Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
tNaßgebliches und Unmaßgebliches

schwanger aussehen und sich dennoch mit Blitz und Donner entladen. An inter¬
nationalen Gärungsstoffen fehlt es in Europa nicht. Sie sind zwischen Rußland
und England, zwischen Rußland und Österreich, zwischen Frankreich "ut Deutsch¬
land vorhanden. Auch Österreich und Italien sind neuerdings schon beide zu
Rüstungsmaßnahmen vorgeschritten, in England ist eine zwar irregeleitete aber recht
starke Strömung der öffentlichen Meinung gegen Deutschland gerichtet, und es ge¬
schieht von dort aus, was möglich ist, in Frankreich das glimmende Feuer gegen
uns zu schüren und in Nußland Mißtrauen gegen den deutsche"? Nachbar zu säe".
Unter diesen Umständen werden wir wohltun, uns an das klassische Diktum zu
halten: "Bereit sein, ist alles." Auch eine so friedlich gesinnte Regierung wie
unsre jetzige muß die Politik des Bereitseins festhalten; eine andre Politik wäre
den Zwecken der Reichsverfassung und dem Inhalt des deutschen Bundesvertrags
zuwider, der zu allererst als ein wetterfestes Dach für alle Stämme Germaniens
gedacht war. Von den drei Säulen, die dieses Dach tragen: Waffengemeinschast,
Wirtschaftsgemeinschaft, Rechtsgemeinschaft muß die erste die festeste und unerschütter¬
lichste sein, weil ohne sie die beiden andern wertlos wären.

Eine altdeutsche Zukunftspolitik geht darauf aus, die Nachbar- und Neben¬
länder des Reichs, Österreich-Ungarn, die Schweiz und die Niederlande, zunächst
auf der Grundlage des Zollvereins mit Deutschland zu verbinde"; aus dieser Wirt¬
schaftsgemeinschaft, sagt man, werde sich dereinst vielleicht auch die Rechtsgemein¬
schaft und viel früher schon die Waffengemeinschaft ergeben. Es ist in der Ge¬
schichte unsrer nationalen Entwicklung eine bemerkenswerte Tatsache, wie häufig die
Ideale den Tatsachen wegzeigend vorangeeilt sind. Unter dem Druck der napoleo¬
nischen Fremdherrschaft war in Deutschland eine neue junge Saat nationalen
Gemeinsinns von einer Reinheit und einer idealen Richtung entsprossen, wie sie
vorher im alten Reiche niemals vorhanden gewesen war. Der nationale Gedanke
im eigentlichen Sinne, der Gedanke des einheitlichen und straffen Zusammenfassens
aller nationalen Kräfte war der Gegendruck, der durch deu Druck erzeugt war.
Der Tugendbund vor dem Befreiungskriege schuf die Rächer des niedergetretnen
Vaterlandes, er reichte bis in die obersten Spitzen des Heeres, er durchglühte mit
seinem heiligen Feuer das Blüchersche Hauptquartier. Als dann das Reich nicht
aufgerichtet, das Elsaß nicht zurückgenommen wurde, als sogar Preußen aus den
schweren Kämpfen nicht mit der verdienten Vergrößerung hervorging, blieb in der
Seele vieler dieser Männer -- der vornehmste von ihnen war Gneisenau -- eine
tiefe Verstimmung zurück.

Der Tugendbund hatte mit Leipzig und Belle-Alliance nur der Form nach
aufgehört. Sein Appell an die deutsche Jugend wirkte nach, die Burschenschafter
waren, auch da wo sie irrten, doch Jünglinge voll desselben patriotischen Geistes,
der sie wenig Jahre früher in die Reihen der freiwilligen Jäger geführt hätte.
Ein unbefriedigtes Sehnen rang in ihnen um Ausdruck. Ergrauende Männer mit
dem Eisernen Kreuz sahen teiluahmevoll auf diese irregehende Jugend, und Preußen
tat die Arbeit seiner ärgsten Feinde, als es diese idealen Strömungen, die doch
den Wurzeln seiner eignen Kraft entsprossen waren, gewaltsam unterdrückte anstatt
sich ihrer zu bemächtigen und sich von ihnen tragen zu lassen. Und sie haben es
doch getragen! Durch allen Wechsel der Zeiten wahrte Preußen in seinem
innersten Kern doch dem Idealismus eine Freistatt, der einst die Fesseln der
Fremdherrschaft gebrochen und an die Krone Friedrichs des Großen das Eiserne
Kreuz geheftet hatte, das eherne Zeichen einer ehernen Zeit. Es war immer
derselbe Gedanke, gleichviel ob er siegesjauchzend ans den Höhen von Paris erklang,
ob er bei den Oktoberfeuern und bei der Wartburgfeier sein: "Flamme empor!"
ertönen ließ, oder ob er in den trockensten Zahlen die Grundlagen zum Zoll¬
vereinsvertrage schuf. Die im Tugendbünde von den Rändern des niedergetretnen
Vaterlands gestreute Saat ist immer von neuem aufgegangen, von einem Jahr¬
zehnt zum andern, bis sie endlich wieder reif war zum Schneiden, und Gott auch


tNaßgebliches und Unmaßgebliches

schwanger aussehen und sich dennoch mit Blitz und Donner entladen. An inter¬
nationalen Gärungsstoffen fehlt es in Europa nicht. Sie sind zwischen Rußland
und England, zwischen Rußland und Österreich, zwischen Frankreich »ut Deutsch¬
land vorhanden. Auch Österreich und Italien sind neuerdings schon beide zu
Rüstungsmaßnahmen vorgeschritten, in England ist eine zwar irregeleitete aber recht
starke Strömung der öffentlichen Meinung gegen Deutschland gerichtet, und es ge¬
schieht von dort aus, was möglich ist, in Frankreich das glimmende Feuer gegen
uns zu schüren und in Nußland Mißtrauen gegen den deutsche«? Nachbar zu säe».
Unter diesen Umständen werden wir wohltun, uns an das klassische Diktum zu
halten: „Bereit sein, ist alles." Auch eine so friedlich gesinnte Regierung wie
unsre jetzige muß die Politik des Bereitseins festhalten; eine andre Politik wäre
den Zwecken der Reichsverfassung und dem Inhalt des deutschen Bundesvertrags
zuwider, der zu allererst als ein wetterfestes Dach für alle Stämme Germaniens
gedacht war. Von den drei Säulen, die dieses Dach tragen: Waffengemeinschast,
Wirtschaftsgemeinschaft, Rechtsgemeinschaft muß die erste die festeste und unerschütter¬
lichste sein, weil ohne sie die beiden andern wertlos wären.

Eine altdeutsche Zukunftspolitik geht darauf aus, die Nachbar- und Neben¬
länder des Reichs, Österreich-Ungarn, die Schweiz und die Niederlande, zunächst
auf der Grundlage des Zollvereins mit Deutschland zu verbinde»; aus dieser Wirt¬
schaftsgemeinschaft, sagt man, werde sich dereinst vielleicht auch die Rechtsgemein¬
schaft und viel früher schon die Waffengemeinschaft ergeben. Es ist in der Ge¬
schichte unsrer nationalen Entwicklung eine bemerkenswerte Tatsache, wie häufig die
Ideale den Tatsachen wegzeigend vorangeeilt sind. Unter dem Druck der napoleo¬
nischen Fremdherrschaft war in Deutschland eine neue junge Saat nationalen
Gemeinsinns von einer Reinheit und einer idealen Richtung entsprossen, wie sie
vorher im alten Reiche niemals vorhanden gewesen war. Der nationale Gedanke
im eigentlichen Sinne, der Gedanke des einheitlichen und straffen Zusammenfassens
aller nationalen Kräfte war der Gegendruck, der durch deu Druck erzeugt war.
Der Tugendbund vor dem Befreiungskriege schuf die Rächer des niedergetretnen
Vaterlandes, er reichte bis in die obersten Spitzen des Heeres, er durchglühte mit
seinem heiligen Feuer das Blüchersche Hauptquartier. Als dann das Reich nicht
aufgerichtet, das Elsaß nicht zurückgenommen wurde, als sogar Preußen aus den
schweren Kämpfen nicht mit der verdienten Vergrößerung hervorging, blieb in der
Seele vieler dieser Männer — der vornehmste von ihnen war Gneisenau — eine
tiefe Verstimmung zurück.

Der Tugendbund hatte mit Leipzig und Belle-Alliance nur der Form nach
aufgehört. Sein Appell an die deutsche Jugend wirkte nach, die Burschenschafter
waren, auch da wo sie irrten, doch Jünglinge voll desselben patriotischen Geistes,
der sie wenig Jahre früher in die Reihen der freiwilligen Jäger geführt hätte.
Ein unbefriedigtes Sehnen rang in ihnen um Ausdruck. Ergrauende Männer mit
dem Eisernen Kreuz sahen teiluahmevoll auf diese irregehende Jugend, und Preußen
tat die Arbeit seiner ärgsten Feinde, als es diese idealen Strömungen, die doch
den Wurzeln seiner eignen Kraft entsprossen waren, gewaltsam unterdrückte anstatt
sich ihrer zu bemächtigen und sich von ihnen tragen zu lassen. Und sie haben es
doch getragen! Durch allen Wechsel der Zeiten wahrte Preußen in seinem
innersten Kern doch dem Idealismus eine Freistatt, der einst die Fesseln der
Fremdherrschaft gebrochen und an die Krone Friedrichs des Großen das Eiserne
Kreuz geheftet hatte, das eherne Zeichen einer ehernen Zeit. Es war immer
derselbe Gedanke, gleichviel ob er siegesjauchzend ans den Höhen von Paris erklang,
ob er bei den Oktoberfeuern und bei der Wartburgfeier sein: „Flamme empor!"
ertönen ließ, oder ob er in den trockensten Zahlen die Grundlagen zum Zoll¬
vereinsvertrage schuf. Die im Tugendbünde von den Rändern des niedergetretnen
Vaterlands gestreute Saat ist immer von neuem aufgegangen, von einem Jahr¬
zehnt zum andern, bis sie endlich wieder reif war zum Schneiden, und Gott auch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0228" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297360"/>
            <fw type="header" place="top"> tNaßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1055" prev="#ID_1054"> schwanger aussehen und sich dennoch mit Blitz und Donner entladen. An inter¬<lb/>
nationalen Gärungsstoffen fehlt es in Europa nicht. Sie sind zwischen Rußland<lb/>
und England, zwischen Rußland und Österreich, zwischen Frankreich »ut Deutsch¬<lb/>
land vorhanden. Auch Österreich und Italien sind neuerdings schon beide zu<lb/>
Rüstungsmaßnahmen vorgeschritten, in England ist eine zwar irregeleitete aber recht<lb/>
starke Strömung der öffentlichen Meinung gegen Deutschland gerichtet, und es ge¬<lb/>
schieht von dort aus, was möglich ist, in Frankreich das glimmende Feuer gegen<lb/>
uns zu schüren und in Nußland Mißtrauen gegen den deutsche«? Nachbar zu säe».<lb/>
Unter diesen Umständen werden wir wohltun, uns an das klassische Diktum zu<lb/>
halten: &#x201E;Bereit sein, ist alles." Auch eine so friedlich gesinnte Regierung wie<lb/>
unsre jetzige muß die Politik des Bereitseins festhalten; eine andre Politik wäre<lb/>
den Zwecken der Reichsverfassung und dem Inhalt des deutschen Bundesvertrags<lb/>
zuwider, der zu allererst als ein wetterfestes Dach für alle Stämme Germaniens<lb/>
gedacht war. Von den drei Säulen, die dieses Dach tragen: Waffengemeinschast,<lb/>
Wirtschaftsgemeinschaft, Rechtsgemeinschaft muß die erste die festeste und unerschütter¬<lb/>
lichste sein, weil ohne sie die beiden andern wertlos wären.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1056"> Eine altdeutsche Zukunftspolitik geht darauf aus, die Nachbar- und Neben¬<lb/>
länder des Reichs, Österreich-Ungarn, die Schweiz und die Niederlande, zunächst<lb/>
auf der Grundlage des Zollvereins mit Deutschland zu verbinde»; aus dieser Wirt¬<lb/>
schaftsgemeinschaft, sagt man, werde sich dereinst vielleicht auch die Rechtsgemein¬<lb/>
schaft und viel früher schon die Waffengemeinschaft ergeben. Es ist in der Ge¬<lb/>
schichte unsrer nationalen Entwicklung eine bemerkenswerte Tatsache, wie häufig die<lb/>
Ideale den Tatsachen wegzeigend vorangeeilt sind. Unter dem Druck der napoleo¬<lb/>
nischen Fremdherrschaft war in Deutschland eine neue junge Saat nationalen<lb/>
Gemeinsinns von einer Reinheit und einer idealen Richtung entsprossen, wie sie<lb/>
vorher im alten Reiche niemals vorhanden gewesen war. Der nationale Gedanke<lb/>
im eigentlichen Sinne, der Gedanke des einheitlichen und straffen Zusammenfassens<lb/>
aller nationalen Kräfte war der Gegendruck, der durch deu Druck erzeugt war.<lb/>
Der Tugendbund vor dem Befreiungskriege schuf die Rächer des niedergetretnen<lb/>
Vaterlandes, er reichte bis in die obersten Spitzen des Heeres, er durchglühte mit<lb/>
seinem heiligen Feuer das Blüchersche Hauptquartier. Als dann das Reich nicht<lb/>
aufgerichtet, das Elsaß nicht zurückgenommen wurde, als sogar Preußen aus den<lb/>
schweren Kämpfen nicht mit der verdienten Vergrößerung hervorging, blieb in der<lb/>
Seele vieler dieser Männer &#x2014; der vornehmste von ihnen war Gneisenau &#x2014; eine<lb/>
tiefe Verstimmung zurück.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1057" next="#ID_1058"> Der Tugendbund hatte mit Leipzig und Belle-Alliance nur der Form nach<lb/>
aufgehört. Sein Appell an die deutsche Jugend wirkte nach, die Burschenschafter<lb/>
waren, auch da wo sie irrten, doch Jünglinge voll desselben patriotischen Geistes,<lb/>
der sie wenig Jahre früher in die Reihen der freiwilligen Jäger geführt hätte.<lb/>
Ein unbefriedigtes Sehnen rang in ihnen um Ausdruck. Ergrauende Männer mit<lb/>
dem Eisernen Kreuz sahen teiluahmevoll auf diese irregehende Jugend, und Preußen<lb/>
tat die Arbeit seiner ärgsten Feinde, als es diese idealen Strömungen, die doch<lb/>
den Wurzeln seiner eignen Kraft entsprossen waren, gewaltsam unterdrückte anstatt<lb/>
sich ihrer zu bemächtigen und sich von ihnen tragen zu lassen. Und sie haben es<lb/>
doch getragen! Durch allen Wechsel der Zeiten wahrte Preußen in seinem<lb/>
innersten Kern doch dem Idealismus eine Freistatt, der einst die Fesseln der<lb/>
Fremdherrschaft gebrochen und an die Krone Friedrichs des Großen das Eiserne<lb/>
Kreuz geheftet hatte, das eherne Zeichen einer ehernen Zeit. Es war immer<lb/>
derselbe Gedanke, gleichviel ob er siegesjauchzend ans den Höhen von Paris erklang,<lb/>
ob er bei den Oktoberfeuern und bei der Wartburgfeier sein: &#x201E;Flamme empor!"<lb/>
ertönen ließ, oder ob er in den trockensten Zahlen die Grundlagen zum Zoll¬<lb/>
vereinsvertrage schuf. Die im Tugendbünde von den Rändern des niedergetretnen<lb/>
Vaterlands gestreute Saat ist immer von neuem aufgegangen, von einem Jahr¬<lb/>
zehnt zum andern, bis sie endlich wieder reif war zum Schneiden, und Gott auch</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0228] tNaßgebliches und Unmaßgebliches schwanger aussehen und sich dennoch mit Blitz und Donner entladen. An inter¬ nationalen Gärungsstoffen fehlt es in Europa nicht. Sie sind zwischen Rußland und England, zwischen Rußland und Österreich, zwischen Frankreich »ut Deutsch¬ land vorhanden. Auch Österreich und Italien sind neuerdings schon beide zu Rüstungsmaßnahmen vorgeschritten, in England ist eine zwar irregeleitete aber recht starke Strömung der öffentlichen Meinung gegen Deutschland gerichtet, und es ge¬ schieht von dort aus, was möglich ist, in Frankreich das glimmende Feuer gegen uns zu schüren und in Nußland Mißtrauen gegen den deutsche«? Nachbar zu säe». Unter diesen Umständen werden wir wohltun, uns an das klassische Diktum zu halten: „Bereit sein, ist alles." Auch eine so friedlich gesinnte Regierung wie unsre jetzige muß die Politik des Bereitseins festhalten; eine andre Politik wäre den Zwecken der Reichsverfassung und dem Inhalt des deutschen Bundesvertrags zuwider, der zu allererst als ein wetterfestes Dach für alle Stämme Germaniens gedacht war. Von den drei Säulen, die dieses Dach tragen: Waffengemeinschast, Wirtschaftsgemeinschaft, Rechtsgemeinschaft muß die erste die festeste und unerschütter¬ lichste sein, weil ohne sie die beiden andern wertlos wären. Eine altdeutsche Zukunftspolitik geht darauf aus, die Nachbar- und Neben¬ länder des Reichs, Österreich-Ungarn, die Schweiz und die Niederlande, zunächst auf der Grundlage des Zollvereins mit Deutschland zu verbinde»; aus dieser Wirt¬ schaftsgemeinschaft, sagt man, werde sich dereinst vielleicht auch die Rechtsgemein¬ schaft und viel früher schon die Waffengemeinschaft ergeben. Es ist in der Ge¬ schichte unsrer nationalen Entwicklung eine bemerkenswerte Tatsache, wie häufig die Ideale den Tatsachen wegzeigend vorangeeilt sind. Unter dem Druck der napoleo¬ nischen Fremdherrschaft war in Deutschland eine neue junge Saat nationalen Gemeinsinns von einer Reinheit und einer idealen Richtung entsprossen, wie sie vorher im alten Reiche niemals vorhanden gewesen war. Der nationale Gedanke im eigentlichen Sinne, der Gedanke des einheitlichen und straffen Zusammenfassens aller nationalen Kräfte war der Gegendruck, der durch deu Druck erzeugt war. Der Tugendbund vor dem Befreiungskriege schuf die Rächer des niedergetretnen Vaterlandes, er reichte bis in die obersten Spitzen des Heeres, er durchglühte mit seinem heiligen Feuer das Blüchersche Hauptquartier. Als dann das Reich nicht aufgerichtet, das Elsaß nicht zurückgenommen wurde, als sogar Preußen aus den schweren Kämpfen nicht mit der verdienten Vergrößerung hervorging, blieb in der Seele vieler dieser Männer — der vornehmste von ihnen war Gneisenau — eine tiefe Verstimmung zurück. Der Tugendbund hatte mit Leipzig und Belle-Alliance nur der Form nach aufgehört. Sein Appell an die deutsche Jugend wirkte nach, die Burschenschafter waren, auch da wo sie irrten, doch Jünglinge voll desselben patriotischen Geistes, der sie wenig Jahre früher in die Reihen der freiwilligen Jäger geführt hätte. Ein unbefriedigtes Sehnen rang in ihnen um Ausdruck. Ergrauende Männer mit dem Eisernen Kreuz sahen teiluahmevoll auf diese irregehende Jugend, und Preußen tat die Arbeit seiner ärgsten Feinde, als es diese idealen Strömungen, die doch den Wurzeln seiner eignen Kraft entsprossen waren, gewaltsam unterdrückte anstatt sich ihrer zu bemächtigen und sich von ihnen tragen zu lassen. Und sie haben es doch getragen! Durch allen Wechsel der Zeiten wahrte Preußen in seinem innersten Kern doch dem Idealismus eine Freistatt, der einst die Fesseln der Fremdherrschaft gebrochen und an die Krone Friedrichs des Großen das Eiserne Kreuz geheftet hatte, das eherne Zeichen einer ehernen Zeit. Es war immer derselbe Gedanke, gleichviel ob er siegesjauchzend ans den Höhen von Paris erklang, ob er bei den Oktoberfeuern und bei der Wartburgfeier sein: „Flamme empor!" ertönen ließ, oder ob er in den trockensten Zahlen die Grundlagen zum Zoll¬ vereinsvertrage schuf. Die im Tugendbünde von den Rändern des niedergetretnen Vaterlands gestreute Saat ist immer von neuem aufgegangen, von einem Jahr¬ zehnt zum andern, bis sie endlich wieder reif war zum Schneiden, und Gott auch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/228
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/228>, abgerufen am 05.02.2025.