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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Bildliche Redensarten in Gottfrieds Tristan

on den großen deutschen Epikern der Stauferzeit genießt mit Recht
allein Wolfram von Eschenbach den Ruf eines eigentlichen Bilder¬
jägers. Seine zahlreichen bildlichen Wendungen sind am origi¬
nellsten erfunden, er spannt die kühnsten Gleichniswendungen vor,
"fliegende, schnelle Beispiele," wie er selbst sagt; aus dem Bereich
der mittelalterlichen Vorstellungswelt sind sie bisweilen kapriolierend von so
weit her zusammengeholt, wie es aus dem größern der modernen ähnlich nur
Jean Paul gewagt hat. Gottfried von Straßburg bedient sich im Tristan
überhaupt keiner eben bilderreichen Sprache; seine Worte fließen schnell und klar
vorbei, und seine Bilder schließen sich durchweg an das an, was im Volksmund
allgemein gebräuchlich war, wenn sie es auch immer frisch und oft neu in der
Form herausbringen. Er hält sich nicht bei seinen Bildern auf, und auch für
den Leser sind sie keine Hindernisse, über die man mit besondrer Anspannung
setzen müßte, sondern gleichen kurzen Lichtpunkten auf dem Flusse der Dar¬
stellung, an denen der Sinn des Lesers rasch erfreut vorübergleitet. Die
meisten seiner Bilder sind, wie ja auch noch die heutigen im Volksmunde, von
menschlichen Verhältnissen und vom Körper des Menschen genommen. Wir er¬
zählen vor einem Erwachsnen, den seelischer Schmerz bis zu hellen Tränen
überwältigt hat: er weinte wie ein Kind. Ebenso Gottfried, als er den ge¬
treuen Ruat den Tod von Tristans Eltern berichten läßt:

Wie hübsch dabei das "saß," ein zwar typisches, aber an sich nicht zu veracht
dentes Darstellungsmittel der altdeutschen Erzählerkunst für verwandte Situa¬
tionen. Der junge, noch unerkannte Tristan wird als sehr beliebt an Markes
Hofe geschildert, freilich erzeigt er sich auch danach: er war so dienstbar den
Armen und den Reichen, daß er einen jeglichen von ihnen möchte

Die acht Mann, die Tristan und Kurveual das erstemal über See nach Irland
begleiten, haben schwören müssen, den beiden aufs genauste zu gehorche". Gott
fried drückt das so aus:




Bildliche Redensarten in Gottfrieds Tristan

on den großen deutschen Epikern der Stauferzeit genießt mit Recht
allein Wolfram von Eschenbach den Ruf eines eigentlichen Bilder¬
jägers. Seine zahlreichen bildlichen Wendungen sind am origi¬
nellsten erfunden, er spannt die kühnsten Gleichniswendungen vor,
„fliegende, schnelle Beispiele," wie er selbst sagt; aus dem Bereich
der mittelalterlichen Vorstellungswelt sind sie bisweilen kapriolierend von so
weit her zusammengeholt, wie es aus dem größern der modernen ähnlich nur
Jean Paul gewagt hat. Gottfried von Straßburg bedient sich im Tristan
überhaupt keiner eben bilderreichen Sprache; seine Worte fließen schnell und klar
vorbei, und seine Bilder schließen sich durchweg an das an, was im Volksmund
allgemein gebräuchlich war, wenn sie es auch immer frisch und oft neu in der
Form herausbringen. Er hält sich nicht bei seinen Bildern auf, und auch für
den Leser sind sie keine Hindernisse, über die man mit besondrer Anspannung
setzen müßte, sondern gleichen kurzen Lichtpunkten auf dem Flusse der Dar¬
stellung, an denen der Sinn des Lesers rasch erfreut vorübergleitet. Die
meisten seiner Bilder sind, wie ja auch noch die heutigen im Volksmunde, von
menschlichen Verhältnissen und vom Körper des Menschen genommen. Wir er¬
zählen vor einem Erwachsnen, den seelischer Schmerz bis zu hellen Tränen
überwältigt hat: er weinte wie ein Kind. Ebenso Gottfried, als er den ge¬
treuen Ruat den Tod von Tristans Eltern berichten läßt:

Wie hübsch dabei das „saß," ein zwar typisches, aber an sich nicht zu veracht
dentes Darstellungsmittel der altdeutschen Erzählerkunst für verwandte Situa¬
tionen. Der junge, noch unerkannte Tristan wird als sehr beliebt an Markes
Hofe geschildert, freilich erzeigt er sich auch danach: er war so dienstbar den
Armen und den Reichen, daß er einen jeglichen von ihnen möchte

Die acht Mann, die Tristan und Kurveual das erstemal über See nach Irland
begleiten, haben schwören müssen, den beiden aufs genauste zu gehorche». Gott
fried drückt das so aus:


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[0214] [Abbildung] Bildliche Redensarten in Gottfrieds Tristan on den großen deutschen Epikern der Stauferzeit genießt mit Recht allein Wolfram von Eschenbach den Ruf eines eigentlichen Bilder¬ jägers. Seine zahlreichen bildlichen Wendungen sind am origi¬ nellsten erfunden, er spannt die kühnsten Gleichniswendungen vor, „fliegende, schnelle Beispiele," wie er selbst sagt; aus dem Bereich der mittelalterlichen Vorstellungswelt sind sie bisweilen kapriolierend von so weit her zusammengeholt, wie es aus dem größern der modernen ähnlich nur Jean Paul gewagt hat. Gottfried von Straßburg bedient sich im Tristan überhaupt keiner eben bilderreichen Sprache; seine Worte fließen schnell und klar vorbei, und seine Bilder schließen sich durchweg an das an, was im Volksmund allgemein gebräuchlich war, wenn sie es auch immer frisch und oft neu in der Form herausbringen. Er hält sich nicht bei seinen Bildern auf, und auch für den Leser sind sie keine Hindernisse, über die man mit besondrer Anspannung setzen müßte, sondern gleichen kurzen Lichtpunkten auf dem Flusse der Dar¬ stellung, an denen der Sinn des Lesers rasch erfreut vorübergleitet. Die meisten seiner Bilder sind, wie ja auch noch die heutigen im Volksmunde, von menschlichen Verhältnissen und vom Körper des Menschen genommen. Wir er¬ zählen vor einem Erwachsnen, den seelischer Schmerz bis zu hellen Tränen überwältigt hat: er weinte wie ein Kind. Ebenso Gottfried, als er den ge¬ treuen Ruat den Tod von Tristans Eltern berichten läßt: Wie hübsch dabei das „saß," ein zwar typisches, aber an sich nicht zu veracht dentes Darstellungsmittel der altdeutschen Erzählerkunst für verwandte Situa¬ tionen. Der junge, noch unerkannte Tristan wird als sehr beliebt an Markes Hofe geschildert, freilich erzeigt er sich auch danach: er war so dienstbar den Armen und den Reichen, daß er einen jeglichen von ihnen möchte Die acht Mann, die Tristan und Kurveual das erstemal über See nach Irland begleiten, haben schwören müssen, den beiden aufs genauste zu gehorche». Gott fried drückt das so aus:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/214>, abgerufen am 05.02.2025.