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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Lesuch auf der verbrecherinsel Sachalin

zu können. Das Schiff sollte nnn an der östlichen der beiden Halbinseln, in
die Sachalin nach Süden zu auslauft, entlang fahren, um hier an den ver-
schiednen Fangstationcn japanische Fischer und allerhand Geräte zum Herings¬
fang und zur Bearbeitung der Fische abzugeben.

Die bevorstehende Ankunft des Heringszugs war in Korsakvsfsk das
Hauptgesprächsthema. Wann würden die Fische in diesem Jahre erscheinen,
und würde die Ernte wohl groß werden? Das waren die Fragen, die unsre
dortigen Freunde hauptsächlich interessierten, denn davon hing der Erfolg ihres
Geschäfts ab. Die Heringe erscheinen in jedem Jahre ziemlich zu derselben
Zeit, und zwar kommt das ganze Heer dann plötzlich eines schönen Tags von
Süden herangeschwommen. Wir werden später noch mehr davon hören.

Einstweilen also fuhren wir zwei Tage und zwei Nächte an der Küste
entlang und gingen bei fünf Stationen vor Anker, wobei die Geräte und die
Mannschaften gelandet wurden. Die Zeit, während der die Ausschiffung und
das Löschen bewerkstelligt wurden, benutzten wir, ans Land zu rudern, die
Fischstationen und ihre Einrichtungen anzusehen und auf die in unzähligen
Massen an der Küste nistenden Wasservögel Jagd zu machen. Hunderte und
Tausende von wilden Gänsen, Enten, Schwänen, Kormoranen usw. hielten
sich hier auf und bevölkerten das Meer, die Küsten und die Luft. Meist
hielten sie sich aber in respektvoller Entfernung. Sie schienen ihren ärgsten
Feind, den Menschen, schon zu kennen. Vom Bord des Schiffs aus hatten
wir oft Gelegenheit, dem lustigen Spiel der Seehunde und der Seelöwen zu¬
zusehen, die sich manchmal in großen Scharen im Meere tummelten.

An der Küste entlang ziehn sich mäßig hohe, zum Teil steile Berge, die
alle mit dichtem Urwald bewachsen sind. Das tiefdunkle Grün der Nadelhölzer
ist hier vorherrschend. So manchen Baumriesen hat der Sturm oder der Zahn
der Zeit gefällt, sodaß an vielen Stellen der Wald wegen der übereinander ge-
fallnen, hoch aufgetürmten Baumstämme undurchdringlich ist. Der Boden und
die Stämme sind überall vom dichtesten, üppigsten Moos überzogen, wie ich
es weicher und voller noch nirgends je zuvor gesehen hatte.

An dem steinigen Strande fanden wir viele angeschwemmte riesige Wal-
fischknocheu und allerhand interessante Muscheln sowie auch einige schöne
Petrefakten, für die die Küsten Sachalins berühmt sind.

Die Fischstationen sind fast alle in derselben Weise angelegt und bestehn
aus mehreren hölzernen Hütten und Schuppen, die als Wohnungen für die
Fischer und zum Präparieren der Heringe dienen. Jede Station steht unter
einem Aufseher, meist einem Russen, der natürlich auch immer ein entlassener
Sträfling ist. Die Fischer waren an den von uns besuchten Stationen aus¬
nahmlos Japaner. Unser Freund schickt alljährlich gegen fünftausend japanische
Fischer auf seine verschiednen Fangstationen. Im heurigen und im verflossenen
Jahre wird das nun jedenfalls nicht möglich gewesen sein, denn die Japaner
dürfen natürlich jetzt nicht nach Sachalin.

Als wir am Morgen des 21. Aprils wieder in Korsakosfsk ankamen,
herrschte hier große Aufregung. Die Heringe waren angekommen. Das war
ein großes Ereignis für die ganze Bevölkerung. In der Tat bot das Meer


Lesuch auf der verbrecherinsel Sachalin

zu können. Das Schiff sollte nnn an der östlichen der beiden Halbinseln, in
die Sachalin nach Süden zu auslauft, entlang fahren, um hier an den ver-
schiednen Fangstationcn japanische Fischer und allerhand Geräte zum Herings¬
fang und zur Bearbeitung der Fische abzugeben.

Die bevorstehende Ankunft des Heringszugs war in Korsakvsfsk das
Hauptgesprächsthema. Wann würden die Fische in diesem Jahre erscheinen,
und würde die Ernte wohl groß werden? Das waren die Fragen, die unsre
dortigen Freunde hauptsächlich interessierten, denn davon hing der Erfolg ihres
Geschäfts ab. Die Heringe erscheinen in jedem Jahre ziemlich zu derselben
Zeit, und zwar kommt das ganze Heer dann plötzlich eines schönen Tags von
Süden herangeschwommen. Wir werden später noch mehr davon hören.

Einstweilen also fuhren wir zwei Tage und zwei Nächte an der Küste
entlang und gingen bei fünf Stationen vor Anker, wobei die Geräte und die
Mannschaften gelandet wurden. Die Zeit, während der die Ausschiffung und
das Löschen bewerkstelligt wurden, benutzten wir, ans Land zu rudern, die
Fischstationen und ihre Einrichtungen anzusehen und auf die in unzähligen
Massen an der Küste nistenden Wasservögel Jagd zu machen. Hunderte und
Tausende von wilden Gänsen, Enten, Schwänen, Kormoranen usw. hielten
sich hier auf und bevölkerten das Meer, die Küsten und die Luft. Meist
hielten sie sich aber in respektvoller Entfernung. Sie schienen ihren ärgsten
Feind, den Menschen, schon zu kennen. Vom Bord des Schiffs aus hatten
wir oft Gelegenheit, dem lustigen Spiel der Seehunde und der Seelöwen zu¬
zusehen, die sich manchmal in großen Scharen im Meere tummelten.

An der Küste entlang ziehn sich mäßig hohe, zum Teil steile Berge, die
alle mit dichtem Urwald bewachsen sind. Das tiefdunkle Grün der Nadelhölzer
ist hier vorherrschend. So manchen Baumriesen hat der Sturm oder der Zahn
der Zeit gefällt, sodaß an vielen Stellen der Wald wegen der übereinander ge-
fallnen, hoch aufgetürmten Baumstämme undurchdringlich ist. Der Boden und
die Stämme sind überall vom dichtesten, üppigsten Moos überzogen, wie ich
es weicher und voller noch nirgends je zuvor gesehen hatte.

An dem steinigen Strande fanden wir viele angeschwemmte riesige Wal-
fischknocheu und allerhand interessante Muscheln sowie auch einige schöne
Petrefakten, für die die Küsten Sachalins berühmt sind.

Die Fischstationen sind fast alle in derselben Weise angelegt und bestehn
aus mehreren hölzernen Hütten und Schuppen, die als Wohnungen für die
Fischer und zum Präparieren der Heringe dienen. Jede Station steht unter
einem Aufseher, meist einem Russen, der natürlich auch immer ein entlassener
Sträfling ist. Die Fischer waren an den von uns besuchten Stationen aus¬
nahmlos Japaner. Unser Freund schickt alljährlich gegen fünftausend japanische
Fischer auf seine verschiednen Fangstationen. Im heurigen und im verflossenen
Jahre wird das nun jedenfalls nicht möglich gewesen sein, denn die Japaner
dürfen natürlich jetzt nicht nach Sachalin.

Als wir am Morgen des 21. Aprils wieder in Korsakosfsk ankamen,
herrschte hier große Aufregung. Die Heringe waren angekommen. Das war
ein großes Ereignis für die ganze Bevölkerung. In der Tat bot das Meer


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[0105] Lesuch auf der verbrecherinsel Sachalin zu können. Das Schiff sollte nnn an der östlichen der beiden Halbinseln, in die Sachalin nach Süden zu auslauft, entlang fahren, um hier an den ver- schiednen Fangstationcn japanische Fischer und allerhand Geräte zum Herings¬ fang und zur Bearbeitung der Fische abzugeben. Die bevorstehende Ankunft des Heringszugs war in Korsakvsfsk das Hauptgesprächsthema. Wann würden die Fische in diesem Jahre erscheinen, und würde die Ernte wohl groß werden? Das waren die Fragen, die unsre dortigen Freunde hauptsächlich interessierten, denn davon hing der Erfolg ihres Geschäfts ab. Die Heringe erscheinen in jedem Jahre ziemlich zu derselben Zeit, und zwar kommt das ganze Heer dann plötzlich eines schönen Tags von Süden herangeschwommen. Wir werden später noch mehr davon hören. Einstweilen also fuhren wir zwei Tage und zwei Nächte an der Küste entlang und gingen bei fünf Stationen vor Anker, wobei die Geräte und die Mannschaften gelandet wurden. Die Zeit, während der die Ausschiffung und das Löschen bewerkstelligt wurden, benutzten wir, ans Land zu rudern, die Fischstationen und ihre Einrichtungen anzusehen und auf die in unzähligen Massen an der Küste nistenden Wasservögel Jagd zu machen. Hunderte und Tausende von wilden Gänsen, Enten, Schwänen, Kormoranen usw. hielten sich hier auf und bevölkerten das Meer, die Küsten und die Luft. Meist hielten sie sich aber in respektvoller Entfernung. Sie schienen ihren ärgsten Feind, den Menschen, schon zu kennen. Vom Bord des Schiffs aus hatten wir oft Gelegenheit, dem lustigen Spiel der Seehunde und der Seelöwen zu¬ zusehen, die sich manchmal in großen Scharen im Meere tummelten. An der Küste entlang ziehn sich mäßig hohe, zum Teil steile Berge, die alle mit dichtem Urwald bewachsen sind. Das tiefdunkle Grün der Nadelhölzer ist hier vorherrschend. So manchen Baumriesen hat der Sturm oder der Zahn der Zeit gefällt, sodaß an vielen Stellen der Wald wegen der übereinander ge- fallnen, hoch aufgetürmten Baumstämme undurchdringlich ist. Der Boden und die Stämme sind überall vom dichtesten, üppigsten Moos überzogen, wie ich es weicher und voller noch nirgends je zuvor gesehen hatte. An dem steinigen Strande fanden wir viele angeschwemmte riesige Wal- fischknocheu und allerhand interessante Muscheln sowie auch einige schöne Petrefakten, für die die Küsten Sachalins berühmt sind. Die Fischstationen sind fast alle in derselben Weise angelegt und bestehn aus mehreren hölzernen Hütten und Schuppen, die als Wohnungen für die Fischer und zum Präparieren der Heringe dienen. Jede Station steht unter einem Aufseher, meist einem Russen, der natürlich auch immer ein entlassener Sträfling ist. Die Fischer waren an den von uns besuchten Stationen aus¬ nahmlos Japaner. Unser Freund schickt alljährlich gegen fünftausend japanische Fischer auf seine verschiednen Fangstationen. Im heurigen und im verflossenen Jahre wird das nun jedenfalls nicht möglich gewesen sein, denn die Japaner dürfen natürlich jetzt nicht nach Sachalin. Als wir am Morgen des 21. Aprils wieder in Korsakosfsk ankamen, herrschte hier große Aufregung. Die Heringe waren angekommen. Das war ein großes Ereignis für die ganze Bevölkerung. In der Tat bot das Meer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/105>, abgerufen am 05.02.2025.