Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches sich auf die Massenherrschaft zu stützen, die er obendrein in derselben Weise, wie Auch das Zentrum hat Konservative, Liberale und Radikale in seinen Reihen, "Hinter dem U folgt gleich das W. das ist die Ordnung im Abc." Man Der sozialdemokratische Parteitag dagegen zeigt zum mindesten seit dem Maßgebliches und Unmaßgebliches sich auf die Massenherrschaft zu stützen, die er obendrein in derselben Weise, wie Auch das Zentrum hat Konservative, Liberale und Radikale in seinen Reihen, „Hinter dem U folgt gleich das W. das ist die Ordnung im Abc." Man Der sozialdemokratische Parteitag dagegen zeigt zum mindesten seit dem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0062" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296073"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_349" prev="#ID_348"> sich auf die Massenherrschaft zu stützen, die er obendrein in derselben Weise, wie<lb/> der Katholizismus, nicht an sich zu fesseln vermag.</p><lb/> <p xml:id="ID_350"> Auch das Zentrum hat Konservative, Liberale und Radikale in seinen Reihen,<lb/> aber sie ordnen sich alle dem einen, sie alle vereinenden Herrschaftsgedanken unter.<lb/> So lange wir das uneingeschränkte allgemeine geheime Stimmrecht haben — das<lb/> Svzialistengesetz war der Versuch einer indirekten Einschränkung —, werden immer<lb/> die Parteien, die sich auf die Massen stützen, die stärksten sein. Bismarck konnte<lb/> es noch im Jahre 1867 als die Aufgabe einer vernünftigen Staatskunst bezeichnen,<lb/> „jedem Individuum dasjenige Maß von Freiheit zu sichern, das mit der Ordnung<lb/> des Gesamtstaatswesens verträglich ist." Müßte man die Vorgänge ans dem dies¬<lb/> jährigen Jenenser Parteitage ernst nehmen, so wäre diese von dem Schöpfer der<lb/> Reichsverfassung gezogne Grenze erreicht, das Verfassungsideal von 1867 und 1870<lb/> den neuen Parteigestaltungen gegenüber nicht mehr haltbar, und unser Stantsrecht<lb/> wäre schon in dem Widerspruch mit den Realitäten des menschlichen Lebens, von<lb/> demi er im zweiten Bande der Gedanken und Erinnerungen (S. 59) schreibt, daß<lb/> er „schließlich zu Explosionen führt und theoretisch uur auf dem Wege sozialpolitischer<lb/> Verrücktheiten lösbar ist, deren Anklang ans der Tatsache beruht, daß die Einsicht<lb/> großer Massen hinreichend stumpf und unentwickelt ist, um sich von der Rhetorik<lb/> geschickter und ehrgeiziger Führer unter Beihilfe eigner Begehrlichkeit stets einfangen<lb/> zu lassen."</p><lb/> <p xml:id="ID_351"> „Hinter dem U folgt gleich das W. das ist die Ordnung im Abc." Man<lb/> wird bei dem Jenenser sozialdemokratischen Parteitage hinter dem Straßburger<lb/> Katholikentag unwillkürlich an den obigen Satz der Kapuzinerpredigt in Wallen-<lb/> steins Lager erinnert. In beiden Fällen die große Herbst-Parteiparade, nur mit<lb/> dem Unterschiede, daß der Katholikentag gerade dnrch seine Verlegung nach Straß-<lb/> bnrg einen nationalen Grundzug hatte, der dadurch nicht nlteriert wird, daß er<lb/> von dem Wunsche eingegeben war, die kirchenpolitische Situation in Frankreich<lb/> zu benutzen, die Elsässer und die Lothringer Katholiken für das Zentrum einzufangen.<lb/> Zu diesen? Zwecke war der Katholikentag mit einem Glänze umgeben, wie nie zuvor,<lb/> und die so gestreute Aussaat wird sicherlich früher oder später ihre Früchte tragen.<lb/> Wie die Dinge in Deutschland nun einmal liegen, ist nicht in Abrede zu stelle»,<lb/> daß der Beitritt der reichsläudischeu Katholiken zur Zentrumspartei zur gegebne»<lb/> Zeit ein Stück der natürlichen Entwicklung zu Deutschland hin sein wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_352" next="#ID_353"> Der sozialdemokratische Parteitag dagegen zeigt zum mindesten seit dem<lb/> vorigen Jahr einen hippokratischen Zug, der sich unstreitig verschärft, und wenn die<lb/> Jenenser Studenten zum Schluß den Parteitag durch einen Umzug verspotteten,<lb/> so haben sie damit einen nicht anzufechtenden Maßstab für die Beurteilung gefunden.<lb/> Es spricht daraus die Tatsache, daß die sozialdemokrntische Herbstparade auf die<lb/> gebildeten Zuschauer trotz der großen Pauke und sonstigen Lärminstrnmcnte, die<lb/> dabei überreichlich gebraucht wurden, einen mehr in das Komische als in das<lb/> Erhabne wirkenden Eindruck gemacht hat. Unverkennbar übt sogar der Fanatismus<lb/> des Herrn Bebel nicht mehr den frühern Zauber auf seine Gesinnungsgenossen<lb/> aus, innerhalb der sozialdemokratischen Partei nimmt vielmehr die Zahl derer zu,<lb/> die sich erinnern, daß das Bessere des Guten Feind ist. Tatsächlich geht es den<lb/> deutschen Arbeitern — wie auch die vielen mutwillig vom Zaune gebrochnen Streits<lb/> beweisen — in der großen Mehrzahl sehr gut, vielleicht zu gut. Längst ver¬<lb/> mögen verständige Arbeiter, die mehr die soziale, d. h. die wirtschaftliche Seite<lb/> ihrer Bestrebungen im Auge haben als die demokratische, d. h. die politische,<lb/> sich inimer weniger mit einer Propaganda zu befreunden, die dnrch unaufhörliche<lb/> Störungen der wirtschaftlichen Lage die wirkliche solide Besserung der Verhältnisse<lb/> des Arbeiters hintanhält und allein danach trachtet, seine wirtschaftliche Befriedigung<lb/> zu stören, ihn dieser nicht froh werden zu lassen, um ihn für die Vermehrung poli¬<lb/> tischer Unzufriedenheit zu mißbrauchen. Schließlich ist doch der Arbeiter vor allem<lb/> Mensch, der sich mit Weib und Kind seines Daseins freuen will, und die große</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0062]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
sich auf die Massenherrschaft zu stützen, die er obendrein in derselben Weise, wie
der Katholizismus, nicht an sich zu fesseln vermag.
Auch das Zentrum hat Konservative, Liberale und Radikale in seinen Reihen,
aber sie ordnen sich alle dem einen, sie alle vereinenden Herrschaftsgedanken unter.
So lange wir das uneingeschränkte allgemeine geheime Stimmrecht haben — das
Svzialistengesetz war der Versuch einer indirekten Einschränkung —, werden immer
die Parteien, die sich auf die Massen stützen, die stärksten sein. Bismarck konnte
es noch im Jahre 1867 als die Aufgabe einer vernünftigen Staatskunst bezeichnen,
„jedem Individuum dasjenige Maß von Freiheit zu sichern, das mit der Ordnung
des Gesamtstaatswesens verträglich ist." Müßte man die Vorgänge ans dem dies¬
jährigen Jenenser Parteitage ernst nehmen, so wäre diese von dem Schöpfer der
Reichsverfassung gezogne Grenze erreicht, das Verfassungsideal von 1867 und 1870
den neuen Parteigestaltungen gegenüber nicht mehr haltbar, und unser Stantsrecht
wäre schon in dem Widerspruch mit den Realitäten des menschlichen Lebens, von
demi er im zweiten Bande der Gedanken und Erinnerungen (S. 59) schreibt, daß
er „schließlich zu Explosionen führt und theoretisch uur auf dem Wege sozialpolitischer
Verrücktheiten lösbar ist, deren Anklang ans der Tatsache beruht, daß die Einsicht
großer Massen hinreichend stumpf und unentwickelt ist, um sich von der Rhetorik
geschickter und ehrgeiziger Führer unter Beihilfe eigner Begehrlichkeit stets einfangen
zu lassen."
„Hinter dem U folgt gleich das W. das ist die Ordnung im Abc." Man
wird bei dem Jenenser sozialdemokratischen Parteitage hinter dem Straßburger
Katholikentag unwillkürlich an den obigen Satz der Kapuzinerpredigt in Wallen-
steins Lager erinnert. In beiden Fällen die große Herbst-Parteiparade, nur mit
dem Unterschiede, daß der Katholikentag gerade dnrch seine Verlegung nach Straß-
bnrg einen nationalen Grundzug hatte, der dadurch nicht nlteriert wird, daß er
von dem Wunsche eingegeben war, die kirchenpolitische Situation in Frankreich
zu benutzen, die Elsässer und die Lothringer Katholiken für das Zentrum einzufangen.
Zu diesen? Zwecke war der Katholikentag mit einem Glänze umgeben, wie nie zuvor,
und die so gestreute Aussaat wird sicherlich früher oder später ihre Früchte tragen.
Wie die Dinge in Deutschland nun einmal liegen, ist nicht in Abrede zu stelle»,
daß der Beitritt der reichsläudischeu Katholiken zur Zentrumspartei zur gegebne»
Zeit ein Stück der natürlichen Entwicklung zu Deutschland hin sein wird.
Der sozialdemokratische Parteitag dagegen zeigt zum mindesten seit dem
vorigen Jahr einen hippokratischen Zug, der sich unstreitig verschärft, und wenn die
Jenenser Studenten zum Schluß den Parteitag durch einen Umzug verspotteten,
so haben sie damit einen nicht anzufechtenden Maßstab für die Beurteilung gefunden.
Es spricht daraus die Tatsache, daß die sozialdemokrntische Herbstparade auf die
gebildeten Zuschauer trotz der großen Pauke und sonstigen Lärminstrnmcnte, die
dabei überreichlich gebraucht wurden, einen mehr in das Komische als in das
Erhabne wirkenden Eindruck gemacht hat. Unverkennbar übt sogar der Fanatismus
des Herrn Bebel nicht mehr den frühern Zauber auf seine Gesinnungsgenossen
aus, innerhalb der sozialdemokratischen Partei nimmt vielmehr die Zahl derer zu,
die sich erinnern, daß das Bessere des Guten Feind ist. Tatsächlich geht es den
deutschen Arbeitern — wie auch die vielen mutwillig vom Zaune gebrochnen Streits
beweisen — in der großen Mehrzahl sehr gut, vielleicht zu gut. Längst ver¬
mögen verständige Arbeiter, die mehr die soziale, d. h. die wirtschaftliche Seite
ihrer Bestrebungen im Auge haben als die demokratische, d. h. die politische,
sich inimer weniger mit einer Propaganda zu befreunden, die dnrch unaufhörliche
Störungen der wirtschaftlichen Lage die wirkliche solide Besserung der Verhältnisse
des Arbeiters hintanhält und allein danach trachtet, seine wirtschaftliche Befriedigung
zu stören, ihn dieser nicht froh werden zu lassen, um ihn für die Vermehrung poli¬
tischer Unzufriedenheit zu mißbrauchen. Schließlich ist doch der Arbeiter vor allem
Mensch, der sich mit Weib und Kind seines Daseins freuen will, und die große
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