Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Mehrzahl hat für die Jagd nach den, politischen Glück, die Bebel veranstaltet, und Es war vorauszusehen, daß die Vorgänge in Rußland auf unsre Sozial¬ Die Sozialdemokratie wird, im Gegensatz zu Bebels Ankündigungen in Jena, Mehrzahl hat für die Jagd nach den, politischen Glück, die Bebel veranstaltet, und Es war vorauszusehen, daß die Vorgänge in Rußland auf unsre Sozial¬ Die Sozialdemokratie wird, im Gegensatz zu Bebels Ankündigungen in Jena, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0063" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296074"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_353" prev="#ID_352"> Mehrzahl hat für die Jagd nach den, politischen Glück, die Bebel veranstaltet, und<lb/> deren Führung, aus ganz andern Gründen als wegen des Interesses an den Ar¬<lb/> beitern, Leute wie Singer und Arons übernommen haben, wohl nur wenig Ver¬<lb/> ständnis und Bedürfnis. Man braucht uicht Antisemit zu sein, wenn man in der<lb/> jüdischen Führung der Sozialdemokratie das Element der Dekomposition wieder¬<lb/> findet, das in unserm heutigen Judentum leider in zunehmendem Maße enthalten ist.<lb/> Bebels diesmalige Reden zeigen immer deutlicher, daß er Mühe hat, die erredcte Rolle<lb/> als Patriarch und geistiges Oberhaupt der Partei zu behaupten, und daß ihm das<lb/> nur noch durch Auftragen sehr greller Farben gelingt. Auch die Reden, mit denen<lb/> er in der kommenden Neichstagssessivn die Geduld seiner Zuhörer in Anspruch zu<lb/> nehmen gedenkt, werden hiernach zu beurteilen sein. Er sieht sich gezwungen, seinen<lb/> Anhängern immer stärkere Ingredienzien vorzusetzen, so diesesmal den Massenstreik,<lb/> niber er hat deutlich genug erfahren, daß die Zahl derer, die an dieses Evangelium<lb/> nicht glauben mögen, durchaus nicht gering ist. An sich ist der politische Massen¬<lb/> streik ein Unsinn und zugleich der stärkste Mißbrauch des Kvalitionsrechts. Das<lb/> Koalitiousrecht ist den Arbeitern zur Erkämpfung besserer wirtschaftlicher<lb/> Existenzbedingungen, aber nicht zur Erkämpfung Polnischer Ziele ge¬<lb/> geben worden. Es ist das Äquivalent für das Ausschließungsrecht der Unternehmer,<lb/> und umgekehrt. Was würde Bebel sagen, wenn sich zum Beispiel sämtliche Unter¬<lb/> nehmer zu einem Massenansschluß verabredete», um dadurch die Beseitigung des<lb/> allgemeinen Stimmrechts zu erreichen? Theoretisch stehn beide Ideen durchaus auf<lb/> demselben Boden. Nun gehört ja freilich der „Generalstreik," wenigstens in Deutsch¬<lb/> land, zu den Dingen, die nicht so heiß gegessen werden, wie man sie kocht, aber<lb/> das immer frivolere Spielen mit solchem Feuer bekundet, daß die Parteileiter schon<lb/> die stärksten Mittel anwenden müssen, um die Dreimillionenpartei zusammenzuhalten.<lb/> Daß ein politischer Massen- oder Generalstreik mit dem Kvalitionsrecht überhaupt<lb/> endgiltig aufräumen würde, bedarf keines Hervorhebens.</p><lb/> <p xml:id="ID_354"> Es war vorauszusehen, daß die Vorgänge in Rußland auf unsre Sozial¬<lb/> demokratie, die mit Herz, Mund und Hand daran beteiligt ist, intensiv abfärben<lb/> würden. Eine so billige Gelegenheit, auf Rußland zu schimpfen, den Fürsten- und<lb/> Benmtenmord zu verherrlichen und zu preisen, wird sich ja kaum so leicht wieder<lb/> bieten. Es ist sehr bedauerlich, daß unser Strafgesetz in dieser Hinsicht so große<lb/> Lücken enthält. Hier haben „die sozialdemokratischen Verrücktheiten" längst das<lb/> erträgliche Maß überschritten. Mord darf, wen er auch trifft, nicht gepriesen und<lb/> nicht verherrlicht werden, unser gesetzlicher „Kulturzustand" steht in diesem Falle<lb/> wie in so vielen andern in direktem Gegensatz zum Moral- und Sittengesetz. In<lb/> dieser sozialdemokratisch sorgfältig gepflegten Verwirrung und Verwilderung der<lb/> Anschauungen liegt System. In dieses System gehört auch das Einschreiten der<lb/> „Genossen" für deu vierfache» Mörder Kasprzak, mit dem die russischen Behörden<lb/> noch auffallend viel Umstände gemacht haben. Allem Anschein nach wird Bebel<lb/> dieses Spektakelstück im Reichstage benutzen, um sich von neuem unsterblich zu<lb/> blamieren. Er wird gegen Rußland und gegen das Verhältnis zwischen Deutsch¬<lb/> land und Rußland seinen Theaterdonner loslassen zu einer Zeit, wo England und<lb/> Frankreich das Möglichste tun, Rußland zu umwerben und den Zaren zu um¬<lb/> schmeicheln. Aber unsre Sozialdemokratie hat von Anfang an immer nur die Arbeit<lb/> des Auslandes gemacht, polterndes Biertischraisonnement mit Appell an die In¬<lb/> stinkte der blöden Masse, und das nennt sich dann „Politik."</p><lb/> <p xml:id="ID_355" next="#ID_356"> Die Sozialdemokratie wird, im Gegensatz zu Bebels Ankündigungen in Jena,<lb/> Kriege niemals verhindern, wohl aber sie herbeiführen. Eine Partei, deren Leitung<lb/> jederzeit bereit ist, den Feuerbrand an das eigue Haus zu legen, das sie schützend<lb/> beherbergt, wird im Auslande immer als eine Schwächung der deutschen Stoßkraft<lb/> angesehen werden, und die Neigung, über Deutschland herzufallen, wird in dem<lb/> Maße zunehmen, wie der Einfluß der Sozialdemokratie auf unsre innere Lage wächst,<lb/> wenigstens in der Meinung des Auslandes wächst. Einstweilen werden Bebel,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0063]
Mehrzahl hat für die Jagd nach den, politischen Glück, die Bebel veranstaltet, und
deren Führung, aus ganz andern Gründen als wegen des Interesses an den Ar¬
beitern, Leute wie Singer und Arons übernommen haben, wohl nur wenig Ver¬
ständnis und Bedürfnis. Man braucht uicht Antisemit zu sein, wenn man in der
jüdischen Führung der Sozialdemokratie das Element der Dekomposition wieder¬
findet, das in unserm heutigen Judentum leider in zunehmendem Maße enthalten ist.
Bebels diesmalige Reden zeigen immer deutlicher, daß er Mühe hat, die erredcte Rolle
als Patriarch und geistiges Oberhaupt der Partei zu behaupten, und daß ihm das
nur noch durch Auftragen sehr greller Farben gelingt. Auch die Reden, mit denen
er in der kommenden Neichstagssessivn die Geduld seiner Zuhörer in Anspruch zu
nehmen gedenkt, werden hiernach zu beurteilen sein. Er sieht sich gezwungen, seinen
Anhängern immer stärkere Ingredienzien vorzusetzen, so diesesmal den Massenstreik,
niber er hat deutlich genug erfahren, daß die Zahl derer, die an dieses Evangelium
nicht glauben mögen, durchaus nicht gering ist. An sich ist der politische Massen¬
streik ein Unsinn und zugleich der stärkste Mißbrauch des Kvalitionsrechts. Das
Koalitiousrecht ist den Arbeitern zur Erkämpfung besserer wirtschaftlicher
Existenzbedingungen, aber nicht zur Erkämpfung Polnischer Ziele ge¬
geben worden. Es ist das Äquivalent für das Ausschließungsrecht der Unternehmer,
und umgekehrt. Was würde Bebel sagen, wenn sich zum Beispiel sämtliche Unter¬
nehmer zu einem Massenansschluß verabredete», um dadurch die Beseitigung des
allgemeinen Stimmrechts zu erreichen? Theoretisch stehn beide Ideen durchaus auf
demselben Boden. Nun gehört ja freilich der „Generalstreik," wenigstens in Deutsch¬
land, zu den Dingen, die nicht so heiß gegessen werden, wie man sie kocht, aber
das immer frivolere Spielen mit solchem Feuer bekundet, daß die Parteileiter schon
die stärksten Mittel anwenden müssen, um die Dreimillionenpartei zusammenzuhalten.
Daß ein politischer Massen- oder Generalstreik mit dem Kvalitionsrecht überhaupt
endgiltig aufräumen würde, bedarf keines Hervorhebens.
Es war vorauszusehen, daß die Vorgänge in Rußland auf unsre Sozial¬
demokratie, die mit Herz, Mund und Hand daran beteiligt ist, intensiv abfärben
würden. Eine so billige Gelegenheit, auf Rußland zu schimpfen, den Fürsten- und
Benmtenmord zu verherrlichen und zu preisen, wird sich ja kaum so leicht wieder
bieten. Es ist sehr bedauerlich, daß unser Strafgesetz in dieser Hinsicht so große
Lücken enthält. Hier haben „die sozialdemokratischen Verrücktheiten" längst das
erträgliche Maß überschritten. Mord darf, wen er auch trifft, nicht gepriesen und
nicht verherrlicht werden, unser gesetzlicher „Kulturzustand" steht in diesem Falle
wie in so vielen andern in direktem Gegensatz zum Moral- und Sittengesetz. In
dieser sozialdemokratisch sorgfältig gepflegten Verwirrung und Verwilderung der
Anschauungen liegt System. In dieses System gehört auch das Einschreiten der
„Genossen" für deu vierfache» Mörder Kasprzak, mit dem die russischen Behörden
noch auffallend viel Umstände gemacht haben. Allem Anschein nach wird Bebel
dieses Spektakelstück im Reichstage benutzen, um sich von neuem unsterblich zu
blamieren. Er wird gegen Rußland und gegen das Verhältnis zwischen Deutsch¬
land und Rußland seinen Theaterdonner loslassen zu einer Zeit, wo England und
Frankreich das Möglichste tun, Rußland zu umwerben und den Zaren zu um¬
schmeicheln. Aber unsre Sozialdemokratie hat von Anfang an immer nur die Arbeit
des Auslandes gemacht, polterndes Biertischraisonnement mit Appell an die In¬
stinkte der blöden Masse, und das nennt sich dann „Politik."
Die Sozialdemokratie wird, im Gegensatz zu Bebels Ankündigungen in Jena,
Kriege niemals verhindern, wohl aber sie herbeiführen. Eine Partei, deren Leitung
jederzeit bereit ist, den Feuerbrand an das eigue Haus zu legen, das sie schützend
beherbergt, wird im Auslande immer als eine Schwächung der deutschen Stoßkraft
angesehen werden, und die Neigung, über Deutschland herzufallen, wird in dem
Maße zunehmen, wie der Einfluß der Sozialdemokratie auf unsre innere Lage wächst,
wenigstens in der Meinung des Auslandes wächst. Einstweilen werden Bebel,
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |