Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Armenrecht, Anwaltszwang und Gerichtskostengesetz gebrachte" Tatsachen in rechtlicher Beziehung schlüssig seien, also, falls sie er¬ Bei diesen das Verfahren des preußischen Prozesses beherrschenden Grund¬ Grmzboten I V I90Ü 07
Armenrecht, Anwaltszwang und Gerichtskostengesetz gebrachte» Tatsachen in rechtlicher Beziehung schlüssig seien, also, falls sie er¬ Bei diesen das Verfahren des preußischen Prozesses beherrschenden Grund¬ Grmzboten I V I90Ü 07
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0525" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296536"/> <fw type="header" place="top"> Armenrecht, Anwaltszwang und Gerichtskostengesetz</fw><lb/> <p xml:id="ID_2759" prev="#ID_2758"> gebrachte» Tatsachen in rechtlicher Beziehung schlüssig seien, also, falls sie er¬<lb/> wiesen würden, den Anspruch des Klägers rechtfertigten. Vermeinte dies das<lb/> Gericht, so wies es die Klage des Armen durch einfache Verfügung ab, ohne<lb/> daß der Gegner etwas hiervon erfuhr. War dagegen die Klage schlüssig, so<lb/> berannte der mit der Bearbeitung der Sache betraute Richter (der sogenannte<lb/> „Dezernent" oder „Referent") einen Termin zur Klagebeantwortung an, zu<lb/> dem der Beklagte geladen wurde. In diesem Termin vernahm der Richter<lb/> den Beklagten mit der Klagebeantwortung zu Protokoll; demnächst lud dieser<lb/> Richter den Kläger zu einem neuen Termin, damit Kläger seine „Replik" auf<lb/> die Klagebeantwortung wiederum zu Protokoll des Richters erkläre. Dann<lb/> lud dieser Richter wiederum den Beklagten zu einem Termin und vernahm<lb/> ihn mit der „Duplik," das heißt mit der Gegenerklärung auf die Anführungen<lb/> der Replik. Nachdem so der gesamte Streitstoff schriftlich festgelegt war,<lb/> wurde der „Audienztermin" vor dem Kollegium anberaumt und die Parteien<lb/> zu diesem geladen. Wohnte die arme Partei nicht im Bezirk des Prozeß-<lb/> gcrichts, so ersuchte dieses wohl auch das Gericht des Wohnsitzes der armen<lb/> Partei, diese mit ihren Erklärungen zu Protokoll zu vernehmen; für den<lb/> Audienztermin wurde in diesem Fall der armen Partei ein Referendar oder<lb/> Subalternbeamter als „Offizialmandatar" bestellt. Der Gegner der armen<lb/> Partei konnte, statt seine Erklärungen zu Protokoll des Richters abzugeben,<lb/> sich auch durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen; er sah hiervon aber<lb/> natürlich regelmäßig ab, da ihm hierdurch Kosten entstanden, deren Erstattung<lb/> er vom unvermögenden Gegner zu erlangen keine Aussicht hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2760" next="#ID_2761"> Bei diesen das Verfahren des preußischen Prozesses beherrschenden Grund¬<lb/> sätzen versteht man, daß während seiner Geltung vom Armenrecht sehr wenig<lb/> Gebrauch gemacht wurde, und sich Mißstände aus dieser Rechtseinrichtung<lb/> nicht ergeben konnten; es fehlte eben dem preußischen Prozeß die sonderbare<lb/> Einrichtung, die man „Anwaltszwang" nennt. Die Partei, die die Kosten<lb/> der Zuziehung eines Urwalds nicht zu erschwingen vermochte oder aus sonstigen<lb/> Gründen von der Zuziehung eines Urwalds absehen zu sollen glaubte, reichte<lb/> ihre Klage schriftlich ein oder gab sie zu Protokoll eines Gerichtsschreibers<lb/> und ihre sonstigen Erklärungen zu Protokoll des Richters ab und nahm ihre<lb/> Termine persönlich wahr. Anders heute. Obwohl die Prozeßparteien doch<lb/> erwachsne Leute sind, denen das Gesetz wohl die selbständige Entschließung<lb/> darüber überlassen kann, ob sie vor Gericht ihre Rechte selbst vertreten oder<lb/> einen Anwalt zuziehn wollen, so hat die Zivilprozeßordnung es dennoch für<lb/> gut befunden, die Prozeßparteien unter eine geordnete gesetzliche Vormund-<lb/> schaft zu stellen, indem sie vorschreibt, daß sie sich vor dem Landgericht<lb/> durch Anwälte vertreten lassen müssen. Und diese Festsetzung ist nicht eine<lb/> willkürliche, sondern sie ist geboten durch die das Verfahren der Zivilproze߬<lb/> ordnung beherrschenden Grundsätze. Denn das Gericht entscheidet heute nicht<lb/> mehr, wie nach früheren Recht, auf Grund der bei den Akten liegenden<lb/> Schriftstücke, sondern nur auf Grund der mündlichen Verhandlung, und der<lb/> Prozeßbetrieb liegt nicht, wie im früher» Recht, dem Gericht, sondern den<lb/> Parteien ob. Und da sogar gebildete Laien den Anforderungen der Münd-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grmzboten I V I90Ü 07</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0525]
Armenrecht, Anwaltszwang und Gerichtskostengesetz
gebrachte» Tatsachen in rechtlicher Beziehung schlüssig seien, also, falls sie er¬
wiesen würden, den Anspruch des Klägers rechtfertigten. Vermeinte dies das
Gericht, so wies es die Klage des Armen durch einfache Verfügung ab, ohne
daß der Gegner etwas hiervon erfuhr. War dagegen die Klage schlüssig, so
berannte der mit der Bearbeitung der Sache betraute Richter (der sogenannte
„Dezernent" oder „Referent") einen Termin zur Klagebeantwortung an, zu
dem der Beklagte geladen wurde. In diesem Termin vernahm der Richter
den Beklagten mit der Klagebeantwortung zu Protokoll; demnächst lud dieser
Richter den Kläger zu einem neuen Termin, damit Kläger seine „Replik" auf
die Klagebeantwortung wiederum zu Protokoll des Richters erkläre. Dann
lud dieser Richter wiederum den Beklagten zu einem Termin und vernahm
ihn mit der „Duplik," das heißt mit der Gegenerklärung auf die Anführungen
der Replik. Nachdem so der gesamte Streitstoff schriftlich festgelegt war,
wurde der „Audienztermin" vor dem Kollegium anberaumt und die Parteien
zu diesem geladen. Wohnte die arme Partei nicht im Bezirk des Prozeß-
gcrichts, so ersuchte dieses wohl auch das Gericht des Wohnsitzes der armen
Partei, diese mit ihren Erklärungen zu Protokoll zu vernehmen; für den
Audienztermin wurde in diesem Fall der armen Partei ein Referendar oder
Subalternbeamter als „Offizialmandatar" bestellt. Der Gegner der armen
Partei konnte, statt seine Erklärungen zu Protokoll des Richters abzugeben,
sich auch durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen; er sah hiervon aber
natürlich regelmäßig ab, da ihm hierdurch Kosten entstanden, deren Erstattung
er vom unvermögenden Gegner zu erlangen keine Aussicht hatte.
Bei diesen das Verfahren des preußischen Prozesses beherrschenden Grund¬
sätzen versteht man, daß während seiner Geltung vom Armenrecht sehr wenig
Gebrauch gemacht wurde, und sich Mißstände aus dieser Rechtseinrichtung
nicht ergeben konnten; es fehlte eben dem preußischen Prozeß die sonderbare
Einrichtung, die man „Anwaltszwang" nennt. Die Partei, die die Kosten
der Zuziehung eines Urwalds nicht zu erschwingen vermochte oder aus sonstigen
Gründen von der Zuziehung eines Urwalds absehen zu sollen glaubte, reichte
ihre Klage schriftlich ein oder gab sie zu Protokoll eines Gerichtsschreibers
und ihre sonstigen Erklärungen zu Protokoll des Richters ab und nahm ihre
Termine persönlich wahr. Anders heute. Obwohl die Prozeßparteien doch
erwachsne Leute sind, denen das Gesetz wohl die selbständige Entschließung
darüber überlassen kann, ob sie vor Gericht ihre Rechte selbst vertreten oder
einen Anwalt zuziehn wollen, so hat die Zivilprozeßordnung es dennoch für
gut befunden, die Prozeßparteien unter eine geordnete gesetzliche Vormund-
schaft zu stellen, indem sie vorschreibt, daß sie sich vor dem Landgericht
durch Anwälte vertreten lassen müssen. Und diese Festsetzung ist nicht eine
willkürliche, sondern sie ist geboten durch die das Verfahren der Zivilproze߬
ordnung beherrschenden Grundsätze. Denn das Gericht entscheidet heute nicht
mehr, wie nach früheren Recht, auf Grund der bei den Akten liegenden
Schriftstücke, sondern nur auf Grund der mündlichen Verhandlung, und der
Prozeßbetrieb liegt nicht, wie im früher» Recht, dem Gericht, sondern den
Parteien ob. Und da sogar gebildete Laien den Anforderungen der Münd-
Grmzboten I V I90Ü 07
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