Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Universttätsfragen in Rußland Die geschilderten Mängel in den Universitäten geben die ausreichende Er¬ Die materielle Lage der Professoren muß verbessert, ihre Tätigkeit im Eine Universitätsselbstverwaltuug verträgt sich mit dem Staatsgedanken Universttätsfragen in Rußland Die geschilderten Mängel in den Universitäten geben die ausreichende Er¬ Die materielle Lage der Professoren muß verbessert, ihre Tätigkeit im Eine Universitätsselbstverwaltuug verträgt sich mit dem Staatsgedanken <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0263" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297395"/> <fw type="header" place="top"> Universttätsfragen in Rußland</fw><lb/> <p xml:id="ID_1156"> Die geschilderten Mängel in den Universitäten geben die ausreichende Er¬<lb/> klärung, warum diese Anstalten ihren Aufgaben nicht gerecht werden können.<lb/> Sie sind eine zu komplizierte Maschine, ein Organismus, der nicht die Kraft<lb/> in sich hat, erfolgreich gegen schädliche Auswüchse anzukämpfen, der in kritischen<lb/> Augenblicken völlig hilflos dasteht und außen unes Unterstützung suchen muß.<lb/> Die Universitätsordnung ist aufgebaut auf eine Reihe Gesetze und Verfügungen,<lb/> die zu verschiednen Zeiten aufeinander aufgepfropft sind, ohne daß sie zueinander<lb/> passen, und die sich bisweilen geradezu widersprechen. So tut eine Reform<lb/> denn gründlich not, und zwar in allernächster Zeit, sie soll auch schon an zu¬<lb/> ständiger Stelle angebahnt worden sein. Ihre Grundzüge dürften in den folgenden<lb/> Zeilen annähernd enthalten sein. Feste Bedingung für eine Gesundung der<lb/> Universität ist und bleibt unbedingtes Vertrauen der Regierung. Dieses muß<lb/> sich in der Verleihung einer kollegialen Selbstverwaltung äußern, die die Universi¬<lb/> täten auf den Standpunkt der Gelehrtenrepubliken andrer Länder stellt. Denn<lb/> die Erfahrung hat nunmehr hinlänglich bewiesen, daß eine büreaukratische Ver¬<lb/> waltung und die Stellung unter einen von der Regierung ernannten Vor¬<lb/> gesetzten den Interessen der Universität völlig widerspricht, da alle Angehörigen<lb/> des Profcssoreukollegiums gleichberechtigt und durch gleiche Autorität gestützt<lb/> sein müssen. Aus dem Recht der Selbstverwaltung entspringt das Recht, den<lb/> Rektor und die Dekane selbst zu wählen, die Kollegialität aber zeigt sich im<lb/> Universitätsrat, in der Verwaltung, dein Gericht und den Fakultäten. Das<lb/> Professorenkollegium bedarf des Rechts der Selbstergänzung; die Inspektion<lb/> muß mit geminderten Befugnissen als Prorektorat nnter den Rektor gestellt<lb/> werden. Den Studierenden muß man das Recht zubilligen, sich in Korporationen,<lb/> nach Fakultäten zusammenzuschließen; Vertreter des Lehrkörpers sollen daran<lb/> teilnehmen, aber so unabhängig gestellt sein, daß sie es gern und mit inneren<lb/> Interesse tun können.</p><lb/> <p xml:id="ID_1157"> Die materielle Lage der Professoren muß verbessert, ihre Tätigkeit im<lb/> Nebenamt dagegen eingeschränkt werden. Als Privntdvzcutcn dürfen nur<lb/> promovierte oder von der Universität selbst für würdig befundne Personen zu¬<lb/> gelassen werden. Die Aufsicht über den Studiengang üben die Dekane und<lb/> der Rektor aus. Die wissenschaftlichen Prüfungen der Studenten werden<lb/> dem Professorenkollegium übertragen. Vorgesetzte Behörde bleibt allein das<lb/> Ministerium.</p><lb/> <p xml:id="ID_1158" next="#ID_1159"> Eine Universitätsselbstverwaltuug verträgt sich mit dem Staatsgedanken<lb/> ebensogut wie die den Städten und den Landschaften verliehene Selbstvcnvaltuug.<lb/> Ihre Grenzen kann man durch Verordnung festsetzen; der Kontrolle durch deu<lb/> Staat bleibt sie unterworfen wie jede andre Staatsanstalt. Auch das Recht der<lb/> Selbstergänzung des Kollegiums, die Wahl des Rektors und des Prorektors<lb/> (Inspektors) und der Dekane soll nicht als absolut gelten und dem Aufsichts-<lb/> uud Bestätigungsrecht des Staates entzogen werden. Ist jedoch eine Wahl des<lb/> Kollegiums durch deu Staat gut geheißen, so soll der neu ernannte Träger<lb/> eines'Universitätsamts auch des Vertrauens teilhaftig werden, das jeder Staats¬<lb/> diener in angesehener Stellung beanspruchen kann. Dem Unterricht soll die<lb/> Freiheit gegeben werden, ohne die ein Fortschritt der Wissenschaft undenkbar ist.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0263]
Universttätsfragen in Rußland
Die geschilderten Mängel in den Universitäten geben die ausreichende Er¬
klärung, warum diese Anstalten ihren Aufgaben nicht gerecht werden können.
Sie sind eine zu komplizierte Maschine, ein Organismus, der nicht die Kraft
in sich hat, erfolgreich gegen schädliche Auswüchse anzukämpfen, der in kritischen
Augenblicken völlig hilflos dasteht und außen unes Unterstützung suchen muß.
Die Universitätsordnung ist aufgebaut auf eine Reihe Gesetze und Verfügungen,
die zu verschiednen Zeiten aufeinander aufgepfropft sind, ohne daß sie zueinander
passen, und die sich bisweilen geradezu widersprechen. So tut eine Reform
denn gründlich not, und zwar in allernächster Zeit, sie soll auch schon an zu¬
ständiger Stelle angebahnt worden sein. Ihre Grundzüge dürften in den folgenden
Zeilen annähernd enthalten sein. Feste Bedingung für eine Gesundung der
Universität ist und bleibt unbedingtes Vertrauen der Regierung. Dieses muß
sich in der Verleihung einer kollegialen Selbstverwaltung äußern, die die Universi¬
täten auf den Standpunkt der Gelehrtenrepubliken andrer Länder stellt. Denn
die Erfahrung hat nunmehr hinlänglich bewiesen, daß eine büreaukratische Ver¬
waltung und die Stellung unter einen von der Regierung ernannten Vor¬
gesetzten den Interessen der Universität völlig widerspricht, da alle Angehörigen
des Profcssoreukollegiums gleichberechtigt und durch gleiche Autorität gestützt
sein müssen. Aus dem Recht der Selbstverwaltung entspringt das Recht, den
Rektor und die Dekane selbst zu wählen, die Kollegialität aber zeigt sich im
Universitätsrat, in der Verwaltung, dein Gericht und den Fakultäten. Das
Professorenkollegium bedarf des Rechts der Selbstergänzung; die Inspektion
muß mit geminderten Befugnissen als Prorektorat nnter den Rektor gestellt
werden. Den Studierenden muß man das Recht zubilligen, sich in Korporationen,
nach Fakultäten zusammenzuschließen; Vertreter des Lehrkörpers sollen daran
teilnehmen, aber so unabhängig gestellt sein, daß sie es gern und mit inneren
Interesse tun können.
Die materielle Lage der Professoren muß verbessert, ihre Tätigkeit im
Nebenamt dagegen eingeschränkt werden. Als Privntdvzcutcn dürfen nur
promovierte oder von der Universität selbst für würdig befundne Personen zu¬
gelassen werden. Die Aufsicht über den Studiengang üben die Dekane und
der Rektor aus. Die wissenschaftlichen Prüfungen der Studenten werden
dem Professorenkollegium übertragen. Vorgesetzte Behörde bleibt allein das
Ministerium.
Eine Universitätsselbstverwaltuug verträgt sich mit dem Staatsgedanken
ebensogut wie die den Städten und den Landschaften verliehene Selbstvcnvaltuug.
Ihre Grenzen kann man durch Verordnung festsetzen; der Kontrolle durch deu
Staat bleibt sie unterworfen wie jede andre Staatsanstalt. Auch das Recht der
Selbstergänzung des Kollegiums, die Wahl des Rektors und des Prorektors
(Inspektors) und der Dekane soll nicht als absolut gelten und dem Aufsichts-
uud Bestätigungsrecht des Staates entzogen werden. Ist jedoch eine Wahl des
Kollegiums durch deu Staat gut geheißen, so soll der neu ernannte Träger
eines'Universitätsamts auch des Vertrauens teilhaftig werden, das jeder Staats¬
diener in angesehener Stellung beanspruchen kann. Dem Unterricht soll die
Freiheit gegeben werden, ohne die ein Fortschritt der Wissenschaft undenkbar ist.
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