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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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aussichtslos sei, so kann er wohl beim Prozeßgcricht den Antrag stellen, der
Partei das Armenrecht zu entzieh"; aber das wird er aus naheliegenden
Gründen nicht gern tun, da er sich zu leicht dem Verdacht aussetzt, daß er
für die Sache des Armen kein Interesse, für diesen weniger Mitgefühl habe
als das Gericht.

Und ebenso drückend lastet die Rechtseinrichtung des Armenrechts auf
dem Gegner der armen Partei; denn dieser hat, wenn er auch obsiegt, in
jedem Fall (da die Erstattungspflicht der armen Partei regelmäßig wertlos,
vom Armen eben nichts beizutreiben ist) die Kosten seines Rechtsanwalts zu
tragen; er ist ferner nach den Paragraphen 84, 89 des Gerichtskostengesetzes
für die Kosten der von ihm beantragten Beweisaufnahmen der Gerichtskasse
haftbar. Verklagt mich zum Beispiel ein Arbeiter mit der Behauptung, daß
ich schuldhaft seine Gesundheit verletzt habe, auf Schadenersatz (Heilungskosten
und entgangnen Arbeitsverdienst), so ist zwar der Kläger dafür, daß ich schuld¬
haft gehandelt habe, und für die Höhe des Schadens beweispflichtig; ich habe
aber allen Anlaß, meinerseits dnrch Benennung von Zeugen und Sachver¬
ständigen Gegenbeweise anzutreten, und die Kosten dieser von mir benannten
Zeugen und Sachverständigen, ja sogar eines Termins, der zu ihrer Ver¬
nehmung außerhalb der Gerichtsstelle anberaumt wird, habe ich auch dann
zu tragen, wenn ich obsiege. Deshalb handle ich am klügsten, wenn ich mir
zum voraus die Höhe der Kosten, die mir dnrch den von der armen Partei
beabsichtigten Prozeß entstehn werden, annähernd überschlage und auf dieser
Grundlage mich mit der armen Partei vergleiche. So erklärt es sich, daß
das Armenrecht oft genug von der armen Partei benutzt wird, um von dem
wohlhabenden Gegner etwas zu erpressen; dieser -- mag er von dem Un-
grund des gegen ihn beabsichtigten Anspruchs noch so sehr überzeugt sein --
zahlt gern den Betrag, der ihm im Prozeß an Urwalds- und Gerichtskosten
entstehn würde, sofort an den Armen, nur um den Verdrießlichkeiten eines
Rechtsstreits zu entgehn, der ihm anch ini Fall des Obsiegens Geldopfer
auferlegt.

Ein sehr hoher Prozentsatz der im Armenrecht durchgeführten Ansprüche
erweist sich als unbegründet, und diese Prozesse belasten schwer die Gerichte,
die Anwälte und den Gegner der armen Partei. Zur Hebung des Mi߬
standes sind mehrfach Vorschlüge gemacht, von denen aber keiner als wirklich
annehmbar und brauchbar allgemeine Anerkennung gefunden hat. Denn in
Wahrheit sind es die Verfahruugsgrundsätze der Zivilprozeßordnung, die das
Übel verschulden. Das zeigt sich am besten, wenn man die Ausgestaltung
des Armenrechts betrachtet, wie sie sich unter der Geltung des frühern
preußischen Rechts ergab. Wies hier der Kläger sein Unvermögen zur Be¬
streitung von Gerichtskosten nach, so wurde ihm das Armenrecht erteilt, durch
das er nur von der Entrichtung der Gerichtskosten befreit wurde. Nun blieb
es dem Kläger überlassen, die Klageschrist schriftlich einzureichen oder sie zu
Protokoll des Gerichtsschreibers eines beliebigen Gerichts zu geben. Dieses
Protokoll (oder die vom Kläger etwa schriftlich eingereichte Klage) unterlag ,
nun zunächst der Prüfung des Prozeßgerichts dahin, ob die vom Kläger vor-


aussichtslos sei, so kann er wohl beim Prozeßgcricht den Antrag stellen, der
Partei das Armenrecht zu entzieh»; aber das wird er aus naheliegenden
Gründen nicht gern tun, da er sich zu leicht dem Verdacht aussetzt, daß er
für die Sache des Armen kein Interesse, für diesen weniger Mitgefühl habe
als das Gericht.

Und ebenso drückend lastet die Rechtseinrichtung des Armenrechts auf
dem Gegner der armen Partei; denn dieser hat, wenn er auch obsiegt, in
jedem Fall (da die Erstattungspflicht der armen Partei regelmäßig wertlos,
vom Armen eben nichts beizutreiben ist) die Kosten seines Rechtsanwalts zu
tragen; er ist ferner nach den Paragraphen 84, 89 des Gerichtskostengesetzes
für die Kosten der von ihm beantragten Beweisaufnahmen der Gerichtskasse
haftbar. Verklagt mich zum Beispiel ein Arbeiter mit der Behauptung, daß
ich schuldhaft seine Gesundheit verletzt habe, auf Schadenersatz (Heilungskosten
und entgangnen Arbeitsverdienst), so ist zwar der Kläger dafür, daß ich schuld¬
haft gehandelt habe, und für die Höhe des Schadens beweispflichtig; ich habe
aber allen Anlaß, meinerseits dnrch Benennung von Zeugen und Sachver¬
ständigen Gegenbeweise anzutreten, und die Kosten dieser von mir benannten
Zeugen und Sachverständigen, ja sogar eines Termins, der zu ihrer Ver¬
nehmung außerhalb der Gerichtsstelle anberaumt wird, habe ich auch dann
zu tragen, wenn ich obsiege. Deshalb handle ich am klügsten, wenn ich mir
zum voraus die Höhe der Kosten, die mir dnrch den von der armen Partei
beabsichtigten Prozeß entstehn werden, annähernd überschlage und auf dieser
Grundlage mich mit der armen Partei vergleiche. So erklärt es sich, daß
das Armenrecht oft genug von der armen Partei benutzt wird, um von dem
wohlhabenden Gegner etwas zu erpressen; dieser — mag er von dem Un-
grund des gegen ihn beabsichtigten Anspruchs noch so sehr überzeugt sein —
zahlt gern den Betrag, der ihm im Prozeß an Urwalds- und Gerichtskosten
entstehn würde, sofort an den Armen, nur um den Verdrießlichkeiten eines
Rechtsstreits zu entgehn, der ihm anch ini Fall des Obsiegens Geldopfer
auferlegt.

Ein sehr hoher Prozentsatz der im Armenrecht durchgeführten Ansprüche
erweist sich als unbegründet, und diese Prozesse belasten schwer die Gerichte,
die Anwälte und den Gegner der armen Partei. Zur Hebung des Mi߬
standes sind mehrfach Vorschlüge gemacht, von denen aber keiner als wirklich
annehmbar und brauchbar allgemeine Anerkennung gefunden hat. Denn in
Wahrheit sind es die Verfahruugsgrundsätze der Zivilprozeßordnung, die das
Übel verschulden. Das zeigt sich am besten, wenn man die Ausgestaltung
des Armenrechts betrachtet, wie sie sich unter der Geltung des frühern
preußischen Rechts ergab. Wies hier der Kläger sein Unvermögen zur Be¬
streitung von Gerichtskosten nach, so wurde ihm das Armenrecht erteilt, durch
das er nur von der Entrichtung der Gerichtskosten befreit wurde. Nun blieb
es dem Kläger überlassen, die Klageschrist schriftlich einzureichen oder sie zu
Protokoll des Gerichtsschreibers eines beliebigen Gerichts zu geben. Dieses
Protokoll (oder die vom Kläger etwa schriftlich eingereichte Klage) unterlag ,
nun zunächst der Prüfung des Prozeßgerichts dahin, ob die vom Kläger vor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/524>, abgerufen am 15.01.2025.