Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Der vichterphilosoph des deutschen Volkes Maßstab der Kunst stellen, weil es Kraft in sich hatte, demselben, sobald es Schiller hat durch seiue Tragödien veredelnd auf sei" Volk einwirken Die Überschätzung des Theaters im Weimarischen.Kreise (von der übrigens Schiller hat es auch wirklich befriedigt -- nicht im Theater freilich, wie Der vichterphilosoph des deutschen Volkes Maßstab der Kunst stellen, weil es Kraft in sich hatte, demselben, sobald es Schiller hat durch seiue Tragödien veredelnd auf sei» Volk einwirken Die Überschätzung des Theaters im Weimarischen.Kreise (von der übrigens Schiller hat es auch wirklich befriedigt — nicht im Theater freilich, wie <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0255" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297387"/> <fw type="header" place="top"> Der vichterphilosoph des deutschen Volkes</fw><lb/> <p xml:id="ID_1133" prev="#ID_1132"> Maßstab der Kunst stellen, weil es Kraft in sich hatte, demselben, sobald es<lb/> ernstlich wollte, genug zu tun; aber es wäre lächerlich und grausam zugleich,<lb/> auf ähnliche Art mit Leuten zu verfahren, an welche die Natur nicht gedacht<lb/> hat, und die mit jedem Produkt, das sie zu Markte bringen, ein vollgiltiges<lb/> töstimouiuin xiwxörtatis aufweisen." Es sei die naive Poesie, die solche Wichte<lb/> dazu verführe, sich für Dichter zu halten. „Die sentimentalische Poesie, wie¬<lb/> wohl von einer andern Seite gefährlich genug, halt wenigstens dieses Volk in<lb/> Entfernung, weil es nicht jedermanns Sache ist, sich zu Ideen zu erheben; die<lb/> naive Poesie aber bringt es ans den Glauben, als wenn schon die bloße<lb/> Empfindung, der bloße Humor, die bloße Nachahmung wirklicher Natur den<lb/> Dichter ausmache. Nichts aber ist widerwärtiger, als wenn der platte Charakter<lb/> sich einfallen läßt, liebenswürdig und naiv sein zu wollen — er, der sich in<lb/> alle Hüllen der Kunst stecken sollte, um seine ekelhafte Natur zu verbergen."</p><lb/> <p xml:id="ID_1134"> Schiller hat durch seiue Tragödien veredelnd auf sei» Volk einwirken<lb/> wollen und hat diesen Zweck erreicht, aber nicht durch das Theater, sondern<lb/> dnrch die Schule und die Lektüre außerhalb der Schule. Freilich hat er ein¬<lb/> mal „die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet," aber schon zwei<lb/> Jahre vorher darüber geklagt, daß sie es nicht sei. „Werden darum weniger<lb/> Mädchen verführt, weil Sara Samson ihren Fehltritt mit Gifte büßet?" Und<lb/> wenn noch die Mehrzahl der Stücke, oder auch nur eine beträchtliche Minder¬<lb/> zahl, auf der Höhe von Lessings Dramen stünde! Und gar das Theater¬<lb/> publikum! Und die Schauspieler! „Solange die Schlachtopfer der Wollust<lb/> von den Töchtern der Wollust gespielt werden, . . . solange das Schauspiel für<lb/> die Toilette und die Schenke arbeitet, so lange mögen unsre Theaterschriftsteller<lb/> der patriotischen Eitelkeit entsagen, Lehrer des Volks zu sein. Bevor das<lb/> Publikum für seine Bühne gebildet ist, dürfte wohl schwerlich die Bühne ihr<lb/> Publikum bilden."</p><lb/> <p xml:id="ID_1135"> Die Überschätzung des Theaters im Weimarischen.Kreise (von der übrigens<lb/> Goethe, wie man aus Meisters Wanderjahren sieht, im höhern Alter zurück¬<lb/> gekommen ist) haben wir bei einer frühern Gelegenheit daraus erklärt, daß<lb/> dieser .Kreis zu ausschließlich von literarischen Interessen bewegt wurde, und<lb/> daß sich ihm, in seiner unpolitischen und religionslosen halkyonischen Atmo¬<lb/> sphäre, die wirklichen Lebensmächte einige Jahre lang nicht bemerkbar machten.<lb/> Über den Wert dieser Lebensmächte: Staat, politische Partei, Militär, Schule,<lb/> Presse, Religion, Kirche soll hier nicht geurteilt, sondern es soll nur die Tat¬<lb/> sache festgestellt werden, daß der Massenhaftigkeit und Allgemeinheit ihrer Ein¬<lb/> wirkung gegenüber der sporadische Theaterbesuch eines kleinen Bruchteils der<lb/> Bevölkerung nicht ins Gewicht fällt, und daß die Habitues der Großstädte nicht<lb/> zu den Kraftelementen des Volkskörpers gehören. Namentlich der vollständige<lb/> Schwund der Religion in den gebildeten Kreisen des damaligen Deutschlands<lb/> legte den Ersatz der Kirche durch das Theater nahe — für die Masse, die<lb/> Honoratioren fanden ihn in der Freimaurerloge — denn das Bedürfnis einer<lb/> Erbauung besteht nun einmal.</p><lb/> <p xml:id="ID_1136" next="#ID_1137"> Schiller hat es auch wirklich befriedigt — nicht im Theater freilich, wie<lb/> oben bemerkt wurde; denn da genießen ihn nur wenige und in homöopathischen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0255]
Der vichterphilosoph des deutschen Volkes
Maßstab der Kunst stellen, weil es Kraft in sich hatte, demselben, sobald es
ernstlich wollte, genug zu tun; aber es wäre lächerlich und grausam zugleich,
auf ähnliche Art mit Leuten zu verfahren, an welche die Natur nicht gedacht
hat, und die mit jedem Produkt, das sie zu Markte bringen, ein vollgiltiges
töstimouiuin xiwxörtatis aufweisen." Es sei die naive Poesie, die solche Wichte
dazu verführe, sich für Dichter zu halten. „Die sentimentalische Poesie, wie¬
wohl von einer andern Seite gefährlich genug, halt wenigstens dieses Volk in
Entfernung, weil es nicht jedermanns Sache ist, sich zu Ideen zu erheben; die
naive Poesie aber bringt es ans den Glauben, als wenn schon die bloße
Empfindung, der bloße Humor, die bloße Nachahmung wirklicher Natur den
Dichter ausmache. Nichts aber ist widerwärtiger, als wenn der platte Charakter
sich einfallen läßt, liebenswürdig und naiv sein zu wollen — er, der sich in
alle Hüllen der Kunst stecken sollte, um seine ekelhafte Natur zu verbergen."
Schiller hat durch seiue Tragödien veredelnd auf sei» Volk einwirken
wollen und hat diesen Zweck erreicht, aber nicht durch das Theater, sondern
dnrch die Schule und die Lektüre außerhalb der Schule. Freilich hat er ein¬
mal „die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet," aber schon zwei
Jahre vorher darüber geklagt, daß sie es nicht sei. „Werden darum weniger
Mädchen verführt, weil Sara Samson ihren Fehltritt mit Gifte büßet?" Und
wenn noch die Mehrzahl der Stücke, oder auch nur eine beträchtliche Minder¬
zahl, auf der Höhe von Lessings Dramen stünde! Und gar das Theater¬
publikum! Und die Schauspieler! „Solange die Schlachtopfer der Wollust
von den Töchtern der Wollust gespielt werden, . . . solange das Schauspiel für
die Toilette und die Schenke arbeitet, so lange mögen unsre Theaterschriftsteller
der patriotischen Eitelkeit entsagen, Lehrer des Volks zu sein. Bevor das
Publikum für seine Bühne gebildet ist, dürfte wohl schwerlich die Bühne ihr
Publikum bilden."
Die Überschätzung des Theaters im Weimarischen.Kreise (von der übrigens
Goethe, wie man aus Meisters Wanderjahren sieht, im höhern Alter zurück¬
gekommen ist) haben wir bei einer frühern Gelegenheit daraus erklärt, daß
dieser .Kreis zu ausschließlich von literarischen Interessen bewegt wurde, und
daß sich ihm, in seiner unpolitischen und religionslosen halkyonischen Atmo¬
sphäre, die wirklichen Lebensmächte einige Jahre lang nicht bemerkbar machten.
Über den Wert dieser Lebensmächte: Staat, politische Partei, Militär, Schule,
Presse, Religion, Kirche soll hier nicht geurteilt, sondern es soll nur die Tat¬
sache festgestellt werden, daß der Massenhaftigkeit und Allgemeinheit ihrer Ein¬
wirkung gegenüber der sporadische Theaterbesuch eines kleinen Bruchteils der
Bevölkerung nicht ins Gewicht fällt, und daß die Habitues der Großstädte nicht
zu den Kraftelementen des Volkskörpers gehören. Namentlich der vollständige
Schwund der Religion in den gebildeten Kreisen des damaligen Deutschlands
legte den Ersatz der Kirche durch das Theater nahe — für die Masse, die
Honoratioren fanden ihn in der Freimaurerloge — denn das Bedürfnis einer
Erbauung besteht nun einmal.
Schiller hat es auch wirklich befriedigt — nicht im Theater freilich, wie
oben bemerkt wurde; denn da genießen ihn nur wenige und in homöopathischen
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