehmen, daß sie sich im Bruchteiche oder anderswo das Leben genommen habe. Die Seele erträgt es nicht, daß Bilder, die sie festgehalten hat, ausgelöscht werden, ohne daß etwas andres an die Stelle tritt. Wenn der große Galerie¬ diener, der Tod, in unser Museum tritt und ein Bild, das uns lieb war, entfernt, dann pflegt er ein andres an die Stelle zu hangen. Das ist zwar nicht mit frohen Farben gemalt, das erzählt von Krankheit, Abschied, Grab und Friedhof, aber es ist ein Ersatz, es füllt den Raum aus, und es wird uns mit der Zeit auch lieb. Aber hier war das Bild Marys über Nacht weggenommen worden, und nichts trat an die Stelle, als ein wehender Schleier der Ungewißheit. Ramborn stampfte, mißmutig die Füße aus dem zähen Brei ziehend, durch den kotigen Boden. Genau so, sagte er zu sich, wie eine Fliege, die auf den Leim gegangen ist und festsitzt. Das ist das Menschenlos. Erst brummt man planlos umher, und dann klebt man irgendwo fest, und dann krabbelt man im Leone, solange die Kräfte reichen, und dann überläßt man es dem Nachfolger, dasselbe Kunststück mit demselben Erfolg zu machen. Die Tagesarbeit verging in melancholischen Einerlei. Die Knechte und die Arbeiter kamen mißmutig zur Arbeit und gingen brummend heim, in derselben verdrossenen Haltung wie ihre Gäule. Die Mägde taten, was sie zu tun gewöhnt waren. Kein Lachen, kein Gesang. Der Inspektor war mit allem unzufrieden und schimpfte von früh bis spät. Und Wolf saß in seiner kleinen Schulbank und träumte. Nur Tauenden, die wahrlich so schwer beladen war wie irgendeiner, die für das Haus, den Hof, die Jnstleute und die Kranken im Dorfe zu sorgen hatte, die jeden Morgen mit einem Rundgang bei ihren Patienten begann, und die unter dem Verlust ihrer Schwägerin und Freundin und unter der traurigen Zeit litt wie jeder andre, Tauenden, die fortmährend angelaufen, gerufen und gebeten wurde, Tauenden war allezeit freundlich, allezeit unermüdlich, allezeit hilfbereit. Wie machen Sie das, fragte eines Abends der Doktor, seine Wirtschafts¬ bücher zurückschiebend, Tauenden, die einen langen Strumpf strickte, wie machen Sie das, daß Sie immer frisch und arbeitsfroh sind? Mir gewährt die Arbeit Befriedigung, antwortete Tauenden. Daß Sie sich aufreiben, um für andre zu sorgen, das gewährt Ihnen Be¬ friedigung? fragte der Doktor. Ja, es macht mir Freude, sagte Tauenden in einem Ton, als spräche sie etwas ganz Selbstverständliches aus. Der Strumpf da, den Sie stricken, der macht Ihnen Freude? Gewiß. Er ist für die alte Lore bestimmt. Denken Sie sich das nur einmal aus. So eine arme, alte Person, für die niemand sorgt, und die so leicht friert, für die sind doch ein Paar warme wollne Strümpfe das halbe Paradies. Und ein Topf voll Erbsen beinahe die andre Hälfte. Wenn ich nun meinen Strumpf Stricke, so freue ich mich schon im voraus darüber, wie die alte Frau sich über die Strümpfe freuen wird. Aber das sind doch fremde Freuden, meinte der Doktor. Nein, meine eignen, sagte Tauenden. Ich selber freue mich doch. Und das ist das Schöne, daß ich mir diese Freude bereiten kann, so oft ich will. Aber wo bleiben Sie denn dann selbst? Sie werden doch nicht satt, wenn Sie zusehen, wie ein andrer ißt. Lieber Gott, Doktorchen, was man selbst braucht, das findet sich schon. Was wan für andre übrig hat, das ist der eigentliche Lebensertrag. Und daß man "und noch Freude empfindet an dem Guten, das man andern erweist, das ist vom lieben Gott doch sehr gnädig eingerichtet. Hin! Der Doktor konnte sich allerdings nicht zu der Auffassung aufschwingen, ^ß der Genuß, der in selbstloser Tat liegt, eine gnädige Einrichtung Gottes sei. Vielmehr mußte ja der Trieb der Selbsterhaltung andern gegenüber, des Selbst- Grcnzboten II 1305 35

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/277>, abgerufen am 05.02.2025.