Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Unleugbar sind gerade in der eigentlichen Verwaltung die Geschäfte in Man ist sehr leicht geneigt, deu Beamten die Schuld für die Zunahme Unleugbar sind gerade in der eigentlichen Verwaltung die Geschäfte in Man ist sehr leicht geneigt, deu Beamten die Schuld für die Zunahme <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0265" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297397"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1162"> Unleugbar sind gerade in der eigentlichen Verwaltung die Geschäfte in<lb/> rascher Zunahme begriffen. Das Anwachsen der Bevölkerung, die Mobilisierung<lb/> weiter früher bodenstäudiger Schichten, das Bestreben, vieles von Staats wegen<lb/> zu regeln, was man vordem der Initiative der Privaten überließ, bringt das<lb/> mit sich. Um so notwendiger ist es, mit allem überflüssige» vermcidbarcn<lb/> Schreibwerk gründlich aufzuräumen. Auffallend passiv verhält sich die Be¬<lb/> völkerung dieser Frage gegenüber. Es liegt wohl daran, daß sie im Land¬<lb/> tage regelmäßig mit Rücksicht auf eine bestimmte Klasse von Beamten erörtert,<lb/> und daß dadurch der Allschein hervorgerufen wird, daß die Reden nur gehalten<lb/> werden, um den betreffenden Beamten eine Erleichterung zu verschaffe». Und<lb/> doch ist es eine Frage, die die Allgemeinheit sehr berührt. Im Staate und<lb/> in den verschiednen Zweigen der Selbstverwaltung nimmt die Zahl der Be¬<lb/> amten stündig zu. Die Leidtragenden sind die Steuerzahler, die die Gehalte<lb/> aufbringen müssen. Auch bei kleinern Behörden verliert der leitende Beamte<lb/> immer mehr den Überblick über den Geschäftsgang und findet nicht mehr die<lb/> Zeit, sich wichtigern Fragen eingehend zu widmen. Die vielfach beklagte lang¬<lb/> same Erledigung der Geschäfte ist zum größten Teil auf den Wust unnötigen<lb/> Schreibwerks zurückzuführen. Am peinlichsten hat den Schreiber dieser Zeilen<lb/> die sich langsam aber ständig vollziehende Abnahme geeigneter noch selbst<lb/> tätiger Gemeindevorsteher berührt. Die Vergütung, die den Gemeindevorstehern<lb/> gezahlt wird, pflegt so gering zu sein, daß sie nur auf weniger qualifizierte<lb/> Bewerber eine Anziehungskraft auszuüben vermag. Übernehmen besser situierte<lb/> Personen noch das Amt, so nehmen sie, weil sie bei ihren sonstigen Geschäften<lb/> das Schreibwerk nicht mehr bewältigen können, vielfach Schreiber an und ge¬<lb/> raten natürlich in eine gewisse Abhängigkeit von diesen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1163" next="#ID_1164"> Man ist sehr leicht geneigt, deu Beamten die Schuld für die Zunahme<lb/> der Schreiberei allein beizumessen. Sehr mit Unrecht; es sprechen noch viele<lb/> andre Umstände mit. Gewiß gibt es Bureaubeamte, die das regelmäßige An¬<lb/> wachsen der Journalnummern mit Freuden begrüßen. Ein dem Landtage seit<lb/> vielen Jahren angehörender Abgeordneter hatte, als er noch Landrat war,<lb/> durch Vereinfachung des Geschäftsganges ein Heruntergehn der Journalnummern<lb/> zum großen Kummer seines Kreissekretärs erreicht. Einen gewaltigen Schrecken<lb/> jagte der Landrat seinem Beamten aber ein, als er ihm gegenüber die Hoff¬<lb/> nung aussprach, die damals vielleicht 20000 Journalnummern ans 1000<lb/> hinunterdrücken zu können. Solche Fülle sind aber doch die Ausnahme. Einem<lb/> andern Abgeordneten soll einst, als er noch einer Behörde vorstand, ein Be¬<lb/> amter wegen Rückgangs der Journalnummern entzogen worden sein. Tat¬<lb/> sächlich waren gerade in dieser Zeit die eigentlichen Geschäfte stark gestiegen,<lb/> und nur seiner Energie war es zu danken, daß sich durch Beseitigung der un¬<lb/> nötigen Schreiberei die Journalnummern verringert hatten. In der Über¬<lb/> schätzung der Bedeutung des Journals liegt vielfach der Anreiz zu einer Ver¬<lb/> mehrung des Schreibwerks. Jede Änderung, auch wenn sie eine Verbesserung<lb/> ist, hat manche Unbequemlichkeiten für die erste Zeit, ja manchmal, wenn auch<lb/> nur vorübergehend, eine Vermehrung der Arbeit zur Folge, die die Beamten<lb/> scheuen. Viel mehr aber als dieses passive Verhalten der Beamten trägt zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0265]
Unleugbar sind gerade in der eigentlichen Verwaltung die Geschäfte in
rascher Zunahme begriffen. Das Anwachsen der Bevölkerung, die Mobilisierung
weiter früher bodenstäudiger Schichten, das Bestreben, vieles von Staats wegen
zu regeln, was man vordem der Initiative der Privaten überließ, bringt das
mit sich. Um so notwendiger ist es, mit allem überflüssige» vermcidbarcn
Schreibwerk gründlich aufzuräumen. Auffallend passiv verhält sich die Be¬
völkerung dieser Frage gegenüber. Es liegt wohl daran, daß sie im Land¬
tage regelmäßig mit Rücksicht auf eine bestimmte Klasse von Beamten erörtert,
und daß dadurch der Allschein hervorgerufen wird, daß die Reden nur gehalten
werden, um den betreffenden Beamten eine Erleichterung zu verschaffe». Und
doch ist es eine Frage, die die Allgemeinheit sehr berührt. Im Staate und
in den verschiednen Zweigen der Selbstverwaltung nimmt die Zahl der Be¬
amten stündig zu. Die Leidtragenden sind die Steuerzahler, die die Gehalte
aufbringen müssen. Auch bei kleinern Behörden verliert der leitende Beamte
immer mehr den Überblick über den Geschäftsgang und findet nicht mehr die
Zeit, sich wichtigern Fragen eingehend zu widmen. Die vielfach beklagte lang¬
same Erledigung der Geschäfte ist zum größten Teil auf den Wust unnötigen
Schreibwerks zurückzuführen. Am peinlichsten hat den Schreiber dieser Zeilen
die sich langsam aber ständig vollziehende Abnahme geeigneter noch selbst
tätiger Gemeindevorsteher berührt. Die Vergütung, die den Gemeindevorstehern
gezahlt wird, pflegt so gering zu sein, daß sie nur auf weniger qualifizierte
Bewerber eine Anziehungskraft auszuüben vermag. Übernehmen besser situierte
Personen noch das Amt, so nehmen sie, weil sie bei ihren sonstigen Geschäften
das Schreibwerk nicht mehr bewältigen können, vielfach Schreiber an und ge¬
raten natürlich in eine gewisse Abhängigkeit von diesen.
Man ist sehr leicht geneigt, deu Beamten die Schuld für die Zunahme
der Schreiberei allein beizumessen. Sehr mit Unrecht; es sprechen noch viele
andre Umstände mit. Gewiß gibt es Bureaubeamte, die das regelmäßige An¬
wachsen der Journalnummern mit Freuden begrüßen. Ein dem Landtage seit
vielen Jahren angehörender Abgeordneter hatte, als er noch Landrat war,
durch Vereinfachung des Geschäftsganges ein Heruntergehn der Journalnummern
zum großen Kummer seines Kreissekretärs erreicht. Einen gewaltigen Schrecken
jagte der Landrat seinem Beamten aber ein, als er ihm gegenüber die Hoff¬
nung aussprach, die damals vielleicht 20000 Journalnummern ans 1000
hinunterdrücken zu können. Solche Fülle sind aber doch die Ausnahme. Einem
andern Abgeordneten soll einst, als er noch einer Behörde vorstand, ein Be¬
amter wegen Rückgangs der Journalnummern entzogen worden sein. Tat¬
sächlich waren gerade in dieser Zeit die eigentlichen Geschäfte stark gestiegen,
und nur seiner Energie war es zu danken, daß sich durch Beseitigung der un¬
nötigen Schreiberei die Journalnummern verringert hatten. In der Über¬
schätzung der Bedeutung des Journals liegt vielfach der Anreiz zu einer Ver¬
mehrung des Schreibwerks. Jede Änderung, auch wenn sie eine Verbesserung
ist, hat manche Unbequemlichkeiten für die erste Zeit, ja manchmal, wenn auch
nur vorübergehend, eine Vermehrung der Arbeit zur Folge, die die Beamten
scheuen. Viel mehr aber als dieses passive Verhalten der Beamten trägt zu
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