Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Adalbert Stifter Hauer (über die Universitätsphilosophie) zur "Fabrikware der Natur" gehören, Stifter schnupfte einen sehr sorgsam gemischten Tabak, rauchte stark und In seiner Häuslichkeit hatte er wohl zu einer so ausgedehnten Beredsam¬ Adalbert Stifter Hauer (über die Universitätsphilosophie) zur „Fabrikware der Natur" gehören, Stifter schnupfte einen sehr sorgsam gemischten Tabak, rauchte stark und In seiner Häuslichkeit hatte er wohl zu einer so ausgedehnten Beredsam¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0480" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296491"/> <fw type="header" place="top"> Adalbert Stifter</fw><lb/> <p xml:id="ID_2537" prev="#ID_2536"> Hauer (über die Universitätsphilosophie) zur „Fabrikware der Natur" gehören,<lb/> wie matter Herzschlag, trübe, spähende Augen, stockende Rede, stark entwickelte<lb/> Freßwerkzeuge u. a. in., hätte nur das letzte auf Stifter gepaßt. Er sah zwar,<lb/> wie jemand bemerkte, aus wie ein Bauer, aber sprach wie ein Kavalier — wonach<lb/> wir billig auf Stil und Geist der Kavaliere schließen müssen und besonders<lb/> hatte er große, glänzende, seelenvolle Augen. Er liebte damals das gute Essen<lb/> und scheint, ehe sich sein böses Leberleiden entwickelte, etwas zu viel gegessen<lb/> zu haben. In seinem Arbeitszimmer hatte er allerlei zusammen, was er in<lb/> spätern Jahren mühsam gesammelt hatte: kunstvolle Geräte, Marmorarbeiten,<lb/> kostbare Leinengewebe, merkwürdig geformte und verzierte Gläser, Porzellan,<lb/> altertümliche Holzschnitzereien, eine Menge eigner und fremder Bilder. Dazu<lb/> kam ein sehr zahlreicher Bestand von Kakteen, deren gelegentliches Blühen ein<lb/> „Ereignis" war, an dem Freunde teilnehmen mußten oder durften, auch wenn<lb/> es mitten in der Nacht war. Endlich gab es da immer einige Hunde, die<lb/> Stifter sehr liebte, meist überfütterte, geduldig Pflegte und zärtlich betrauerte,<lb/> wenn er sie verlor. Überhaupt war er ein Freund der Tiere, wenn er auch<lb/> in jungen Jahren leider einen brutalen Massenfang von Meisen betrieben hatte,<lb/> wie denn sogar der zarte Mörike mitunter dem Finkenfang oblag.</p><lb/> <p xml:id="ID_2538"> Stifter schnupfte einen sehr sorgsam gemischten Tabak, rauchte stark und<lb/> hatte immer einen großen Zigarrenvorrat, der in Pakete abgeteilt war und mit<lb/> peinlicher Gewissenhaftigkeit der Reihe nach vorgenommen wurde. Um immer<lb/> über die Zeit des Ablagerns unterrichtet zu sein, versah er jedes Paket am<lb/> Tage des Ankaufs mit einem Zettel. Gewöhnlich trug er einen langen soge¬<lb/> nannten Goetherock, eine lose geknüpfte Halsbinde und gern Schuhe mit zoll¬<lb/> dicken Sohlen. Zum Gebrauch auf dem Lande hatte er schwere Holzschuhe<lb/> oder Wasserstiefeln. Sah man ihn in dieser Behäbigkeit, so konnte man be¬<lb/> greifen, daß er alt werden wollte wie Goethe und Alexander von Humboldt.<lb/> Als er später krank wurde, befragte er einmal sechs Ärzte nacheinander. In<lb/> früherer Zeit erfreute er sich jedoch einer massiven Gesundheit, sodaß er auch<lb/> großen gesellschaftlichen Anstrengungen gewachsen war. Einst erschien er sehr<lb/> spät mit der Erklärung, er müßte gleich wieder fort. Aber er blieb und — sprach<lb/> fast zwei Stunden ununterbrochen über einen verzweifelt uninteressanter Gegen¬<lb/> stand. Diese furchtbaren Monologe waren nicht selten. Handelten sie etwa<lb/> vom Leben und Treiben auf einem Hühnerhofe, so blieb den Hörern nichts von<lb/> diesen so trefflichen Tieren erspart, bis zum letzten Strohhalm und bis zum<lb/> kleinsten Sandkörnchen, das eine emsige Henne scharrend in die Höhe warf.<lb/> Allerdings sprach er anspruchslos und ohne jeden deklamatorischen Aufputz<lb/> (auch wenn es sich um Kunst handelte), ruhig, behäbig, langsam, mit nach¬<lb/> drücklicher Betonung der Endsilben; aber er überschützte dabei oft in hohem<lb/> Grade die Genußfähigkeit seiner Zuhörer, und das Abendbrot der Wirtin wurde<lb/> zuweilen kalt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2539" next="#ID_2540"> In seiner Häuslichkeit hatte er wohl zu einer so ausgedehnten Beredsam¬<lb/> keit keinen Anlaß. Er konnte nicht (wie mitunter große Gelehrte) erproben,<lb/> daß sich über den mehr oder weniger zahlreichen Familienkreis sofort ein<lb/> ehrfurchtsvoll aufmerkendes Schweigen verbreitet, wenn das Haupt der Familie</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0480]
Adalbert Stifter
Hauer (über die Universitätsphilosophie) zur „Fabrikware der Natur" gehören,
wie matter Herzschlag, trübe, spähende Augen, stockende Rede, stark entwickelte
Freßwerkzeuge u. a. in., hätte nur das letzte auf Stifter gepaßt. Er sah zwar,
wie jemand bemerkte, aus wie ein Bauer, aber sprach wie ein Kavalier — wonach
wir billig auf Stil und Geist der Kavaliere schließen müssen und besonders
hatte er große, glänzende, seelenvolle Augen. Er liebte damals das gute Essen
und scheint, ehe sich sein böses Leberleiden entwickelte, etwas zu viel gegessen
zu haben. In seinem Arbeitszimmer hatte er allerlei zusammen, was er in
spätern Jahren mühsam gesammelt hatte: kunstvolle Geräte, Marmorarbeiten,
kostbare Leinengewebe, merkwürdig geformte und verzierte Gläser, Porzellan,
altertümliche Holzschnitzereien, eine Menge eigner und fremder Bilder. Dazu
kam ein sehr zahlreicher Bestand von Kakteen, deren gelegentliches Blühen ein
„Ereignis" war, an dem Freunde teilnehmen mußten oder durften, auch wenn
es mitten in der Nacht war. Endlich gab es da immer einige Hunde, die
Stifter sehr liebte, meist überfütterte, geduldig Pflegte und zärtlich betrauerte,
wenn er sie verlor. Überhaupt war er ein Freund der Tiere, wenn er auch
in jungen Jahren leider einen brutalen Massenfang von Meisen betrieben hatte,
wie denn sogar der zarte Mörike mitunter dem Finkenfang oblag.
Stifter schnupfte einen sehr sorgsam gemischten Tabak, rauchte stark und
hatte immer einen großen Zigarrenvorrat, der in Pakete abgeteilt war und mit
peinlicher Gewissenhaftigkeit der Reihe nach vorgenommen wurde. Um immer
über die Zeit des Ablagerns unterrichtet zu sein, versah er jedes Paket am
Tage des Ankaufs mit einem Zettel. Gewöhnlich trug er einen langen soge¬
nannten Goetherock, eine lose geknüpfte Halsbinde und gern Schuhe mit zoll¬
dicken Sohlen. Zum Gebrauch auf dem Lande hatte er schwere Holzschuhe
oder Wasserstiefeln. Sah man ihn in dieser Behäbigkeit, so konnte man be¬
greifen, daß er alt werden wollte wie Goethe und Alexander von Humboldt.
Als er später krank wurde, befragte er einmal sechs Ärzte nacheinander. In
früherer Zeit erfreute er sich jedoch einer massiven Gesundheit, sodaß er auch
großen gesellschaftlichen Anstrengungen gewachsen war. Einst erschien er sehr
spät mit der Erklärung, er müßte gleich wieder fort. Aber er blieb und — sprach
fast zwei Stunden ununterbrochen über einen verzweifelt uninteressanter Gegen¬
stand. Diese furchtbaren Monologe waren nicht selten. Handelten sie etwa
vom Leben und Treiben auf einem Hühnerhofe, so blieb den Hörern nichts von
diesen so trefflichen Tieren erspart, bis zum letzten Strohhalm und bis zum
kleinsten Sandkörnchen, das eine emsige Henne scharrend in die Höhe warf.
Allerdings sprach er anspruchslos und ohne jeden deklamatorischen Aufputz
(auch wenn es sich um Kunst handelte), ruhig, behäbig, langsam, mit nach¬
drücklicher Betonung der Endsilben; aber er überschützte dabei oft in hohem
Grade die Genußfähigkeit seiner Zuhörer, und das Abendbrot der Wirtin wurde
zuweilen kalt.
In seiner Häuslichkeit hatte er wohl zu einer so ausgedehnten Beredsam¬
keit keinen Anlaß. Er konnte nicht (wie mitunter große Gelehrte) erproben,
daß sich über den mehr oder weniger zahlreichen Familienkreis sofort ein
ehrfurchtsvoll aufmerkendes Schweigen verbreitet, wenn das Haupt der Familie
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