Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.UniversitÄtsfrageN in Rußland allmählich zu dem alten Verfahren zurücksteucrten: es wurden nach der ersten Noch ernster als für den Universitntsuntcrricht und die wissenschaftliche Dieser Zustand widerspricht den Grundprinzipien der Universität. Freier Ein enger Zusammenhang zwischen der Lehrerschaft und den Studenten kann Grenzboten II 1S05 W
UniversitÄtsfrageN in Rußland allmählich zu dem alten Verfahren zurücksteucrten: es wurden nach der ersten Noch ernster als für den Universitntsuntcrricht und die wissenschaftliche Dieser Zustand widerspricht den Grundprinzipien der Universität. Freier Ein enger Zusammenhang zwischen der Lehrerschaft und den Studenten kann Grenzboten II 1S05 W
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0261" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297393"/> <fw type="header" place="top"> UniversitÄtsfrageN in Rußland</fw><lb/> <p xml:id="ID_1149" prev="#ID_1148"> allmählich zu dem alten Verfahren zurücksteucrten: es wurden nach der ersten<lb/> Hälfte der Universitätszeit Zwischenprüfungen eingeführt. Die hierdurch er¬<lb/> ledigten Wissenszweige schieden aus der Staatsprüfung aus. Hieraus ergab<lb/> sich aber eine sehr unerwünschte Unterscheidung in Haupt- und in Nebenfacher,<lb/> zu denen zum Beispiel in der juristischen Fakultät sogar Staatsrecht, Finanz-<lb/> und Polizeirecht, Kirchenrecht u. a. gerechnet wurden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1150"> Noch ernster als für den Universitntsuntcrricht und die wissenschaftliche<lb/> Ausbildung der Studenten waren diese Änderungen in moralischer Beziehung.<lb/> Es konnte den Studenten nicht verborgen bleiben, daß alle die Geschenke des<lb/> neuen Reglements, Studienplänc und Staatsexamen, die Erweiterung der Be¬<lb/> fugnisse der Inspektion und alle andern unerfreulichen Erfindungen nur ein<lb/> Ausdruck des Mißtrauens gegen die Universität und ihren Lehrkörper seien.<lb/> Eine Bestätigung solcher Ansicht lag für sie darin, daß es an den höhern<lb/> Lehranstalten andrer Ressorts wesentlich günstigere Verhältnisse für Lehrer,<lb/> Studierende und die Pflege der Wissenschaft gibt. Das Reglement vom<lb/> Jahre 1863 erkannte den Studenten (mit Ausnahme derer an der Universität<lb/> Dorpat) nicht das Recht zu, sich zu Kameradschaften, Kränzchen, Landsmann¬<lb/> schaften und ähnlichen Verbindungen zu vereinigen. Das Reglement vom<lb/> Jahre 1884 beschnitt sogar noch die Korporationsrechte der Professoren, indem<lb/> es deren Ernennung dem Staate zuwies. Zwischen Professoren und Studenten<lb/> trat trennend die der Universität gänzlich fremde Inspektion. Diese nahm den<lb/> Professoren die Möglichkeit, nähere Beziehungen zu den Studenten außerhalb<lb/> des Auditoriums zu pflegen, und entzog auf diese Weise die Studentenschaft<lb/> der erziehenden Einwirkung der Professoren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1151"> Dieser Zustand widerspricht den Grundprinzipien der Universität. Freier<lb/> Gedankenaustausch ist für den Studenten wie für seinen Lehrer von derselbe»<lb/> Wichtigkeit; richtige Förderung der Wissenschaft ist nur bei ununterbrochen<lb/> zwanglosem Verkehr zwischen beiden denkbar. Wo solcher fehlt, und die Auf¬<lb/> gabe des Professors mit dem Lesen eiuer bestimmten Anzahl Kollegs erfüllt<lb/> ist, da ist die Wissenschaft zum Stillstand verurteilt, und das akademische Leben<lb/> kann sehr bald in eine den Interessen der Universität und mithin auch der<lb/> Regierung feindliche Richtung getrieben werden. In dem Mangel an einer<lb/> Interessengemeinschaft der Studenten unter sich, mit den Professoren und den<lb/> Universitätsbehörden sieht seit einigen Jahren mich die Regierung eine der<lb/> Hauptursachen der Studentenunruhen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1152"> Ein enger Zusammenhang zwischen der Lehrerschaft und den Studenten kann<lb/> natürlich nicht befohlen werden, sondern muß sich aus dem akademischen Leben von<lb/> selbst entwickeln, wie das Beispiel der meisten nichtrussischen Universitäten zeigt.<lb/> Hier sind dank dem hohen Ansehen der Professoren die Fälle von Jndisziplin und<lb/> von Störung der Ordnung eine Ausnahme. Jede Störung des Universitätslebens<lb/> würde überall durch die Mehrheit der Besonnenen abgewiesen werden. Ähnlich geht<lb/> es in dem polytechnischen Institut in Riga zu, wo bisher wenigstens bei zwei¬<lb/> tausend Studenten Ordnung und Disziplin durch die Autorität der Professoren und<lb/> ihre enge Verbindung mit der Studentenschaft aufrecht erhalte» wurde und leine<lb/> Inspektion besteht. Auf den russischen Universitäten ist so etwas nicht möglich.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1S05 W</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0261]
UniversitÄtsfrageN in Rußland
allmählich zu dem alten Verfahren zurücksteucrten: es wurden nach der ersten
Hälfte der Universitätszeit Zwischenprüfungen eingeführt. Die hierdurch er¬
ledigten Wissenszweige schieden aus der Staatsprüfung aus. Hieraus ergab
sich aber eine sehr unerwünschte Unterscheidung in Haupt- und in Nebenfacher,
zu denen zum Beispiel in der juristischen Fakultät sogar Staatsrecht, Finanz-
und Polizeirecht, Kirchenrecht u. a. gerechnet wurden.
Noch ernster als für den Universitntsuntcrricht und die wissenschaftliche
Ausbildung der Studenten waren diese Änderungen in moralischer Beziehung.
Es konnte den Studenten nicht verborgen bleiben, daß alle die Geschenke des
neuen Reglements, Studienplänc und Staatsexamen, die Erweiterung der Be¬
fugnisse der Inspektion und alle andern unerfreulichen Erfindungen nur ein
Ausdruck des Mißtrauens gegen die Universität und ihren Lehrkörper seien.
Eine Bestätigung solcher Ansicht lag für sie darin, daß es an den höhern
Lehranstalten andrer Ressorts wesentlich günstigere Verhältnisse für Lehrer,
Studierende und die Pflege der Wissenschaft gibt. Das Reglement vom
Jahre 1863 erkannte den Studenten (mit Ausnahme derer an der Universität
Dorpat) nicht das Recht zu, sich zu Kameradschaften, Kränzchen, Landsmann¬
schaften und ähnlichen Verbindungen zu vereinigen. Das Reglement vom
Jahre 1884 beschnitt sogar noch die Korporationsrechte der Professoren, indem
es deren Ernennung dem Staate zuwies. Zwischen Professoren und Studenten
trat trennend die der Universität gänzlich fremde Inspektion. Diese nahm den
Professoren die Möglichkeit, nähere Beziehungen zu den Studenten außerhalb
des Auditoriums zu pflegen, und entzog auf diese Weise die Studentenschaft
der erziehenden Einwirkung der Professoren.
Dieser Zustand widerspricht den Grundprinzipien der Universität. Freier
Gedankenaustausch ist für den Studenten wie für seinen Lehrer von derselbe»
Wichtigkeit; richtige Förderung der Wissenschaft ist nur bei ununterbrochen
zwanglosem Verkehr zwischen beiden denkbar. Wo solcher fehlt, und die Auf¬
gabe des Professors mit dem Lesen eiuer bestimmten Anzahl Kollegs erfüllt
ist, da ist die Wissenschaft zum Stillstand verurteilt, und das akademische Leben
kann sehr bald in eine den Interessen der Universität und mithin auch der
Regierung feindliche Richtung getrieben werden. In dem Mangel an einer
Interessengemeinschaft der Studenten unter sich, mit den Professoren und den
Universitätsbehörden sieht seit einigen Jahren mich die Regierung eine der
Hauptursachen der Studentenunruhen.
Ein enger Zusammenhang zwischen der Lehrerschaft und den Studenten kann
natürlich nicht befohlen werden, sondern muß sich aus dem akademischen Leben von
selbst entwickeln, wie das Beispiel der meisten nichtrussischen Universitäten zeigt.
Hier sind dank dem hohen Ansehen der Professoren die Fälle von Jndisziplin und
von Störung der Ordnung eine Ausnahme. Jede Störung des Universitätslebens
würde überall durch die Mehrheit der Besonnenen abgewiesen werden. Ähnlich geht
es in dem polytechnischen Institut in Riga zu, wo bisher wenigstens bei zwei¬
tausend Studenten Ordnung und Disziplin durch die Autorität der Professoren und
ihre enge Verbindung mit der Studentenschaft aufrecht erhalte» wurde und leine
Inspektion besteht. Auf den russischen Universitäten ist so etwas nicht möglich.
Grenzboten II 1S05 W
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