Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Das Wachstum der Großstädte Arbeiterbevölkerung in den großen Städten als bedrückend empfunden werden, Eine noch viel größere Wohltat als für die erwachsne Arbeiterbevölkerung Auch für die Fabriken selbst bietet die Übersiedlung auf das Land vielerlei Bedenken ernster Art gegen die großstädtische Personalsteuer könnten nur Für die Großstädte selbst würde eine Berlangsamung ihres Anwachsens Das Wachstum der Großstädte Arbeiterbevölkerung in den großen Städten als bedrückend empfunden werden, Eine noch viel größere Wohltat als für die erwachsne Arbeiterbevölkerung Auch für die Fabriken selbst bietet die Übersiedlung auf das Land vielerlei Bedenken ernster Art gegen die großstädtische Personalsteuer könnten nur Für die Großstädte selbst würde eine Berlangsamung ihres Anwachsens <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0198" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297330"/> <fw type="header" place="top"> Das Wachstum der Großstädte</fw><lb/> <p xml:id="ID_875" prev="#ID_874"> Arbeiterbevölkerung in den großen Städten als bedrückend empfunden werden,<lb/> ist an den großen Opfern zu erkennen, die sie bringt, um sich durch Pachtung<lb/> und Unterhaltung kleiner Gärten in den sogenannten Laubenkolonien oder<lb/> Schrebergärten etwas den frühern Lebensgewohnheiten ähnliches zu verschaffen.<lb/> Dies würde sich in Kleinstädter und auf dem Lande ohne jede Schwierigkeit<lb/> erreichen lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_876"> Eine noch viel größere Wohltat als für die erwachsne Arbeiterbevölkerung<lb/> bedeutet die Übersiedlung der Industrie auf das Land für die heranwachsende<lb/> Jugend. Man denke nur daran, daß die Kinder der Arbeiter aus der Schwartz-<lb/> kopffschen Fabrik jetzt in den Wäldern an der Oberspree aufwachsen können,<lb/> während das sonst im Norden Berlins, in der Gegend der durch den Prozeß<lb/> Berger zu trauriger Berühmtheit gelangten Ackerstraße geschehen wäre!</p><lb/> <p xml:id="ID_877"> Auch für die Fabriken selbst bietet die Übersiedlung auf das Land vielerlei<lb/> Vorteile. In den Großstädten pflegen die Arbeiter sehr oft und meist ohne<lb/> Grund ihre Arbeitstätte zu verlassen. Die hierdurch in den Betrieben auf¬<lb/> tretende Notwendigkeit, fortwährend neu eingestellte Arbeiter anlernen zu müssen,<lb/> ist die Ursache für mancherlei Verluste. Auf dem Lande würde es den Be¬<lb/> trieben leichter werden, sich eine ständige Arbeiterschaft zu erhalten, und die<lb/> Arbeiterbevölkerung würde überhaupt viel seßhafter sein. Ferner sind Erwei¬<lb/> terungen von Fabrikanlagen in den Großstädten wegen der enorm hohen Grund¬<lb/> preise nur mit Aufwand von großen Mitteln durchzuführen, dagegen ist auf<lb/> dem Lande der Boden so billig, daß Erweiterungsbauten bedeutend erleichtert<lb/> würden. Die zunächst in Aussicht genommnen Steuersätze von 12 bis 36 Mark<lb/> könnten jedenfalls von der Industrie ohne allzu große Beschwerde getragen<lb/> werden, sie würden bei Neugründung von Fabrikanlagen aber für die Verlegung<lb/> in kleine Ortschaften ausschlaggebend wirken, und hierdurch allein würde voraus¬<lb/> sichtlich schon das Anwachsen der Großstädte auf das wünschenswerte Maß<lb/> zurückgeführt werden. Daß die Kosten für die Verlegung der Fabriken im all¬<lb/> gemeinen nicht so drückend sein werden, wie es zunächst erscheint, ergibt sich,<lb/> wenn man bedenkt, daß ohnehin in jedem Fabrikbetriebe die innere Einrichtung<lb/> erneuert werden muß. Die der Verlegung entgegenstehenden Schwierigkeiten<lb/> sind nicht unüberwindlich, da der Zeitpunkt für die Verlegung innerhalb eines<lb/> langen Zeitraums Passend gewählt werden kann und hierfür kaum höhere Mittel<lb/> nötig sind, als für die normalerweise im Zeitraum von zehn bis fünfzehn<lb/> Jahren stattfindende Erneuerung der gesamten Betriebseinrichtungen.</p><lb/> <p xml:id="ID_878"> Bedenken ernster Art gegen die großstädtische Personalsteuer könnten nur<lb/> aus der Überlegung entstehn, daß dadurch in den Großstädten eine Ausbreitung<lb/> der Unternehmungen mit Heimarbeitern auf Kosten der Fabrikbetriebe begünstigt<lb/> würde. Hierdurch würden sich allerdings viel ungünstigere Zustünde als die<lb/> gegenwärtig bestehenden ausbilden können. Wenn man dem begegnen will, so<lb/> würde es sich vielleicht empfehlen, in den Großstädten neben der Personalsteuer<lb/> für alle Unternehmungen mit Heimarbeitern eine Umsatzsteuer einzuführen, die<lb/> so hoch zu bemessen wäre, daß eine Umwandlung der Fabrikbetriebe in solche<lb/> mit Heimarbeitern ausgeschlossen sein würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_879" next="#ID_880"> Für die Großstädte selbst würde eine Berlangsamung ihres Anwachsens</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0198]
Das Wachstum der Großstädte
Arbeiterbevölkerung in den großen Städten als bedrückend empfunden werden,
ist an den großen Opfern zu erkennen, die sie bringt, um sich durch Pachtung
und Unterhaltung kleiner Gärten in den sogenannten Laubenkolonien oder
Schrebergärten etwas den frühern Lebensgewohnheiten ähnliches zu verschaffen.
Dies würde sich in Kleinstädter und auf dem Lande ohne jede Schwierigkeit
erreichen lassen.
Eine noch viel größere Wohltat als für die erwachsne Arbeiterbevölkerung
bedeutet die Übersiedlung der Industrie auf das Land für die heranwachsende
Jugend. Man denke nur daran, daß die Kinder der Arbeiter aus der Schwartz-
kopffschen Fabrik jetzt in den Wäldern an der Oberspree aufwachsen können,
während das sonst im Norden Berlins, in der Gegend der durch den Prozeß
Berger zu trauriger Berühmtheit gelangten Ackerstraße geschehen wäre!
Auch für die Fabriken selbst bietet die Übersiedlung auf das Land vielerlei
Vorteile. In den Großstädten pflegen die Arbeiter sehr oft und meist ohne
Grund ihre Arbeitstätte zu verlassen. Die hierdurch in den Betrieben auf¬
tretende Notwendigkeit, fortwährend neu eingestellte Arbeiter anlernen zu müssen,
ist die Ursache für mancherlei Verluste. Auf dem Lande würde es den Be¬
trieben leichter werden, sich eine ständige Arbeiterschaft zu erhalten, und die
Arbeiterbevölkerung würde überhaupt viel seßhafter sein. Ferner sind Erwei¬
terungen von Fabrikanlagen in den Großstädten wegen der enorm hohen Grund¬
preise nur mit Aufwand von großen Mitteln durchzuführen, dagegen ist auf
dem Lande der Boden so billig, daß Erweiterungsbauten bedeutend erleichtert
würden. Die zunächst in Aussicht genommnen Steuersätze von 12 bis 36 Mark
könnten jedenfalls von der Industrie ohne allzu große Beschwerde getragen
werden, sie würden bei Neugründung von Fabrikanlagen aber für die Verlegung
in kleine Ortschaften ausschlaggebend wirken, und hierdurch allein würde voraus¬
sichtlich schon das Anwachsen der Großstädte auf das wünschenswerte Maß
zurückgeführt werden. Daß die Kosten für die Verlegung der Fabriken im all¬
gemeinen nicht so drückend sein werden, wie es zunächst erscheint, ergibt sich,
wenn man bedenkt, daß ohnehin in jedem Fabrikbetriebe die innere Einrichtung
erneuert werden muß. Die der Verlegung entgegenstehenden Schwierigkeiten
sind nicht unüberwindlich, da der Zeitpunkt für die Verlegung innerhalb eines
langen Zeitraums Passend gewählt werden kann und hierfür kaum höhere Mittel
nötig sind, als für die normalerweise im Zeitraum von zehn bis fünfzehn
Jahren stattfindende Erneuerung der gesamten Betriebseinrichtungen.
Bedenken ernster Art gegen die großstädtische Personalsteuer könnten nur
aus der Überlegung entstehn, daß dadurch in den Großstädten eine Ausbreitung
der Unternehmungen mit Heimarbeitern auf Kosten der Fabrikbetriebe begünstigt
würde. Hierdurch würden sich allerdings viel ungünstigere Zustünde als die
gegenwärtig bestehenden ausbilden können. Wenn man dem begegnen will, so
würde es sich vielleicht empfehlen, in den Großstädten neben der Personalsteuer
für alle Unternehmungen mit Heimarbeitern eine Umsatzsteuer einzuführen, die
so hoch zu bemessen wäre, daß eine Umwandlung der Fabrikbetriebe in solche
mit Heimarbeitern ausgeschlossen sein würde.
Für die Großstädte selbst würde eine Berlangsamung ihres Anwachsens
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