Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.der Zivilprozeßordnung, wie man mit Sicherheit erwarten darf, die Grund¬ Es kann aber nicht unerwähnt bleiben, daß an den geschilderten Mi߬ der Zivilprozeßordnung, wie man mit Sicherheit erwarten darf, die Grund¬ Es kann aber nicht unerwähnt bleiben, daß an den geschilderten Mi߬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0527" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296538"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_2763" prev="#ID_2762"> der Zivilprozeßordnung, wie man mit Sicherheit erwarten darf, die Grund¬<lb/> sätze der Mündlichkeit und des Parteibetriebs beseitigt oder aus das wesent¬<lb/> lichste eingeschränkt werden, werden auch die Mißstände des Armenrechts<lb/> schwinden. Durch dieses wird der Arme dann, wie im frühern preußischen<lb/> Prozeß, nur die Befreiung von Gerichtskosten erlangen, und da diese von dem,<lb/> der wirklich arm ist, ohnehin nicht eingezogen werden können, so werden Ge¬<lb/> suche um Erteilung des Armenrechts dann sehr selten sein. Aber auch die<lb/> sich bei der vorgeschlagnen Neuregelung ergebende Folge, daß der Arme seine<lb/> Termine persönlich wahrnehmen müsse, wird von der Verfolgung unbegründeter<lb/> Ansprüche abschrecken.</p><lb/> <p xml:id="ID_2764" next="#ID_2765"> Es kann aber nicht unerwähnt bleiben, daß an den geschilderten Mi߬<lb/> ständen auch unser Gerichtskostengesetz schuld ist; denn der Grundzug dieses<lb/> Gesetzes ist ein übertriebner Fiskalismus, dem gegenüber die Anforderungen<lb/> der Billigkeit und des Rechtsgefühls völlig zurücktreten. Die Anforderung<lb/> radikaler politischer Parteien auf gänzliche Abschaffung der Gerichtskosten wird<lb/> damit begründet, daß die Rechtspflege ebenso wie die Erhaltung der innern<lb/> Sicherheit zu den Aufgaben des Staats gehöre, also unentgeltlich dein, der<lb/> die Tätigkeit der Staatsbehörde nötig hat, gewährt werden müsse. Wenn<lb/> diese Anforderung auch aus rechtspraktischen Gründen, nämlich weil sie eine<lb/> wahre Prozeßwut entfesseln würde, unerfüllbar ist, und von einer gänzlichen<lb/> Abschaffung der Gerichtskosten also nicht die Rede sein kann, so fordert doch<lb/> die Gerechtigkeit, daß die Staatskasse zum Schuldner der Gerichtskosten nur<lb/> die Partei haben darf, der die Gerichtskosten durch rechtskräftige Entscheidung<lb/> auferlegt sind. Es widerspricht doch geradezu der Würde des Staats, daß er<lb/> seine vornehmste Pflicht zur Ausübung der Rechtspflege in Verbindung bringt<lb/> mit der Zahlung von Vorschüssen, also von „steuerartigen Beiträgen zu den<lb/> Kosten der Rechtspflege"; diese kann vielmehr der Staat bestreikn, auch wenn<lb/> er sich von den Staatsangehörigen nicht Vorschuß zahlen läßt. Schwerer<lb/> aber noch als die Verpflichtung zur Vorschußzahlung lasten auf den Recht-<lb/> suchenden die oben hervorgehobnen Grundsätze. Nach ihnen ist ohne Rücksicht<lb/> auf das über die Kvstenpflicht ergehende Urteil jede Partei der Staatskasse<lb/> gegenüber zahlungspflichtig für die Kosten, die sie durch ihre Anträge, ins¬<lb/> besondre durch ihre Beweisanträge veranlaßt hat. Nach jenen Grundsätzen<lb/> erwächst ferner mit Ablauf eines Jahres seit Beginn des Rechtsstreits der<lb/> Gerichtskasse das (durch das später ergehende Urteil nicht mehr entziehbare)<lb/> Recht, sämtliche bis dahin entstandnen Kosten vom Kläger einzuziehn; nach<lb/> ihnen gibt schließlich die bloße Tatsache, daß in der ergangnen Entscheidung<lb/> der einen Partei die Kosten auferlegt worden sind, der Gerichtskasse das Recht<lb/> auf Einziehung dieser Kosten, ohne Rücksicht darauf, ob dieses Urteil rechts¬<lb/> kräftig wird oder nicht ist. Die Gerechtigkeit verlangt doch, daß der Fiskus<lb/> zum Schuldner nur die Partei habe, deren Kostentragungspflicht durch rechts¬<lb/> kräftige Entscheidung feststeht, und nicht die Partei, der sie auferlegt ist durch<lb/> eine Entscheidung, die später vom höhern Gericht als unbegründet beseitigt ist.<lb/> Bei diesen Härten unsers Gerichtskostengesetzes ist es schon erklärlich, daß sich<lb/> Mancher um das Armenrecht bemüht, der bei einer gerechten Regelung des Kosten-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0527]
der Zivilprozeßordnung, wie man mit Sicherheit erwarten darf, die Grund¬
sätze der Mündlichkeit und des Parteibetriebs beseitigt oder aus das wesent¬
lichste eingeschränkt werden, werden auch die Mißstände des Armenrechts
schwinden. Durch dieses wird der Arme dann, wie im frühern preußischen
Prozeß, nur die Befreiung von Gerichtskosten erlangen, und da diese von dem,
der wirklich arm ist, ohnehin nicht eingezogen werden können, so werden Ge¬
suche um Erteilung des Armenrechts dann sehr selten sein. Aber auch die
sich bei der vorgeschlagnen Neuregelung ergebende Folge, daß der Arme seine
Termine persönlich wahrnehmen müsse, wird von der Verfolgung unbegründeter
Ansprüche abschrecken.
Es kann aber nicht unerwähnt bleiben, daß an den geschilderten Mi߬
ständen auch unser Gerichtskostengesetz schuld ist; denn der Grundzug dieses
Gesetzes ist ein übertriebner Fiskalismus, dem gegenüber die Anforderungen
der Billigkeit und des Rechtsgefühls völlig zurücktreten. Die Anforderung
radikaler politischer Parteien auf gänzliche Abschaffung der Gerichtskosten wird
damit begründet, daß die Rechtspflege ebenso wie die Erhaltung der innern
Sicherheit zu den Aufgaben des Staats gehöre, also unentgeltlich dein, der
die Tätigkeit der Staatsbehörde nötig hat, gewährt werden müsse. Wenn
diese Anforderung auch aus rechtspraktischen Gründen, nämlich weil sie eine
wahre Prozeßwut entfesseln würde, unerfüllbar ist, und von einer gänzlichen
Abschaffung der Gerichtskosten also nicht die Rede sein kann, so fordert doch
die Gerechtigkeit, daß die Staatskasse zum Schuldner der Gerichtskosten nur
die Partei haben darf, der die Gerichtskosten durch rechtskräftige Entscheidung
auferlegt sind. Es widerspricht doch geradezu der Würde des Staats, daß er
seine vornehmste Pflicht zur Ausübung der Rechtspflege in Verbindung bringt
mit der Zahlung von Vorschüssen, also von „steuerartigen Beiträgen zu den
Kosten der Rechtspflege"; diese kann vielmehr der Staat bestreikn, auch wenn
er sich von den Staatsangehörigen nicht Vorschuß zahlen läßt. Schwerer
aber noch als die Verpflichtung zur Vorschußzahlung lasten auf den Recht-
suchenden die oben hervorgehobnen Grundsätze. Nach ihnen ist ohne Rücksicht
auf das über die Kvstenpflicht ergehende Urteil jede Partei der Staatskasse
gegenüber zahlungspflichtig für die Kosten, die sie durch ihre Anträge, ins¬
besondre durch ihre Beweisanträge veranlaßt hat. Nach jenen Grundsätzen
erwächst ferner mit Ablauf eines Jahres seit Beginn des Rechtsstreits der
Gerichtskasse das (durch das später ergehende Urteil nicht mehr entziehbare)
Recht, sämtliche bis dahin entstandnen Kosten vom Kläger einzuziehn; nach
ihnen gibt schließlich die bloße Tatsache, daß in der ergangnen Entscheidung
der einen Partei die Kosten auferlegt worden sind, der Gerichtskasse das Recht
auf Einziehung dieser Kosten, ohne Rücksicht darauf, ob dieses Urteil rechts¬
kräftig wird oder nicht ist. Die Gerechtigkeit verlangt doch, daß der Fiskus
zum Schuldner nur die Partei habe, deren Kostentragungspflicht durch rechts¬
kräftige Entscheidung feststeht, und nicht die Partei, der sie auferlegt ist durch
eine Entscheidung, die später vom höhern Gericht als unbegründet beseitigt ist.
Bei diesen Härten unsers Gerichtskostengesetzes ist es schon erklärlich, daß sich
Mancher um das Armenrecht bemüht, der bei einer gerechten Regelung des Kosten-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |