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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Unter Kunden, Aoinödianten und wilden Tieren

eigentümliches Verfahren einschlug. Er behandelte das Publikum, besonders die
zahlreich erschienenen Bauern aus der Umgegend, mit unglaublicher Grobheit und
erreichte damit, daß sich die Zuschauer geschmeichelt fühlten und seine Bude geradezu
stürmten. Ich sagte mir, daß ich mit diesem seltsamen Mittel auch Erfolge er¬
reichen könnte, und begann nun auch meinerseits die Bauern gehörig abzukanzeln.
Ich ließ den Elefanten sich legen, legte mich auf seine Schultern und streckte die
Beine über seinem Kopfe weg. Dabei sagte ich: "Da schauts her, ihr Saurcnnmel,
ihr gefaserten Kaffern, so a Kanapee müßt ihr euch "schaffe, da liegt sichs schee
druff." Die Bauern, die bisher bloß gegafft hatten, stürzten sich nun, nachdem ich
sie so begrüßt hatte, die Stufen zur Kasse herauf und füllten in kurzer Zeit die
Bude. Madame, die an der Kasse saß und sich diesen plötzlichen Erfolg meiner
Rekommandation nicht erklären konnte, erkundigte sich beim Direktor danach, was
ich gesagt hätte, und lachte Tränen, als ihr dieser meine Worte übersetzte.

Wir wußten seit einiger Zeit, daß die Löwin Cora tragend war, und ich
schlug deshalb mein Bett auf dem ersten Platz in unmittelbarer Nähe ihres Käfigs
auf, um sogleich bei der Hand zu sein, wenn das freudige Ereignis eintreten würde.
Eines Morgens gegen vier Uhr hörte ich denn auch ein eigentümliches Quietschen,
sprang aus dem Bett, zündete das Gas an und sah zu meiner größten Freude,
daß schon ein Junges da war. Ich steckte die Hände in den Käfig, worauf die
Löwin herankam und mich beleckte. Um fünf Uhr nahm ich eine Kanne, verließ
die Menagerie und eilte in die Stadt, um zu sehen, ob ich nicht irgendwo frische
Milch bekommen könnte. Ich traf einen Milchmann, ließ mir zwei Liter von der
besten Milch geben, die ich aus meiner eignen Tasche bezahlte, eilte zu meiner
Cora zurück, goß die Milch in die Pfanne und sah, wie das Tier sie begierig
leckte. Inzwischen waren noch zwei weitere Junge angekommen, die ebenso gesund
waren wie das erste. Dieses Ereignis nutzten wir zur Reklame für unser Geschäft
aus, indem wir sechsteilige Plakate ankleben ließen, worauf auf die neugebornen
Löwen hingewiesen und zum Besuch der Menagerie eingeladen wurde. Nun galt
es, die Löwin mit ihren drei Jungen in einen andern Käfig umzusetzen, da der
Eisbär, wenn er zur Dressur in den Zentralkäfig ging, den Löwenkäfig passieren
mußte. Zu diesem Zwecke ließen wir sie zunächst in den benachbarten Käfig des
Löwen Sultan gehn, nahmen dann die Jungen weg und lockten sie mit Hilfe eines
ausgestopften neugebornen Löwen, der sonst als Dekorationsstück auf der Bühne
stand, in den Umsatzkäfig. Als sie glücklich in dem für sie bestimmten Käfig war,
wo sie ihre Jungen wieder fand, stellte es sich heraus, daß sie den Wärter Michel,
der sie nun zu verpflegen hatte, nicht zum Reinigen an den Käfig herantreten
lassen wollte. Michel kam deshalb zu mir und bat mich, das Reinigen zu übernehmen,
da er mit dem Tiere nicht fertig würde. Ich erklärte mich hierzu bereit, machte
aber zur Bedingung, daß der Käfig durch ein Pannean geschlossen würde. Das
geschah denn auch, und die Besucher, die jetzt zahlreich eintrafen und nach den
jungen Löwen fragten, mußten sich an mich wenden, wenn sie die Tiere sehen
wollten. Ich hob dann mit der linken Hand das Pcmuecm empor, langte mit der
rechten durch die Gitterstäbe, ergriff einen der jungen Löwen und hielt ihn empor,
wobei mir Cora die Hand leckte. Das Publikum war von diesem Schauspiel ganz
begeistert und kargte nicht mit seiner Anerkennung in barer Münze, sodaß ich jeden
Tag ein sehr ansehnliches Trinkgeld machte. Damit war Madame, die von meiner
Einnahmequelle durch den neidischen Michel Kenntnis erhalten haben mochte, nicht
einverstanden, und als gerade wieder viel Publikum in der Menagerie war, die
jungen Löwen besichtigte und dann nach dem Portemonnaie griff, kam sie von der
Kasse und sagte sehr bestimmt: "Kost nix, kost nix!" Ich wollte mir aber meinen
wohlverdienten Lohn nicht entgehn lassen, stieg deshalb über die Barriere des
ersten Platzes, stellte mich so, daß ich Madame ins Gesicht sah, und hielt die Hände
geöffnet auf den Rücken, worauf mir die Besucher, die für diese Geste volles Ver¬
ständnis zeigten, das Geld von hinten in die Hand drückten.


Unter Kunden, Aoinödianten und wilden Tieren

eigentümliches Verfahren einschlug. Er behandelte das Publikum, besonders die
zahlreich erschienenen Bauern aus der Umgegend, mit unglaublicher Grobheit und
erreichte damit, daß sich die Zuschauer geschmeichelt fühlten und seine Bude geradezu
stürmten. Ich sagte mir, daß ich mit diesem seltsamen Mittel auch Erfolge er¬
reichen könnte, und begann nun auch meinerseits die Bauern gehörig abzukanzeln.
Ich ließ den Elefanten sich legen, legte mich auf seine Schultern und streckte die
Beine über seinem Kopfe weg. Dabei sagte ich: „Da schauts her, ihr Saurcnnmel,
ihr gefaserten Kaffern, so a Kanapee müßt ihr euch »schaffe, da liegt sichs schee
druff." Die Bauern, die bisher bloß gegafft hatten, stürzten sich nun, nachdem ich
sie so begrüßt hatte, die Stufen zur Kasse herauf und füllten in kurzer Zeit die
Bude. Madame, die an der Kasse saß und sich diesen plötzlichen Erfolg meiner
Rekommandation nicht erklären konnte, erkundigte sich beim Direktor danach, was
ich gesagt hätte, und lachte Tränen, als ihr dieser meine Worte übersetzte.

Wir wußten seit einiger Zeit, daß die Löwin Cora tragend war, und ich
schlug deshalb mein Bett auf dem ersten Platz in unmittelbarer Nähe ihres Käfigs
auf, um sogleich bei der Hand zu sein, wenn das freudige Ereignis eintreten würde.
Eines Morgens gegen vier Uhr hörte ich denn auch ein eigentümliches Quietschen,
sprang aus dem Bett, zündete das Gas an und sah zu meiner größten Freude,
daß schon ein Junges da war. Ich steckte die Hände in den Käfig, worauf die
Löwin herankam und mich beleckte. Um fünf Uhr nahm ich eine Kanne, verließ
die Menagerie und eilte in die Stadt, um zu sehen, ob ich nicht irgendwo frische
Milch bekommen könnte. Ich traf einen Milchmann, ließ mir zwei Liter von der
besten Milch geben, die ich aus meiner eignen Tasche bezahlte, eilte zu meiner
Cora zurück, goß die Milch in die Pfanne und sah, wie das Tier sie begierig
leckte. Inzwischen waren noch zwei weitere Junge angekommen, die ebenso gesund
waren wie das erste. Dieses Ereignis nutzten wir zur Reklame für unser Geschäft
aus, indem wir sechsteilige Plakate ankleben ließen, worauf auf die neugebornen
Löwen hingewiesen und zum Besuch der Menagerie eingeladen wurde. Nun galt
es, die Löwin mit ihren drei Jungen in einen andern Käfig umzusetzen, da der
Eisbär, wenn er zur Dressur in den Zentralkäfig ging, den Löwenkäfig passieren
mußte. Zu diesem Zwecke ließen wir sie zunächst in den benachbarten Käfig des
Löwen Sultan gehn, nahmen dann die Jungen weg und lockten sie mit Hilfe eines
ausgestopften neugebornen Löwen, der sonst als Dekorationsstück auf der Bühne
stand, in den Umsatzkäfig. Als sie glücklich in dem für sie bestimmten Käfig war,
wo sie ihre Jungen wieder fand, stellte es sich heraus, daß sie den Wärter Michel,
der sie nun zu verpflegen hatte, nicht zum Reinigen an den Käfig herantreten
lassen wollte. Michel kam deshalb zu mir und bat mich, das Reinigen zu übernehmen,
da er mit dem Tiere nicht fertig würde. Ich erklärte mich hierzu bereit, machte
aber zur Bedingung, daß der Käfig durch ein Pannean geschlossen würde. Das
geschah denn auch, und die Besucher, die jetzt zahlreich eintrafen und nach den
jungen Löwen fragten, mußten sich an mich wenden, wenn sie die Tiere sehen
wollten. Ich hob dann mit der linken Hand das Pcmuecm empor, langte mit der
rechten durch die Gitterstäbe, ergriff einen der jungen Löwen und hielt ihn empor,
wobei mir Cora die Hand leckte. Das Publikum war von diesem Schauspiel ganz
begeistert und kargte nicht mit seiner Anerkennung in barer Münze, sodaß ich jeden
Tag ein sehr ansehnliches Trinkgeld machte. Damit war Madame, die von meiner
Einnahmequelle durch den neidischen Michel Kenntnis erhalten haben mochte, nicht
einverstanden, und als gerade wieder viel Publikum in der Menagerie war, die
jungen Löwen besichtigte und dann nach dem Portemonnaie griff, kam sie von der
Kasse und sagte sehr bestimmt: „Kost nix, kost nix!" Ich wollte mir aber meinen
wohlverdienten Lohn nicht entgehn lassen, stieg deshalb über die Barriere des
ersten Platzes, stellte mich so, daß ich Madame ins Gesicht sah, und hielt die Hände
geöffnet auf den Rücken, worauf mir die Besucher, die für diese Geste volles Ver¬
ständnis zeigten, das Geld von hinten in die Hand drückten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/98>, abgerufen am 15.01.2025.