Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Der Verfassungskonflikt in Ungarn reichischen Politik mit ruhig prüfendem Auge verfolgt hat und nicht durch Daß es auch am Hofe zu Wien Cliquen und Intriguen gibt, ist natürlich Der Verfassungskonflikt in Ungarn reichischen Politik mit ruhig prüfendem Auge verfolgt hat und nicht durch Daß es auch am Hofe zu Wien Cliquen und Intriguen gibt, ist natürlich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0700" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296711"/> <fw type="header" place="top"> Der Verfassungskonflikt in Ungarn</fw><lb/> <p xml:id="ID_3647" prev="#ID_3646"> reichischen Politik mit ruhig prüfendem Auge verfolgt hat und nicht durch<lb/> persönliche Teilnahme an den Kämpfen befangen gemacht worden ist, der<lb/> wird gefunden haben, daß in allen Hoheitsfragen, namentlich in Sachen der<lb/> äußern Politik und der Armee. Kaiser Franz Joseph niemals geschwankt<lb/> hat. Er handelte auch in diesem Falle konstitutionell, denn hier liegen seine<lb/> verfassungsmäßigen Rechte. Er hat vor allem alle Angriffe auf die Armee<lb/> mit Nachdruck abgewehrt, und immer ist danach ein Frontwechsel in der innern<lb/> Politik erfolgt. So kam nach den Bestrebungen der Deutschliberalen, die<lb/> Armee zu verringern, der Sturz der deutschen Herrschaft und die Ära Taaffe,<lb/> nach den tschechischen Demonstrationen gegen die Armeesprache das deutsch¬<lb/> freundliche Ministerium Koerber. Was dem magyarischen Griff nach den<lb/> Hoheitsrechten über das Heer folgen wird, entzieht sich jeder Vermutung, vor¬<lb/> läufig sieht man in Ungarn eine neue Erscheinung: das unparlamentnrische<lb/> Ministerium Fcjervary. Dies möge genügen, um die vielverbreitete Annahme<lb/> von der Unentschiedenheit des Kaisers Franz Joseph auf ihre Nichtigkeit zu<lb/> prüfen. Was die Andeutungen über schlechte Ratgeber und gar die „Kamarilla"<lb/> am Wiener Hofe betrifft, so handelt es sich dabei um nichts mehr als um<lb/> alte Ladenhüter des demokratischen Kramladens, die ab und zu vor den Augen<lb/> derer, die nicht alle werden, einmal wieder neu aufgebürstet und gezeigt werden.<lb/> Wer die Verhältnisse in der Wiener Hofburg auch nur einigermaßen kennt,<lb/> der weiß, daß sicher seit vierzig Jahren an eine Kamarilla gar nicht mehr zu<lb/> denken war. Gewiß hört der Kaiser viele Meinungen, vor allem die seiner<lb/> Minister, er ist aber in seinen Entschlüssen vollkommen frei und entscheidet<lb/> nach seinem eignen Urteil. Zu lenken im landläufigen Sinne ist er nicht,<lb/> und er vermeidet vielleicht noch mit mehr Absichtlichkeit als Kaiser Wilhelm<lb/> der Zweite auch den Schein, beeinflußt worden zu sein. Weder der Thron¬<lb/> folger noch Erzherzoginnen üben einen irgendwie bemerkenswerten Einfluß<lb/> aus, wäre aber eine Kamarilla vorhanden, so Hütte diese doch längst einen<lb/> Ausgleich in der ungarischen Armeefrage erreicht. Man hat es eben hier<lb/> einzig und allein mit dem persönlichen Willen des Monarchen zu tun, der<lb/> jede wesentliche Änderung an der Armee zurückweist.</p><lb/> <p xml:id="ID_3648" next="#ID_3649"> Daß es auch am Hofe zu Wien Cliquen und Intriguen gibt, ist natürlich<lb/> nicht in Abrede zu stellen, denn dergleichen gibt es in allen Ständen, sowohl<lb/> in den Städten wie auf dem Lande. Aber eine Art von Nebenregierung in<lb/> der Umgebung des Kaisers gibt es nicht. Dagegen sind von jeher zwei Neben¬<lb/> regierungen vorhanden, eine feudalklerikale und eine liberalkapitalistische, deren<lb/> einflußreiche Mitglieder, Abgeordnete usw. die Vorzimmer der Münster stürmen,<lb/> um in ihrem Sinne auf wirtschaftliche und personale Fragen einzuwirken;<lb/> beide Nebenregierungen haben aber auf die Entscheidungen des Kaisers nicht<lb/> den geringsten direkten Einfluß. Wer übrigens vierzig Jahre in der Geschichte<lb/> zurückgreifen will, der wird finden, daß dem Könige Wilhelm von Preußen<lb/> während des Armeekonflikts mit der Kammer ebenfalls der Vorwurf gemacht<lb/> wurde, er ließe sich von einer Kamarilla beherrschen, noch dazu in einer Zeit,<lb/> wo er mit seiner von der Geschichte glänzend gerechtfertigten Meinung im<lb/> ganzen Lande fast allein stand und nicht einmal Minister finden konnte, die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0700]
Der Verfassungskonflikt in Ungarn
reichischen Politik mit ruhig prüfendem Auge verfolgt hat und nicht durch
persönliche Teilnahme an den Kämpfen befangen gemacht worden ist, der
wird gefunden haben, daß in allen Hoheitsfragen, namentlich in Sachen der
äußern Politik und der Armee. Kaiser Franz Joseph niemals geschwankt
hat. Er handelte auch in diesem Falle konstitutionell, denn hier liegen seine
verfassungsmäßigen Rechte. Er hat vor allem alle Angriffe auf die Armee
mit Nachdruck abgewehrt, und immer ist danach ein Frontwechsel in der innern
Politik erfolgt. So kam nach den Bestrebungen der Deutschliberalen, die
Armee zu verringern, der Sturz der deutschen Herrschaft und die Ära Taaffe,
nach den tschechischen Demonstrationen gegen die Armeesprache das deutsch¬
freundliche Ministerium Koerber. Was dem magyarischen Griff nach den
Hoheitsrechten über das Heer folgen wird, entzieht sich jeder Vermutung, vor¬
läufig sieht man in Ungarn eine neue Erscheinung: das unparlamentnrische
Ministerium Fcjervary. Dies möge genügen, um die vielverbreitete Annahme
von der Unentschiedenheit des Kaisers Franz Joseph auf ihre Nichtigkeit zu
prüfen. Was die Andeutungen über schlechte Ratgeber und gar die „Kamarilla"
am Wiener Hofe betrifft, so handelt es sich dabei um nichts mehr als um
alte Ladenhüter des demokratischen Kramladens, die ab und zu vor den Augen
derer, die nicht alle werden, einmal wieder neu aufgebürstet und gezeigt werden.
Wer die Verhältnisse in der Wiener Hofburg auch nur einigermaßen kennt,
der weiß, daß sicher seit vierzig Jahren an eine Kamarilla gar nicht mehr zu
denken war. Gewiß hört der Kaiser viele Meinungen, vor allem die seiner
Minister, er ist aber in seinen Entschlüssen vollkommen frei und entscheidet
nach seinem eignen Urteil. Zu lenken im landläufigen Sinne ist er nicht,
und er vermeidet vielleicht noch mit mehr Absichtlichkeit als Kaiser Wilhelm
der Zweite auch den Schein, beeinflußt worden zu sein. Weder der Thron¬
folger noch Erzherzoginnen üben einen irgendwie bemerkenswerten Einfluß
aus, wäre aber eine Kamarilla vorhanden, so Hütte diese doch längst einen
Ausgleich in der ungarischen Armeefrage erreicht. Man hat es eben hier
einzig und allein mit dem persönlichen Willen des Monarchen zu tun, der
jede wesentliche Änderung an der Armee zurückweist.
Daß es auch am Hofe zu Wien Cliquen und Intriguen gibt, ist natürlich
nicht in Abrede zu stellen, denn dergleichen gibt es in allen Ständen, sowohl
in den Städten wie auf dem Lande. Aber eine Art von Nebenregierung in
der Umgebung des Kaisers gibt es nicht. Dagegen sind von jeher zwei Neben¬
regierungen vorhanden, eine feudalklerikale und eine liberalkapitalistische, deren
einflußreiche Mitglieder, Abgeordnete usw. die Vorzimmer der Münster stürmen,
um in ihrem Sinne auf wirtschaftliche und personale Fragen einzuwirken;
beide Nebenregierungen haben aber auf die Entscheidungen des Kaisers nicht
den geringsten direkten Einfluß. Wer übrigens vierzig Jahre in der Geschichte
zurückgreifen will, der wird finden, daß dem Könige Wilhelm von Preußen
während des Armeekonflikts mit der Kammer ebenfalls der Vorwurf gemacht
wurde, er ließe sich von einer Kamarilla beherrschen, noch dazu in einer Zeit,
wo er mit seiner von der Geschichte glänzend gerechtfertigten Meinung im
ganzen Lande fast allein stand und nicht einmal Minister finden konnte, die
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