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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Ver verfaffungskonflikt in Ungarn

Worden, in den militärischen Forderungen nachzugeben, was nicht ohne Wirkung
blieb. Es konnte darum ganz zuverlässig nach Wien gemeldet werden, daß
die Opposition entschlossen sei, nachzugeben. Wenn das der Fall war, so
hatte das Notministerium Fejervary keinen Zweck mehr, und darum wurde die
Welt am Morgen des 13. September mit der Nachricht von seiner Entlassung
überrascht, und dies war um so mehr der Fall, als zugleich bekannt wurde,
daß die Führer der Opposition: Kossuth, Andrassy, Zichy, Apponyi, Justs und
Vcizsonyi wieder zum Kaiser berufen worden seien.

Da die Presse von den geheimen Vorgängen keine Ahnung hatte, erging
sie sich in den kühnsten Phantasien. Zunächst behauptete sie, wobei der Wunsch
Vater des Gedankens gewesen war, daß der österreichische Ministerpräsident,
Freiherr von Ganthas, und der Minister des Äußern, Graf Goluchowski, Ein¬
spruch getan und das Ministerium Fejervary "gestürzt" Hütten, und daß ferner
die Krone vor der ungarischen Opposition kapituliert habe. In dieser Auf¬
fassung von der Sachlage bestärkte man sich eine Woche lang gegenseitig so,
daß sie schließlich von aller Welt für richtig gehalten wurde. Um so größer
war das Erstannen über die Mitteilungen von dem Empfang, den die unga¬
rischen Oppositionsmänner am 23. September beim Kaiser erfahren hatten.
Der Monarch war sehr ernst, sprach die Herren kurz in deutscher Sprache an
und überreichte ihnen ein Schriftstück als Antwort auf die oppositionelle
Adresse, das die Bedingungen enthalte, unter denen er mit ihnen über die
Übertragung der Regierungsgewalt unterhandeln wolle. Sie möchten nicht
durch Ablehnung Not und Elend über das Land bringen und ihm ihre Ant¬
wort durch den Grafen Goluchowski übermitteln lassen. Damit war die
Audienz zu Ende. Die schriftliche Erklärung des Kaisers enthielt genau die¬
selben Punkte über die gemeinsame Armee und die auswärtige Politik wie über
die Möglichkeit der Abänderung des Ausgleichs, wie sie in derselben Fassung
der frühere österreichische Ministerpräsident von Koerber in seiner letzten Rede
im Abgeordnetenhause zu Wien vor zehn Monaten dargelegt hatte. In den
Anschauungen des Monarchen hatte sich demnach durchaus keine Wandlung
vollzogen. Die schriftliche Übergabe der Bedingungen des Kaisers hatte un¬
verkennbar die Form eines Ultimatums, und es ist erklärlich, daß die ungarischen
Herren sehr betreten aus der Hofburg schieden. Es hieß später, sie wären
mit sehr wenigem zufrieden gewesen, auch mit dem Zugeständnis der ungarischen
Kommandosprache für die ungarischen Husarenrcgimenter. Aber das ging schon
über den grundsätzlichen Standpunkt des Monarchen hinaus; außerdem hatten
die Führer der Opposition, nachdem sie das Ministerium beseitigt zu haben
glaubten, das früher im geheimen angebotne Entgegenkommen rückgängig ge¬
macht und in einer Zusammenkunft noch vor der Abreise nach Wien beschlossen,
die Forderung der Opposition aufrecht zu erhalten. Daraus erklärt sich ihre
schroffe Abweisung in der Hofburg.

Die Presse, die von den geheimen Vorgängen keine Ahnung hatte und
die Andeutungen einiger mit den Hofkreisen Fühlung haltender Blätter, die
aber nicht zu den "großen Zeitungen" gehörten, übersah, verlor bei dieser neusten
Wendung, die ganz und gar nicht zu ihren Anschauungen paßte, vollends alle


Ver verfaffungskonflikt in Ungarn

Worden, in den militärischen Forderungen nachzugeben, was nicht ohne Wirkung
blieb. Es konnte darum ganz zuverlässig nach Wien gemeldet werden, daß
die Opposition entschlossen sei, nachzugeben. Wenn das der Fall war, so
hatte das Notministerium Fejervary keinen Zweck mehr, und darum wurde die
Welt am Morgen des 13. September mit der Nachricht von seiner Entlassung
überrascht, und dies war um so mehr der Fall, als zugleich bekannt wurde,
daß die Führer der Opposition: Kossuth, Andrassy, Zichy, Apponyi, Justs und
Vcizsonyi wieder zum Kaiser berufen worden seien.

Da die Presse von den geheimen Vorgängen keine Ahnung hatte, erging
sie sich in den kühnsten Phantasien. Zunächst behauptete sie, wobei der Wunsch
Vater des Gedankens gewesen war, daß der österreichische Ministerpräsident,
Freiherr von Ganthas, und der Minister des Äußern, Graf Goluchowski, Ein¬
spruch getan und das Ministerium Fejervary „gestürzt" Hütten, und daß ferner
die Krone vor der ungarischen Opposition kapituliert habe. In dieser Auf¬
fassung von der Sachlage bestärkte man sich eine Woche lang gegenseitig so,
daß sie schließlich von aller Welt für richtig gehalten wurde. Um so größer
war das Erstannen über die Mitteilungen von dem Empfang, den die unga¬
rischen Oppositionsmänner am 23. September beim Kaiser erfahren hatten.
Der Monarch war sehr ernst, sprach die Herren kurz in deutscher Sprache an
und überreichte ihnen ein Schriftstück als Antwort auf die oppositionelle
Adresse, das die Bedingungen enthalte, unter denen er mit ihnen über die
Übertragung der Regierungsgewalt unterhandeln wolle. Sie möchten nicht
durch Ablehnung Not und Elend über das Land bringen und ihm ihre Ant¬
wort durch den Grafen Goluchowski übermitteln lassen. Damit war die
Audienz zu Ende. Die schriftliche Erklärung des Kaisers enthielt genau die¬
selben Punkte über die gemeinsame Armee und die auswärtige Politik wie über
die Möglichkeit der Abänderung des Ausgleichs, wie sie in derselben Fassung
der frühere österreichische Ministerpräsident von Koerber in seiner letzten Rede
im Abgeordnetenhause zu Wien vor zehn Monaten dargelegt hatte. In den
Anschauungen des Monarchen hatte sich demnach durchaus keine Wandlung
vollzogen. Die schriftliche Übergabe der Bedingungen des Kaisers hatte un¬
verkennbar die Form eines Ultimatums, und es ist erklärlich, daß die ungarischen
Herren sehr betreten aus der Hofburg schieden. Es hieß später, sie wären
mit sehr wenigem zufrieden gewesen, auch mit dem Zugeständnis der ungarischen
Kommandosprache für die ungarischen Husarenrcgimenter. Aber das ging schon
über den grundsätzlichen Standpunkt des Monarchen hinaus; außerdem hatten
die Führer der Opposition, nachdem sie das Ministerium beseitigt zu haben
glaubten, das früher im geheimen angebotne Entgegenkommen rückgängig ge¬
macht und in einer Zusammenkunft noch vor der Abreise nach Wien beschlossen,
die Forderung der Opposition aufrecht zu erhalten. Daraus erklärt sich ihre
schroffe Abweisung in der Hofburg.

Die Presse, die von den geheimen Vorgängen keine Ahnung hatte und
die Andeutungen einiger mit den Hofkreisen Fühlung haltender Blätter, die
aber nicht zu den „großen Zeitungen" gehörten, übersah, verlor bei dieser neusten
Wendung, die ganz und gar nicht zu ihren Anschauungen paßte, vollends alle


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[0706] Ver verfaffungskonflikt in Ungarn Worden, in den militärischen Forderungen nachzugeben, was nicht ohne Wirkung blieb. Es konnte darum ganz zuverlässig nach Wien gemeldet werden, daß die Opposition entschlossen sei, nachzugeben. Wenn das der Fall war, so hatte das Notministerium Fejervary keinen Zweck mehr, und darum wurde die Welt am Morgen des 13. September mit der Nachricht von seiner Entlassung überrascht, und dies war um so mehr der Fall, als zugleich bekannt wurde, daß die Führer der Opposition: Kossuth, Andrassy, Zichy, Apponyi, Justs und Vcizsonyi wieder zum Kaiser berufen worden seien. Da die Presse von den geheimen Vorgängen keine Ahnung hatte, erging sie sich in den kühnsten Phantasien. Zunächst behauptete sie, wobei der Wunsch Vater des Gedankens gewesen war, daß der österreichische Ministerpräsident, Freiherr von Ganthas, und der Minister des Äußern, Graf Goluchowski, Ein¬ spruch getan und das Ministerium Fejervary „gestürzt" Hütten, und daß ferner die Krone vor der ungarischen Opposition kapituliert habe. In dieser Auf¬ fassung von der Sachlage bestärkte man sich eine Woche lang gegenseitig so, daß sie schließlich von aller Welt für richtig gehalten wurde. Um so größer war das Erstannen über die Mitteilungen von dem Empfang, den die unga¬ rischen Oppositionsmänner am 23. September beim Kaiser erfahren hatten. Der Monarch war sehr ernst, sprach die Herren kurz in deutscher Sprache an und überreichte ihnen ein Schriftstück als Antwort auf die oppositionelle Adresse, das die Bedingungen enthalte, unter denen er mit ihnen über die Übertragung der Regierungsgewalt unterhandeln wolle. Sie möchten nicht durch Ablehnung Not und Elend über das Land bringen und ihm ihre Ant¬ wort durch den Grafen Goluchowski übermitteln lassen. Damit war die Audienz zu Ende. Die schriftliche Erklärung des Kaisers enthielt genau die¬ selben Punkte über die gemeinsame Armee und die auswärtige Politik wie über die Möglichkeit der Abänderung des Ausgleichs, wie sie in derselben Fassung der frühere österreichische Ministerpräsident von Koerber in seiner letzten Rede im Abgeordnetenhause zu Wien vor zehn Monaten dargelegt hatte. In den Anschauungen des Monarchen hatte sich demnach durchaus keine Wandlung vollzogen. Die schriftliche Übergabe der Bedingungen des Kaisers hatte un¬ verkennbar die Form eines Ultimatums, und es ist erklärlich, daß die ungarischen Herren sehr betreten aus der Hofburg schieden. Es hieß später, sie wären mit sehr wenigem zufrieden gewesen, auch mit dem Zugeständnis der ungarischen Kommandosprache für die ungarischen Husarenrcgimenter. Aber das ging schon über den grundsätzlichen Standpunkt des Monarchen hinaus; außerdem hatten die Führer der Opposition, nachdem sie das Ministerium beseitigt zu haben glaubten, das früher im geheimen angebotne Entgegenkommen rückgängig ge¬ macht und in einer Zusammenkunft noch vor der Abreise nach Wien beschlossen, die Forderung der Opposition aufrecht zu erhalten. Daraus erklärt sich ihre schroffe Abweisung in der Hofburg. Die Presse, die von den geheimen Vorgängen keine Ahnung hatte und die Andeutungen einiger mit den Hofkreisen Fühlung haltender Blätter, die aber nicht zu den „großen Zeitungen" gehörten, übersah, verlor bei dieser neusten Wendung, die ganz und gar nicht zu ihren Anschauungen paßte, vollends alle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/706>, abgerufen am 15.01.2025.