Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr."r Reform des Strafprozesses auf denen diese Last zu ruhen hätte. Das hätte den weitern Vorteil, daß das Sollen die Schöffengerichte mehr sein als eine bloße Kulisse, dazu bestimmt, Die Erfahrungen, die mau mit den bisherigen Schöffengerichten gemacht Der Zug der Zeit geht nun einmal aber "ach der andern Seite, und da Grenzboten II 1905 19
»r Reform des Strafprozesses auf denen diese Last zu ruhen hätte. Das hätte den weitern Vorteil, daß das Sollen die Schöffengerichte mehr sein als eine bloße Kulisse, dazu bestimmt, Die Erfahrungen, die mau mit den bisherigen Schöffengerichten gemacht Der Zug der Zeit geht nun einmal aber »ach der andern Seite, und da Grenzboten II 1905 19
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0149" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297281"/> <fw type="header" place="top"> »r Reform des Strafprozesses</fw><lb/> <p xml:id="ID_563" prev="#ID_562"> auf denen diese Last zu ruhen hätte. Das hätte den weitern Vorteil, daß das<lb/> Rechtsgefühl auch der Schichten, die bisher nicht zu Wort kommen konnten,<lb/> zum Ausdruck käme. Ferner müßte den Schöffen eine mäßige Entschädigung,<lb/> abgesehen von den Reisekosten, für den Zeitverlust gewährt werden. Diese<lb/> Mehrausgabe würde sich zum Teil mit der Ersparung der Strafrichtergehälter<lb/> wieder einbringen lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_564"> Sollen die Schöffengerichte mehr sein als eine bloße Kulisse, dazu bestimmt,<lb/> die leitenden Drähte des Jnristenrcchts zu verdecken, so dürften wohl die vvr-<lb/> bezeichneten Garantien als das Mindestmaß dessen erscheinen, was nötig ist,<lb/> um der neuen Organisation einen dauernden Platz im Rechtsleben zu sichern.<lb/> Kompromisse über diese grundlegenden Fragen würden keine Seite befriedigen,<lb/> und ich bin mir nicht zweifelhaft darüber, das; sich in diesem Falle in nicht<lb/> allzuweiter Ferne die bisherigen Klagen von neuem und in viel schärferer Ton¬<lb/> art erhebei? würden.</p><lb/> <p xml:id="ID_565"> Die Erfahrungen, die mau mit den bisherigen Schöffengerichten gemacht<lb/> hat, lassen sich ebensogut für als gegen sie verwerten. Die vorwiegende<lb/> Stellung des Vorsitzenden sowie die Perspektive der Berufung an das Juristen-<lb/> gericht der Strafkammer waren nicht geeignet, das Wesen des Laiengerichts<lb/> zur Entwicklung zu bringen. In dieser Beziehung würde es sich jedenfalls<lb/> bei allgemeiner Schöffengerichtsorganisation empfehlen, gegen Urteile der kleinen<lb/> Schöffen die Berufung, die wegen der unvermeidlichen Lückenhaftigkeit der Vor-<lb/> Untersuchung ausnahmsweise zuzulassen wäre, uicht dem großen Schöffen-,<lb/> sondern einem benachbarten kleinen Schöffengerichte zu überweisen. Denn die<lb/> Hauptklagen gegen die Wirksamkeit der bisherigen Schöffen wurzeln in lokalen<lb/> Ursachen; eine Verweisung vor ein gleichwertiges Gericht hätte ja auch seine<lb/> Schattenseiten, aber sie würden doch zurücktreten gegen die Vorteile einer solchen<lb/> Einrichtung, die eine bedeutende Entlastung der großen Schöffen mit sich führen<lb/> würde. Deun davon könnte doch wohl gnr keine Rede sein, eigne Juristen¬<lb/> strafkammern für solche Berufungen beizubehalten, und ein etwaiger Versuch,<lb/> die Rechtsfrage» von deu Tcitfrageu zu sondern, würde die bisherigen Nach¬<lb/> teile des SclNvurgerichts auf die ganze Organisation übertragen und stünde mit<lb/> dein Gedanken der Laieugerichte in zu scharfem Widerspruch, als daß er sich<lb/> mit Aussicht auf Erfolg in die Wirklichkeit umsetzen ließe. Glaubt man aber<lb/> nicht so weit gehn und dem juristisch ungebildeten Rechtsgefühl des Volkes nicht<lb/> die Wage der Urteilsfindnng in die Hand geben zu dürfen, dann wäre es<lb/> meines Erachtens besser, auf dieses dekorative Schöffenbeiwerk überhaupt zu<lb/> verzichten und durch Verbesserung der Voruntersuchung und dnrch Einführung<lb/> der Berufung gegen die Urteile der Strafkammern dem Reformbedürfnis gerecht<lb/> zu werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_566" next="#ID_567"> Der Zug der Zeit geht nun einmal aber »ach der andern Seite, und da<lb/> kann es sich nur noch darum handeln, ihm ernstlich und wahrhaftig entgegen¬<lb/> zukommen und ihn nicht dnrch Scheinkonzessioncn wieder in die alten Rinnsale<lb/> zu leiten. Man wird bald nicht nur in Strafsachen, sondern auch — und<lb/> gewiß mit ebensoviel Berechtigung — bei Zivilstreitigkeiten in dem billigen Er¬<lb/> messen des Laien einen sozial wertvollern Ersatz für die bisherige Recht-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1905 19</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0149]
»r Reform des Strafprozesses
auf denen diese Last zu ruhen hätte. Das hätte den weitern Vorteil, daß das
Rechtsgefühl auch der Schichten, die bisher nicht zu Wort kommen konnten,
zum Ausdruck käme. Ferner müßte den Schöffen eine mäßige Entschädigung,
abgesehen von den Reisekosten, für den Zeitverlust gewährt werden. Diese
Mehrausgabe würde sich zum Teil mit der Ersparung der Strafrichtergehälter
wieder einbringen lassen.
Sollen die Schöffengerichte mehr sein als eine bloße Kulisse, dazu bestimmt,
die leitenden Drähte des Jnristenrcchts zu verdecken, so dürften wohl die vvr-
bezeichneten Garantien als das Mindestmaß dessen erscheinen, was nötig ist,
um der neuen Organisation einen dauernden Platz im Rechtsleben zu sichern.
Kompromisse über diese grundlegenden Fragen würden keine Seite befriedigen,
und ich bin mir nicht zweifelhaft darüber, das; sich in diesem Falle in nicht
allzuweiter Ferne die bisherigen Klagen von neuem und in viel schärferer Ton¬
art erhebei? würden.
Die Erfahrungen, die mau mit den bisherigen Schöffengerichten gemacht
hat, lassen sich ebensogut für als gegen sie verwerten. Die vorwiegende
Stellung des Vorsitzenden sowie die Perspektive der Berufung an das Juristen-
gericht der Strafkammer waren nicht geeignet, das Wesen des Laiengerichts
zur Entwicklung zu bringen. In dieser Beziehung würde es sich jedenfalls
bei allgemeiner Schöffengerichtsorganisation empfehlen, gegen Urteile der kleinen
Schöffen die Berufung, die wegen der unvermeidlichen Lückenhaftigkeit der Vor-
Untersuchung ausnahmsweise zuzulassen wäre, uicht dem großen Schöffen-,
sondern einem benachbarten kleinen Schöffengerichte zu überweisen. Denn die
Hauptklagen gegen die Wirksamkeit der bisherigen Schöffen wurzeln in lokalen
Ursachen; eine Verweisung vor ein gleichwertiges Gericht hätte ja auch seine
Schattenseiten, aber sie würden doch zurücktreten gegen die Vorteile einer solchen
Einrichtung, die eine bedeutende Entlastung der großen Schöffen mit sich führen
würde. Deun davon könnte doch wohl gnr keine Rede sein, eigne Juristen¬
strafkammern für solche Berufungen beizubehalten, und ein etwaiger Versuch,
die Rechtsfrage» von deu Tcitfrageu zu sondern, würde die bisherigen Nach¬
teile des SclNvurgerichts auf die ganze Organisation übertragen und stünde mit
dein Gedanken der Laieugerichte in zu scharfem Widerspruch, als daß er sich
mit Aussicht auf Erfolg in die Wirklichkeit umsetzen ließe. Glaubt man aber
nicht so weit gehn und dem juristisch ungebildeten Rechtsgefühl des Volkes nicht
die Wage der Urteilsfindnng in die Hand geben zu dürfen, dann wäre es
meines Erachtens besser, auf dieses dekorative Schöffenbeiwerk überhaupt zu
verzichten und durch Verbesserung der Voruntersuchung und dnrch Einführung
der Berufung gegen die Urteile der Strafkammern dem Reformbedürfnis gerecht
zu werden.
Der Zug der Zeit geht nun einmal aber »ach der andern Seite, und da
kann es sich nur noch darum handeln, ihm ernstlich und wahrhaftig entgegen¬
zukommen und ihn nicht dnrch Scheinkonzessioncn wieder in die alten Rinnsale
zu leiten. Man wird bald nicht nur in Strafsachen, sondern auch — und
gewiß mit ebensoviel Berechtigung — bei Zivilstreitigkeiten in dem billigen Er¬
messen des Laien einen sozial wertvollern Ersatz für die bisherige Recht-
Grenzboten II 1905 19
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