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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Weihnachten und die zwölf Nächte

haften Sachen, gratis aufzutischen, vielleicht auch etwas Butter und ein Gläschen
Kirschwasser dazu. Ein Mädchen heiratet im kommenden Jahre, wenn es
neunerlei Kletzenbrot, jedes Stück freiwillig geschenkt, nicht erbeten, zusammen¬
bringt. Mit größter Sorgfalt wird der Zeltenteig geknetet; ist dieses Geschäft
vorüber, so muß die Dirne mit den teigigen Armen die Obstbüume umfassen,
damit diese im nächsten Jahre reichlich Früchte tragen. Gelingt der Hausfrau
der Zelten, so betrachtet sie das als ein gutes Omen, mißrät er aber, so zittert
sie für ihr Leben. Auch das Vieh bekommt ein eigens gebacknes Kletzenbrot
mit drei Nußkernen. Wer sich Schlag zwölf Uhr in der Christnacht mit einem
Weißen Weihnachtsbrot auf den Düngerhaufen stellt und spricht: "Wer nur vor
Gott und der Welt beschaffen ist, der komm und schneid diese Stört an," sieht
seine Braut oder den Bräutigam kommen. Läuft man aber davon, so fliegt
dem Feigen ein Messer nach. In Haigermoos gehn die Mädchen mit einem
Kletzenbrot, in dem ein Messer steckt, in der Rauhnacht um das Haus. Wer
einer dabei begegnet, der muß den "Scherz" abschneiden und heiratet sie in der
Folgezeit. Zeltenstücke endlich erhalten auch die Burschen, die am 28. Dezember
in dem an Schwaben grenzenden Teile Bayerns herumziehn, die Mädchen zu
"einteilt," desgleichen die, die in Altbayern das Klöpfliedlein singen.

Weiter wurde in der heidnischen Zeit dem Mittwinter eine besondre Kraft
zugeschrieben, man meinte, seltne Gaben in ihm zu finden. So wußte das
Altertum von der Sprachtätigkeit und Weissagungsgabe der Tiere mancherlei zu er¬
zähle". Dieser Glaube wurde auch durch die Einführung des Christentums
nicht vernichtet, wohl aber beschränkt, und zwar auf die heilige Nacht, in der
Christus einst zu Bethlehem im Stalle geboren wurde. Überall in Deutschland
sagt man deshalb, daß in der Christnacht Tiere miteinander reden, auch daß
die Geister während dieser Nacht mit den Tieren sprechen. Die ganzen zwölf
Nächte werden für die Tierwelt als bedeutend angesehen, und mancher Aber¬
glaube über die Haustiere ist mit ihnen verbunden. Sie stehn in ihren Ställen
auf, um dem Gott Wodan (später dem Christkinde) ihre Ehrfurcht zu bezeugen,
oder sie knien alle nieder und beten an. Wodans Lieblingstiere, die Rosse,
stecken die Köpfe zusammen und teilen einander mit, was sie während des ver¬
flossenen Jahres erlebt und erduldet haben, und was sie für die Zukunft er¬
warten. Viele Bauern wagen nicht, in der Weihnacht die Pferde anzuspannen;
dieses Reden untereinander sei die einzige Freude, die der Gott ihnen gewährt,
das müsse sie für die Arbeit des ganzen Jahres entschädigen. Dabei spielt
wohl der Respekt vor den Weissagungen der Pferde ebenfalls mit. Oft schlafen
die Knechte in der heiligen Nacht unter oder gar in den Pferdekrippen, und
die Träume in solcher Bettstatt sind vorbedeutend für das ganze kommende
Jahr, denn im Schlafe hört man, was die Rosse reden. Mädchen reiten wohl
auf einem Besen bis an die Tür des Pferdestalls und horchen. Wiehert ein
Roß, so kommt die Magd bis Johannis in die Ehe, hört sie dagegen die laute
Blähung eines Pferdes, so muß sie im kommenden Jahre Kindtaufe geben,
ohne einen Mann zu haben. Man darf an solchen Weissagungen nicht zweifeln.
Ein ungläubiger Bauer legte sich auch einmal in die Raufe und horchte wachend.
Da sprach um Mitternacht das eine Pferd zum andern: "Dieses Jahr machen


Weihnachten und die zwölf Nächte

haften Sachen, gratis aufzutischen, vielleicht auch etwas Butter und ein Gläschen
Kirschwasser dazu. Ein Mädchen heiratet im kommenden Jahre, wenn es
neunerlei Kletzenbrot, jedes Stück freiwillig geschenkt, nicht erbeten, zusammen¬
bringt. Mit größter Sorgfalt wird der Zeltenteig geknetet; ist dieses Geschäft
vorüber, so muß die Dirne mit den teigigen Armen die Obstbüume umfassen,
damit diese im nächsten Jahre reichlich Früchte tragen. Gelingt der Hausfrau
der Zelten, so betrachtet sie das als ein gutes Omen, mißrät er aber, so zittert
sie für ihr Leben. Auch das Vieh bekommt ein eigens gebacknes Kletzenbrot
mit drei Nußkernen. Wer sich Schlag zwölf Uhr in der Christnacht mit einem
Weißen Weihnachtsbrot auf den Düngerhaufen stellt und spricht: „Wer nur vor
Gott und der Welt beschaffen ist, der komm und schneid diese Stört an," sieht
seine Braut oder den Bräutigam kommen. Läuft man aber davon, so fliegt
dem Feigen ein Messer nach. In Haigermoos gehn die Mädchen mit einem
Kletzenbrot, in dem ein Messer steckt, in der Rauhnacht um das Haus. Wer
einer dabei begegnet, der muß den „Scherz" abschneiden und heiratet sie in der
Folgezeit. Zeltenstücke endlich erhalten auch die Burschen, die am 28. Dezember
in dem an Schwaben grenzenden Teile Bayerns herumziehn, die Mädchen zu
„einteilt," desgleichen die, die in Altbayern das Klöpfliedlein singen.

Weiter wurde in der heidnischen Zeit dem Mittwinter eine besondre Kraft
zugeschrieben, man meinte, seltne Gaben in ihm zu finden. So wußte das
Altertum von der Sprachtätigkeit und Weissagungsgabe der Tiere mancherlei zu er¬
zähle». Dieser Glaube wurde auch durch die Einführung des Christentums
nicht vernichtet, wohl aber beschränkt, und zwar auf die heilige Nacht, in der
Christus einst zu Bethlehem im Stalle geboren wurde. Überall in Deutschland
sagt man deshalb, daß in der Christnacht Tiere miteinander reden, auch daß
die Geister während dieser Nacht mit den Tieren sprechen. Die ganzen zwölf
Nächte werden für die Tierwelt als bedeutend angesehen, und mancher Aber¬
glaube über die Haustiere ist mit ihnen verbunden. Sie stehn in ihren Ställen
auf, um dem Gott Wodan (später dem Christkinde) ihre Ehrfurcht zu bezeugen,
oder sie knien alle nieder und beten an. Wodans Lieblingstiere, die Rosse,
stecken die Köpfe zusammen und teilen einander mit, was sie während des ver¬
flossenen Jahres erlebt und erduldet haben, und was sie für die Zukunft er¬
warten. Viele Bauern wagen nicht, in der Weihnacht die Pferde anzuspannen;
dieses Reden untereinander sei die einzige Freude, die der Gott ihnen gewährt,
das müsse sie für die Arbeit des ganzen Jahres entschädigen. Dabei spielt
wohl der Respekt vor den Weissagungen der Pferde ebenfalls mit. Oft schlafen
die Knechte in der heiligen Nacht unter oder gar in den Pferdekrippen, und
die Träume in solcher Bettstatt sind vorbedeutend für das ganze kommende
Jahr, denn im Schlafe hört man, was die Rosse reden. Mädchen reiten wohl
auf einem Besen bis an die Tür des Pferdestalls und horchen. Wiehert ein
Roß, so kommt die Magd bis Johannis in die Ehe, hört sie dagegen die laute
Blähung eines Pferdes, so muß sie im kommenden Jahre Kindtaufe geben,
ohne einen Mann zu haben. Man darf an solchen Weissagungen nicht zweifeln.
Ein ungläubiger Bauer legte sich auch einmal in die Raufe und horchte wachend.
Da sprach um Mitternacht das eine Pferd zum andern: „Dieses Jahr machen


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[0729] Weihnachten und die zwölf Nächte haften Sachen, gratis aufzutischen, vielleicht auch etwas Butter und ein Gläschen Kirschwasser dazu. Ein Mädchen heiratet im kommenden Jahre, wenn es neunerlei Kletzenbrot, jedes Stück freiwillig geschenkt, nicht erbeten, zusammen¬ bringt. Mit größter Sorgfalt wird der Zeltenteig geknetet; ist dieses Geschäft vorüber, so muß die Dirne mit den teigigen Armen die Obstbüume umfassen, damit diese im nächsten Jahre reichlich Früchte tragen. Gelingt der Hausfrau der Zelten, so betrachtet sie das als ein gutes Omen, mißrät er aber, so zittert sie für ihr Leben. Auch das Vieh bekommt ein eigens gebacknes Kletzenbrot mit drei Nußkernen. Wer sich Schlag zwölf Uhr in der Christnacht mit einem Weißen Weihnachtsbrot auf den Düngerhaufen stellt und spricht: „Wer nur vor Gott und der Welt beschaffen ist, der komm und schneid diese Stört an," sieht seine Braut oder den Bräutigam kommen. Läuft man aber davon, so fliegt dem Feigen ein Messer nach. In Haigermoos gehn die Mädchen mit einem Kletzenbrot, in dem ein Messer steckt, in der Rauhnacht um das Haus. Wer einer dabei begegnet, der muß den „Scherz" abschneiden und heiratet sie in der Folgezeit. Zeltenstücke endlich erhalten auch die Burschen, die am 28. Dezember in dem an Schwaben grenzenden Teile Bayerns herumziehn, die Mädchen zu „einteilt," desgleichen die, die in Altbayern das Klöpfliedlein singen. Weiter wurde in der heidnischen Zeit dem Mittwinter eine besondre Kraft zugeschrieben, man meinte, seltne Gaben in ihm zu finden. So wußte das Altertum von der Sprachtätigkeit und Weissagungsgabe der Tiere mancherlei zu er¬ zähle». Dieser Glaube wurde auch durch die Einführung des Christentums nicht vernichtet, wohl aber beschränkt, und zwar auf die heilige Nacht, in der Christus einst zu Bethlehem im Stalle geboren wurde. Überall in Deutschland sagt man deshalb, daß in der Christnacht Tiere miteinander reden, auch daß die Geister während dieser Nacht mit den Tieren sprechen. Die ganzen zwölf Nächte werden für die Tierwelt als bedeutend angesehen, und mancher Aber¬ glaube über die Haustiere ist mit ihnen verbunden. Sie stehn in ihren Ställen auf, um dem Gott Wodan (später dem Christkinde) ihre Ehrfurcht zu bezeugen, oder sie knien alle nieder und beten an. Wodans Lieblingstiere, die Rosse, stecken die Köpfe zusammen und teilen einander mit, was sie während des ver¬ flossenen Jahres erlebt und erduldet haben, und was sie für die Zukunft er¬ warten. Viele Bauern wagen nicht, in der Weihnacht die Pferde anzuspannen; dieses Reden untereinander sei die einzige Freude, die der Gott ihnen gewährt, das müsse sie für die Arbeit des ganzen Jahres entschädigen. Dabei spielt wohl der Respekt vor den Weissagungen der Pferde ebenfalls mit. Oft schlafen die Knechte in der heiligen Nacht unter oder gar in den Pferdekrippen, und die Träume in solcher Bettstatt sind vorbedeutend für das ganze kommende Jahr, denn im Schlafe hört man, was die Rosse reden. Mädchen reiten wohl auf einem Besen bis an die Tür des Pferdestalls und horchen. Wiehert ein Roß, so kommt die Magd bis Johannis in die Ehe, hört sie dagegen die laute Blähung eines Pferdes, so muß sie im kommenden Jahre Kindtaufe geben, ohne einen Mann zu haben. Man darf an solchen Weissagungen nicht zweifeln. Ein ungläubiger Bauer legte sich auch einmal in die Raufe und horchte wachend. Da sprach um Mitternacht das eine Pferd zum andern: „Dieses Jahr machen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/729>, abgerufen am 15.01.2025.