Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Gin Lesuch auf der Verbrecherinsel Sachalin kann, sieht man auf den Gesichtern dieser mit Gott und der Welt zerfallnen Unser Freund aus Hakodate, der schon einige Tage früher auf einem Politische Verbrecher werden übrigens nicht nach Sachalin verbannt. Diese Im allgemeinen haben es diese Leute hier besser als Verbrecher derselbe!? Gin Lesuch auf der Verbrecherinsel Sachalin kann, sieht man auf den Gesichtern dieser mit Gott und der Welt zerfallnen Unser Freund aus Hakodate, der schon einige Tage früher auf einem Politische Verbrecher werden übrigens nicht nach Sachalin verbannt. Diese Im allgemeinen haben es diese Leute hier besser als Verbrecher derselbe!? <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0102" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297234"/> <fw type="header" place="top"> Gin Lesuch auf der Verbrecherinsel Sachalin</fw><lb/> <p xml:id="ID_320" prev="#ID_319"> kann, sieht man auf den Gesichtern dieser mit Gott und der Welt zerfallnen<lb/> Menschen ausgedrückt. Meist sind es große kräftige Gestalten, in schmutzige<lb/> Schafspelze oder dicke Joppen gehüllt, mit hohen Stiefeln und auf dem Kopfe<lb/> die typische russische Schirmmütze oder eine Pelzmütze.</p><lb/> <p xml:id="ID_321"> Unser Freund aus Hakodate, der schon einige Tage früher auf einem<lb/> seiner für die Fischerei gecharterten Dampfer eingetroffen war, wohnte im<lb/> Hause seines Agenten, des einzigen dort lebenden europäischen Kaufmanns.<lb/> Dieser, ein Russe, lebt schon seit vielen Jahren in Korsakoffsk, und seine<lb/> tapfere Gattin hilft ihm dieses wenig beneidenswerte Leben dort zu ertragen.<lb/> Mut gehört wahrlich dazu, denn mit Ausnahme der uniformierten Beamten,<lb/> Offiziere, Soldaten und einiger japanischer Kaufleute und Fischer ist jeder<lb/> Mensch in Korsakoffsk ein Verbrecher schlimmster Art oder doch wenigstens<lb/> ehemals ein solcher gewesen. Die Dienstboten rekrutieren sich aus Verbrechern,<lb/> die aus dem Gefängnis entlassen worden sind, ja sogar die Kinder der Familie,<lb/> deren Gastfreundschaft wir genossen, werden in Ermanglung von Wärterinnen<lb/> von so einem Verbannten gewartet! Und dieser Mann schien wirklich mit<lb/> Liebe an den Kindern zu hängen, wie diese ihm wiederum ihr ganzes kind¬<lb/> liches Vertrauen entgegenbrachten.</p><lb/> <p xml:id="ID_322"> Politische Verbrecher werden übrigens nicht nach Sachalin verbannt. Diese<lb/> bleiben in den Bergwerken des festländischen Sibiriens. Was hierher nach<lb/> Sachalin geschickt wird, das ist der Abschaum der Menschheit, Individuen, die<lb/> in andern Staaten zum Tode oder zu lebenslänglichem Zuchthause verurteilt<lb/> würden. Die Todesstrafe wird in Rußland nur in ganz besondern Fällen,<lb/> bei politischen Morden, angewandt. Seit einigen Jahren sollen offiziell leine<lb/> Verbrechertransporte mehr nach Sachalin kommen, doch versicherte man mir,<lb/> daß trotzdem auch jetzt noch jährlich ein- oder zweimal Schiffe solche Unglück¬<lb/> lichen dorthin bringen.</p><lb/> <p xml:id="ID_323" next="#ID_324"> Im allgemeinen haben es diese Leute hier besser als Verbrecher derselbe!?<lb/> Kategorie in andern Ländern. Zunächst allerdings kommen sie in das Ge¬<lb/> fängnis, sitzen dort in schweren Ketten und müssen hart arbeiten. Auch werden<lb/> ihnen diese Ketten nicht abgenommen, wenn sie im Freien beim Straßenban usw.<lb/> verwandt werden. Unheimlich ist dann das Gerassel, das die Ketten bei jeder<lb/> Bewegung verursachen. Haben die Sträflinge aber eine vorgeschriebne Zeit<lb/> abgesessen und sich gut geführt, so werden sie entlassen, dürfen jedoch die Insel<lb/> oder vielmehr einen bestimmten Bezirk nicht verlassen. Sie können sich dann<lb/> einen Erwerb suchen oder können auch ein Stück Land zur Ansiedlung über¬<lb/> wiesen bekommen, erhalten hierfür sogar von der Negierung ein kleines Dar¬<lb/> lehen, das nach einer gewissen Zeit zurückbezahlt werden muß. Vielen jedoch<lb/> ist hiermit wenig gedient, denn nun heißt es, sich selbst ernähren und arbeite»,<lb/> während bisher der Staat für die Beköstigung sorgte. Das ist für viele der<lb/> Anlaß zu neuen Raub- und Mordtaten, die sie dann nur begehn, um wieder<lb/> ein Unterkommen zu finden. Zur Flucht bietet sich bei dem geringen Schiffs¬<lb/> verkehr nach und von der Insel wohl selten eine Gelegenheit. Und doch sind<lb/> auch solche Versuche schon wiederholt geglückt. So erzählte unser Freund, daß<lb/> er vor einigen Jahren, als er über Amerika nach Europa gereist sei, auf den«</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0102]
Gin Lesuch auf der Verbrecherinsel Sachalin
kann, sieht man auf den Gesichtern dieser mit Gott und der Welt zerfallnen
Menschen ausgedrückt. Meist sind es große kräftige Gestalten, in schmutzige
Schafspelze oder dicke Joppen gehüllt, mit hohen Stiefeln und auf dem Kopfe
die typische russische Schirmmütze oder eine Pelzmütze.
Unser Freund aus Hakodate, der schon einige Tage früher auf einem
seiner für die Fischerei gecharterten Dampfer eingetroffen war, wohnte im
Hause seines Agenten, des einzigen dort lebenden europäischen Kaufmanns.
Dieser, ein Russe, lebt schon seit vielen Jahren in Korsakoffsk, und seine
tapfere Gattin hilft ihm dieses wenig beneidenswerte Leben dort zu ertragen.
Mut gehört wahrlich dazu, denn mit Ausnahme der uniformierten Beamten,
Offiziere, Soldaten und einiger japanischer Kaufleute und Fischer ist jeder
Mensch in Korsakoffsk ein Verbrecher schlimmster Art oder doch wenigstens
ehemals ein solcher gewesen. Die Dienstboten rekrutieren sich aus Verbrechern,
die aus dem Gefängnis entlassen worden sind, ja sogar die Kinder der Familie,
deren Gastfreundschaft wir genossen, werden in Ermanglung von Wärterinnen
von so einem Verbannten gewartet! Und dieser Mann schien wirklich mit
Liebe an den Kindern zu hängen, wie diese ihm wiederum ihr ganzes kind¬
liches Vertrauen entgegenbrachten.
Politische Verbrecher werden übrigens nicht nach Sachalin verbannt. Diese
bleiben in den Bergwerken des festländischen Sibiriens. Was hierher nach
Sachalin geschickt wird, das ist der Abschaum der Menschheit, Individuen, die
in andern Staaten zum Tode oder zu lebenslänglichem Zuchthause verurteilt
würden. Die Todesstrafe wird in Rußland nur in ganz besondern Fällen,
bei politischen Morden, angewandt. Seit einigen Jahren sollen offiziell leine
Verbrechertransporte mehr nach Sachalin kommen, doch versicherte man mir,
daß trotzdem auch jetzt noch jährlich ein- oder zweimal Schiffe solche Unglück¬
lichen dorthin bringen.
Im allgemeinen haben es diese Leute hier besser als Verbrecher derselbe!?
Kategorie in andern Ländern. Zunächst allerdings kommen sie in das Ge¬
fängnis, sitzen dort in schweren Ketten und müssen hart arbeiten. Auch werden
ihnen diese Ketten nicht abgenommen, wenn sie im Freien beim Straßenban usw.
verwandt werden. Unheimlich ist dann das Gerassel, das die Ketten bei jeder
Bewegung verursachen. Haben die Sträflinge aber eine vorgeschriebne Zeit
abgesessen und sich gut geführt, so werden sie entlassen, dürfen jedoch die Insel
oder vielmehr einen bestimmten Bezirk nicht verlassen. Sie können sich dann
einen Erwerb suchen oder können auch ein Stück Land zur Ansiedlung über¬
wiesen bekommen, erhalten hierfür sogar von der Negierung ein kleines Dar¬
lehen, das nach einer gewissen Zeit zurückbezahlt werden muß. Vielen jedoch
ist hiermit wenig gedient, denn nun heißt es, sich selbst ernähren und arbeite»,
während bisher der Staat für die Beköstigung sorgte. Das ist für viele der
Anlaß zu neuen Raub- und Mordtaten, die sie dann nur begehn, um wieder
ein Unterkommen zu finden. Zur Flucht bietet sich bei dem geringen Schiffs¬
verkehr nach und von der Insel wohl selten eine Gelegenheit. Und doch sind
auch solche Versuche schon wiederholt geglückt. So erzählte unser Freund, daß
er vor einigen Jahren, als er über Amerika nach Europa gereist sei, auf den«
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