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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Die Reaktion der farbigen Rassen

legen und dadurch zur Weltherrschaft berufen, aber nicht durch Feuer und
Schwert.

Solchen Aussichten gegenüber muß in deu Völkern europäischer Kultur,
zu denen natürlich auch Amerika und vor allem die Vereinigten Staaten ge¬
hören, das Gefühl der Solidarität notwendig stärker werden, wie es etwa auf
Grund religiöser Empfindung im Zeitalter der Kreuzzüge bestanden hat, die
doch nicht nur Kämpfe um ein paar Fetzen Landes und um die heiligen Stätten,
sondern der Gegenstoß des christlichen Abendlandes gegen den orientalischen
Islam waren. Ansätze zu solcher Solidarität sind auch heute vorhanden. Sie
zeigte sich in dem Zusammenhalten aller Großmächte gegen die chinesische
Boxerbewegung im Jahre 1900; sie kommt anch darin zum Ausdruck, daß jetzt
kein europäischer Staatsmann den Gedanken gehabt hat, der im achtzehnte"
Jahrhundert unfehlbar aufgetaucht wäre, die Verlegenheiten Rußlands zu
benutzen, die europäische Stellung des Reichs zu schwächen. Der Bund Englands
mit Japan ist ein kurzsichtiger und egoistischer Abfall von dieser Solidarität;
wenn dieses Gefühl schon kräftiger wäre, so würde er ebenso verurteilt werden
wie seinerzeit das Bündnis Frankreichs mit der Türkei gegen Karl den
Fünften. Auch andre Spaltungen stehn heute noch dieser Solidarität entgegen.
Zwar der Gegensatz zwischen dem Dreibnnde und dem Zweibunde beginnt zu
verblassen, weil Frankreich von Nußland Hilfe zur Niederwerfung Deutschlands
jetzt am wenigsten erwarten kann, und also der Zweck, zu dem beide Bünd¬
nisse geschlossen worden sind, in dem damaligen Sinne gar nicht mehr vor¬
liegt. Dazu kommt, daß Österreich-Ungarn allmählich aufhört, bündnisfähig
zu sein, weil der seit vierzig Jahren gehätschelte Größenwahn der Magyaren
die Doppelmonarchie, die nur als solche eine Großmacht sein kann, in zwei
lose verbundne Mittelständen aufzulösen, also das politische Wesen des einen
der Kontrahenten des Dreibundes von Grund aus zu verändern droht. Da¬
gegen hat sich eine Annäherung zwischen Deutschland und Rußland vollzogen;
andrerseits aber sucht England in Frankreich einen Bundesgenossen gegen uns.
Dieser Lage muß man klar ins Auge sehen. Darum wäre für uns eine
dauernde Schwächung Rußlands das ungelegenste, was geschehen könnte,
und wir müssen für die uns bevorstehenden Möglichkeiten ein möglichst gutes
Verhältnis zu Nordamerika schaffen, dessen gewaltig aufstrebende Volkskraft
und Weltpolitik in kurzem die zweite Flotte nächst der britischen und ein an¬
sehnliches wirklich leistungsfähiges Landhcer aufstellen wird. Der Präsident
Roosevelt, sicher einer der bedeutendsten Staatsmänner, die jemals die Union
geleitet habe", der entschlossene Träger des Imperialismus, ist Deutschland
durchaus geneigt, weil er weiß, wie viel sein Land den Deutschen verdankt,
und daß die dort laugsam entstehende selbständige Kultur mindestens ebenso¬
sehr deutsch wie angelsächsisch sein wird. Auf dieser Grundlage muß sich die
deutsche Weltpolitik bewegen. Dann wird sie mitarbeiten an der Solidarität
* der europäischen Kulturvölker.




Die Reaktion der farbigen Rassen

legen und dadurch zur Weltherrschaft berufen, aber nicht durch Feuer und
Schwert.

Solchen Aussichten gegenüber muß in deu Völkern europäischer Kultur,
zu denen natürlich auch Amerika und vor allem die Vereinigten Staaten ge¬
hören, das Gefühl der Solidarität notwendig stärker werden, wie es etwa auf
Grund religiöser Empfindung im Zeitalter der Kreuzzüge bestanden hat, die
doch nicht nur Kämpfe um ein paar Fetzen Landes und um die heiligen Stätten,
sondern der Gegenstoß des christlichen Abendlandes gegen den orientalischen
Islam waren. Ansätze zu solcher Solidarität sind auch heute vorhanden. Sie
zeigte sich in dem Zusammenhalten aller Großmächte gegen die chinesische
Boxerbewegung im Jahre 1900; sie kommt anch darin zum Ausdruck, daß jetzt
kein europäischer Staatsmann den Gedanken gehabt hat, der im achtzehnte»
Jahrhundert unfehlbar aufgetaucht wäre, die Verlegenheiten Rußlands zu
benutzen, die europäische Stellung des Reichs zu schwächen. Der Bund Englands
mit Japan ist ein kurzsichtiger und egoistischer Abfall von dieser Solidarität;
wenn dieses Gefühl schon kräftiger wäre, so würde er ebenso verurteilt werden
wie seinerzeit das Bündnis Frankreichs mit der Türkei gegen Karl den
Fünften. Auch andre Spaltungen stehn heute noch dieser Solidarität entgegen.
Zwar der Gegensatz zwischen dem Dreibnnde und dem Zweibunde beginnt zu
verblassen, weil Frankreich von Nußland Hilfe zur Niederwerfung Deutschlands
jetzt am wenigsten erwarten kann, und also der Zweck, zu dem beide Bünd¬
nisse geschlossen worden sind, in dem damaligen Sinne gar nicht mehr vor¬
liegt. Dazu kommt, daß Österreich-Ungarn allmählich aufhört, bündnisfähig
zu sein, weil der seit vierzig Jahren gehätschelte Größenwahn der Magyaren
die Doppelmonarchie, die nur als solche eine Großmacht sein kann, in zwei
lose verbundne Mittelständen aufzulösen, also das politische Wesen des einen
der Kontrahenten des Dreibundes von Grund aus zu verändern droht. Da¬
gegen hat sich eine Annäherung zwischen Deutschland und Rußland vollzogen;
andrerseits aber sucht England in Frankreich einen Bundesgenossen gegen uns.
Dieser Lage muß man klar ins Auge sehen. Darum wäre für uns eine
dauernde Schwächung Rußlands das ungelegenste, was geschehen könnte,
und wir müssen für die uns bevorstehenden Möglichkeiten ein möglichst gutes
Verhältnis zu Nordamerika schaffen, dessen gewaltig aufstrebende Volkskraft
und Weltpolitik in kurzem die zweite Flotte nächst der britischen und ein an¬
sehnliches wirklich leistungsfähiges Landhcer aufstellen wird. Der Präsident
Roosevelt, sicher einer der bedeutendsten Staatsmänner, die jemals die Union
geleitet habe», der entschlossene Träger des Imperialismus, ist Deutschland
durchaus geneigt, weil er weiß, wie viel sein Land den Deutschen verdankt,
und daß die dort laugsam entstehende selbständige Kultur mindestens ebenso¬
sehr deutsch wie angelsächsisch sein wird. Auf dieser Grundlage muß sich die
deutsche Weltpolitik bewegen. Dann wird sie mitarbeiten an der Solidarität
* der europäischen Kulturvölker.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/14>, abgerufen am 05.02.2025.