Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Betrachtungen zur Marinevorlage für 1.9^6 wendigkeit die Ansichten geteilt sein könnten. Darüber läßt sich kaum streiten, Längst ist die kleine deutsche Scholle dem deutschen Unternehmungsgeist Betrachtungen zur Marinevorlage für 1.9^6 wendigkeit die Ansichten geteilt sein könnten. Darüber läßt sich kaum streiten, Längst ist die kleine deutsche Scholle dem deutschen Unternehmungsgeist <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0578" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296589"/> <fw type="header" place="top"> Betrachtungen zur Marinevorlage für 1.9^6</fw><lb/> <p xml:id="ID_2978" prev="#ID_2977"> wendigkeit die Ansichten geteilt sein könnten. Darüber läßt sich kaum streiten,<lb/> daß die Vereinigten Staaten ihre mächtig anwachsende Flotte hauptsächlich zur<lb/> Ausbreitung ihres Einflusses, ihrer realen Macht außerhalb des amerikanischen<lb/> Festlandes bestimmt haben. Aber es gehört mehr als Kurzsichtigkeit dazu,<lb/> diesen Sonderfall zu verallgemeinern und die Behauptung aufzustellen, eine<lb/> starke Flotte könne „einzig" für eine gewaltsame Eroberungspolitik eine Rolle<lb/> spielen. Das heißt Tatsachen auf den Kopf stellen; freilich kann man von den<lb/> „Vorwärts"tyrannen, die mit solcher Logik arbeiten, nicht erwarten, daß sie<lb/> die einfachsten Gesetze der Mechanik auf das Völkergetriebe anzuwenden ver¬<lb/> steh». Alle Fanatiker sind blind, unduldsam und unbelehrbar. Aber dem mi߬<lb/> leiteten deutschen Arbeiter sollte man doch verständlich machen, daß er in erster<lb/> Reihe die Zeche zahlen müßte, wenn die grünt- und uferlosen Phantastereien<lb/> seiner Diktatoren zur Geltung kämen. Die Ziele der deutschen Flottenpolitik<lb/> liegen so klar zutage, daß sie jeder Verständige mit einigem guten Willen er¬<lb/> kennen kann. Die deutsche Flotte ist und bleibt eine Schutzflotte, das zeigt<lb/> ohne weiteres das Mißverhältnis der deutschen Flottenstärke zu den deutschen<lb/> Seeinteressen; es gibt nußer England keine andre Großmacht, die so sehr auf<lb/> das Meer, auf den Seeverkehr und die Ausbreitung des eignen Volkstums,<lb/> der eignen Geschäftsverbindungen nach überseeischen Ländern angewiesen ist<lb/> wie Deutschland. Den Amerikanern könnte zur Ausbreitung ihres geschäftlichen<lb/> Einflusses wohl ihr eignes Festland genügen, um so mehr, als es ohne Inseln<lb/> mehr als neunmal so groß wie Europa ist (die Flüche der Verewigten Staaten<lb/> ist etwa achtzehnmal größer als die des Deutschen Reichs, während die Be¬<lb/> völkerungsstärken im Verhältnis 4 : 3 stehn). Trotzdem bauen die sehr geschäfts¬<lb/> kundigen Amerikaner eine weit stärkere Flotte als wir; sie hatten Mitte dieses<lb/> Jahres 15 große Linienschiffe im Bau, Deutschland nur 8 bedeutend kleinere,<lb/> und zugleich waren 9 große amerikanische Panzerkreuzer im Bau gegen 3 eben¬<lb/> falls beträchtlich kleinere deutsche! Wem das nicht zu denken gibt, daß eine<lb/> Republik, deren Symbol die Freiheitsgöttin ist, deren Landheer, wenn es<lb/> sein müßte, nicht nur Kanada erobern, sondern bis zur Magelhaensstraße vor¬<lb/> dringen könnte, ohne von irgendeiner Seemacht an einem solchen Eroberungs-<lb/> zuge gehindert zu werden — daß eine solche Republik dennoch mit fieberhaftem<lb/> Eifer eine Kriegsflotte baut, wer diese Zeichen der Zeit nicht zu deuten versteht,<lb/> dem ist nicht zu helfen. Warum bauen denn die Amerikaner eine so starke<lb/> Flotte? Weil sie auch außerhalb ihrer festen Scholle nicht abhängig sein wollen<lb/> von der Willkür andrer Seemächte, weil sie dem amerikanischen Unternehmungs¬<lb/> geist auch außerhalb ihres Festlandes freie Arbeitsgebiete sichern und schützen<lb/> wollen. Also der praktische Amerikaner macht die Sache umgekehrt wie der<lb/> gute deutsche Michel: er schafft sich erst die starke Flotte, noch ehe seine See¬<lb/> interessen dies fordern, während wir leider mit den: Bau der Schutzslotte unsern<lb/> Seeinteressen bedenklich nachgehinkt kommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2979" next="#ID_2980"> Längst ist die kleine deutsche Scholle dem deutschen Unternehmungsgeist<lb/> zu klein geworden; längst durchfurchen Tausende von Schiffen unter deutscher<lb/> Flagge mit deutscher Ladung alle Meere der Erde, längst wirken an Tausenden<lb/> von Orten in allen Himmelsgegenden tüchtige deutsche Kaufleute als Vor-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0578]
Betrachtungen zur Marinevorlage für 1.9^6
wendigkeit die Ansichten geteilt sein könnten. Darüber läßt sich kaum streiten,
daß die Vereinigten Staaten ihre mächtig anwachsende Flotte hauptsächlich zur
Ausbreitung ihres Einflusses, ihrer realen Macht außerhalb des amerikanischen
Festlandes bestimmt haben. Aber es gehört mehr als Kurzsichtigkeit dazu,
diesen Sonderfall zu verallgemeinern und die Behauptung aufzustellen, eine
starke Flotte könne „einzig" für eine gewaltsame Eroberungspolitik eine Rolle
spielen. Das heißt Tatsachen auf den Kopf stellen; freilich kann man von den
„Vorwärts"tyrannen, die mit solcher Logik arbeiten, nicht erwarten, daß sie
die einfachsten Gesetze der Mechanik auf das Völkergetriebe anzuwenden ver¬
steh». Alle Fanatiker sind blind, unduldsam und unbelehrbar. Aber dem mi߬
leiteten deutschen Arbeiter sollte man doch verständlich machen, daß er in erster
Reihe die Zeche zahlen müßte, wenn die grünt- und uferlosen Phantastereien
seiner Diktatoren zur Geltung kämen. Die Ziele der deutschen Flottenpolitik
liegen so klar zutage, daß sie jeder Verständige mit einigem guten Willen er¬
kennen kann. Die deutsche Flotte ist und bleibt eine Schutzflotte, das zeigt
ohne weiteres das Mißverhältnis der deutschen Flottenstärke zu den deutschen
Seeinteressen; es gibt nußer England keine andre Großmacht, die so sehr auf
das Meer, auf den Seeverkehr und die Ausbreitung des eignen Volkstums,
der eignen Geschäftsverbindungen nach überseeischen Ländern angewiesen ist
wie Deutschland. Den Amerikanern könnte zur Ausbreitung ihres geschäftlichen
Einflusses wohl ihr eignes Festland genügen, um so mehr, als es ohne Inseln
mehr als neunmal so groß wie Europa ist (die Flüche der Verewigten Staaten
ist etwa achtzehnmal größer als die des Deutschen Reichs, während die Be¬
völkerungsstärken im Verhältnis 4 : 3 stehn). Trotzdem bauen die sehr geschäfts¬
kundigen Amerikaner eine weit stärkere Flotte als wir; sie hatten Mitte dieses
Jahres 15 große Linienschiffe im Bau, Deutschland nur 8 bedeutend kleinere,
und zugleich waren 9 große amerikanische Panzerkreuzer im Bau gegen 3 eben¬
falls beträchtlich kleinere deutsche! Wem das nicht zu denken gibt, daß eine
Republik, deren Symbol die Freiheitsgöttin ist, deren Landheer, wenn es
sein müßte, nicht nur Kanada erobern, sondern bis zur Magelhaensstraße vor¬
dringen könnte, ohne von irgendeiner Seemacht an einem solchen Eroberungs-
zuge gehindert zu werden — daß eine solche Republik dennoch mit fieberhaftem
Eifer eine Kriegsflotte baut, wer diese Zeichen der Zeit nicht zu deuten versteht,
dem ist nicht zu helfen. Warum bauen denn die Amerikaner eine so starke
Flotte? Weil sie auch außerhalb ihrer festen Scholle nicht abhängig sein wollen
von der Willkür andrer Seemächte, weil sie dem amerikanischen Unternehmungs¬
geist auch außerhalb ihres Festlandes freie Arbeitsgebiete sichern und schützen
wollen. Also der praktische Amerikaner macht die Sache umgekehrt wie der
gute deutsche Michel: er schafft sich erst die starke Flotte, noch ehe seine See¬
interessen dies fordern, während wir leider mit den: Bau der Schutzslotte unsern
Seeinteressen bedenklich nachgehinkt kommen.
Längst ist die kleine deutsche Scholle dem deutschen Unternehmungsgeist
zu klein geworden; längst durchfurchen Tausende von Schiffen unter deutscher
Flagge mit deutscher Ladung alle Meere der Erde, längst wirken an Tausenden
von Orten in allen Himmelsgegenden tüchtige deutsche Kaufleute als Vor-
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