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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Überflüssiges Schreibwerk

dein unleidlichen Zustande die kleine Presse bei. Sie muß ihre Seiten füllen
und ist nicht selten geneigt, unbedeutende Sachen aufzubauschen. In den
höhern Instanzen wird vielfach solchen Ausführungen ein weit größerer Wert
beigelegt, als er ihnen wirklich beiwohnt. Der Apparat wird in Bewegung ge¬
setzt, und die Schreiberei geht los. Fast in allen solchen Fällen sind die ein¬
gehenden Berichte überflüssig und dienen nur als "wertvolles" Material und
zur Vermehrung der Akten.

Nicht frei zu sprechen sind der Landtag und der Reichstag. Ein drastisches
Beispiel bietet die Rede des Abgeordneten Gamp selbst. Während er im Ein¬
gang seiner Rede bemängelt, daß infolge des Versiegens der Brunnen an
einzelnen Orten im letzten trocknen Sommer eine allgemeine Umfrage durch
die ganze Monarchie gehalten worden sei, verlangt er am Ausgang seiner
Rede eine Auskunft darüber, wieviel Bestrafungen von Automobilfahrcrn im
letzten Jahre erfolgt seien. Glücklicherweise hat der Minister die Aufstellung
einer Statistik auch nur für Berlin abgelehnt. Ob sich der verehrte Abge¬
ordnete wohl klar gemacht hat, welche Arbeit er durch diese eine Anfrage den
Lokalbehörden bereitet haben würde, wenn der Minister seinem Wunsche ent¬
sprochen hätte?

Graf Posadowsky hat vor kurzem im Reichstag in zutreffender Weise
vor der Überhandnähme solcher statistischen Erhebungen gewarnt. Sie haben
das Gefährliche an sich, daß sie sich wie eine ewige Krankheit forterben. Ja,
wenn es sich nur um eine einmalige Feststellung handelte! Gibt aber die
Statistik des einen Jahres nicht das Resultat, das der Abgeordnete erwartet
hat, so heißt es, ein einjähriges Ergebnis genüge nicht. Wenn man einen
sichern Überblick gewinnen wolle, müßten die Erhebungen mehrere Jahre
fortgesetzt werden.

Wie nun aber Abhilfe schaffen? Die vorstehenden Ausführungen dürften
schon Hinweise enthalten. Einige weitere Vorschlüge mögen hier folgen.
Zunächst dürfte es angebracht sein, den oben erwähnten Ministeriälcrlciß vom
20. Mai 1890 von neuem einzuschärfen und festzustellen, ob die damalige
Anweisung nicht allein dem Wortlaute, sondern anch dem Sinne nach überall
beachtet wird. In der letzten Nummer des Ministerialblattes für die innere
Verwaltung findet sich eine Verfügung, in der die Oberprüsidenten ergebenst
ersucht werden, die Landräte gefälligst anweisen zu lassen, dem Ersuchen der
Vaterländischen Frauenvereine zu entsprechen. Über das Geschehene sieht der
Minister einem Bericht ergebenst entgegen. Da die Oberpräsidenten ihrem
Chef nicht weniger höflich antworten können, als er ihnen geschrieben hat,
so werden sie die Kurialieu wieder anwenden, und die Gefahr liegt nahe, daß
der große Fortschritt, der in dem Erlaß von 189" lag, allmählich verschwindet.
In der Korrespondenz zwischen Zivil- und Militärbehörden sollen die Höflich¬
keitsfloskeln schon wieder einen ungeahnten Umfang angenommen haben. Auch
müßten sich die höhern Instanzen bei jeder Änderung ernster die Frage vor¬
legen, ob sich aus dem bisherigen Zustande so große Unzuträglichkeiten er¬
geben hätten, daß diese nicht weiter geduldet werde" dürfte". Das Publikum
hat manchmal das Gefühl, daß nnr etwas geändert wird, weil man nicht


Überflüssiges Schreibwerk

dein unleidlichen Zustande die kleine Presse bei. Sie muß ihre Seiten füllen
und ist nicht selten geneigt, unbedeutende Sachen aufzubauschen. In den
höhern Instanzen wird vielfach solchen Ausführungen ein weit größerer Wert
beigelegt, als er ihnen wirklich beiwohnt. Der Apparat wird in Bewegung ge¬
setzt, und die Schreiberei geht los. Fast in allen solchen Fällen sind die ein¬
gehenden Berichte überflüssig und dienen nur als „wertvolles" Material und
zur Vermehrung der Akten.

Nicht frei zu sprechen sind der Landtag und der Reichstag. Ein drastisches
Beispiel bietet die Rede des Abgeordneten Gamp selbst. Während er im Ein¬
gang seiner Rede bemängelt, daß infolge des Versiegens der Brunnen an
einzelnen Orten im letzten trocknen Sommer eine allgemeine Umfrage durch
die ganze Monarchie gehalten worden sei, verlangt er am Ausgang seiner
Rede eine Auskunft darüber, wieviel Bestrafungen von Automobilfahrcrn im
letzten Jahre erfolgt seien. Glücklicherweise hat der Minister die Aufstellung
einer Statistik auch nur für Berlin abgelehnt. Ob sich der verehrte Abge¬
ordnete wohl klar gemacht hat, welche Arbeit er durch diese eine Anfrage den
Lokalbehörden bereitet haben würde, wenn der Minister seinem Wunsche ent¬
sprochen hätte?

Graf Posadowsky hat vor kurzem im Reichstag in zutreffender Weise
vor der Überhandnähme solcher statistischen Erhebungen gewarnt. Sie haben
das Gefährliche an sich, daß sie sich wie eine ewige Krankheit forterben. Ja,
wenn es sich nur um eine einmalige Feststellung handelte! Gibt aber die
Statistik des einen Jahres nicht das Resultat, das der Abgeordnete erwartet
hat, so heißt es, ein einjähriges Ergebnis genüge nicht. Wenn man einen
sichern Überblick gewinnen wolle, müßten die Erhebungen mehrere Jahre
fortgesetzt werden.

Wie nun aber Abhilfe schaffen? Die vorstehenden Ausführungen dürften
schon Hinweise enthalten. Einige weitere Vorschlüge mögen hier folgen.
Zunächst dürfte es angebracht sein, den oben erwähnten Ministeriälcrlciß vom
20. Mai 1890 von neuem einzuschärfen und festzustellen, ob die damalige
Anweisung nicht allein dem Wortlaute, sondern anch dem Sinne nach überall
beachtet wird. In der letzten Nummer des Ministerialblattes für die innere
Verwaltung findet sich eine Verfügung, in der die Oberprüsidenten ergebenst
ersucht werden, die Landräte gefälligst anweisen zu lassen, dem Ersuchen der
Vaterländischen Frauenvereine zu entsprechen. Über das Geschehene sieht der
Minister einem Bericht ergebenst entgegen. Da die Oberpräsidenten ihrem
Chef nicht weniger höflich antworten können, als er ihnen geschrieben hat,
so werden sie die Kurialieu wieder anwenden, und die Gefahr liegt nahe, daß
der große Fortschritt, der in dem Erlaß von 189« lag, allmählich verschwindet.
In der Korrespondenz zwischen Zivil- und Militärbehörden sollen die Höflich¬
keitsfloskeln schon wieder einen ungeahnten Umfang angenommen haben. Auch
müßten sich die höhern Instanzen bei jeder Änderung ernster die Frage vor¬
legen, ob sich aus dem bisherigen Zustande so große Unzuträglichkeiten er¬
geben hätten, daß diese nicht weiter geduldet werde» dürfte». Das Publikum
hat manchmal das Gefühl, daß nnr etwas geändert wird, weil man nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/266>, abgerufen am 05.02.2025.