Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Armenrecht, Anwaltszwang und Gerichtskostengesetz Grundstücke gerichtlicher oder notarieller Beurkundung bedarf. Anders schon, In den bisher besprochnen Füllen, daß sich die Aussichtslosigkeit der Jemand, der im ganzen Gerichtsbezirk, also auch den Richtern, als ein Armenrecht, Anwaltszwang und Gerichtskostengesetz Grundstücke gerichtlicher oder notarieller Beurkundung bedarf. Anders schon, In den bisher besprochnen Füllen, daß sich die Aussichtslosigkeit der Jemand, der im ganzen Gerichtsbezirk, also auch den Richtern, als ein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0464" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296475"/> <fw type="header" place="top"> Armenrecht, Anwaltszwang und Gerichtskostengesetz</fw><lb/> <p xml:id="ID_2482" prev="#ID_2481"> Grundstücke gerichtlicher oder notarieller Beurkundung bedarf. Anders schon,<lb/> wenn der das Armenrecht Nachsuchende gegen meinen Bruder eine Forderung<lb/> hat, gegen mich aber auf Zahlung klagen will, weil ich die Schuld meines<lb/> Bruders selbstschuldnerisch durch mündliche Erklärung übernommen habe. Zwar<lb/> hat das Reichsgericht in einem Urteil vom 20. März 1902 für diese Schuld¬<lb/> übernahme die Schriftform für nötig erachtet; aber dieser Ansicht ist von an¬<lb/> gesehenen Schriftstellern auf das nachdrücklichste widersprochen worden, sodaß<lb/> diese Rechtsanschauung des Reichsgerichts keineswegs als die herrschende be¬<lb/> zeichnet werden kann, und es fraglich erscheint, ob das Reichsgericht sie bei<lb/> nochmaliger Prüfung wird aufrechterhalten können. Hier wird man schon<lb/> nicht sagen können, daß die beabsichtigte Rechtsverfolgung „mutwillig oder<lb/> aussichtslos" erscheine, und das Gericht kann deshalb die Erteilung des<lb/> Armenrechts nicht ablehnen. Oder: das Kammergericht hat im Anschluß an<lb/> angesehene Schriftsteller angenommen, die Rechtswirksamkeit der vom Notar<lb/> beurkundeten Erklärungen von Personen, die der deutschen Sprache nicht<lb/> mächtig sind, hänge nur davon ab, daß die Erklärung der Beteiligten, „sprach¬<lb/> fremd" zu sein, im Protokoll beurkundet ist. Dagegen vertreten zahlreiche<lb/> angesehene Schriftsteller den Standpunkt, zur Rechtswirksamkeit der Beurkundung<lb/> müsse im Protokoll bemerkt sein, daß die Beteiligten in Wahrheit des Deutschen<lb/> nicht mächtig, also objektiv sprachfremd sind. Suche ich nun das Armenrecht<lb/> nach, um die Rechtswirksamkeit einer Urkunde anzufechten, in der nur diese<lb/> Erklärung der Beteiligten beurkundet ist, so wird mir das Armenrecht nicht<lb/> verweigert werden können; denn da die Rechtsfrage eine streitige ist und<lb/> keineswegs also als in einem mir ungünstigen Sinne feststehend entschieden<lb/> gelten kann, so kann man nicht sagen, die von mir beabsichtigte Rechtsver¬<lb/> folgung sei „mutwillig oder aussichtslos."</p><lb/> <p xml:id="ID_2483"> In den bisher besprochnen Füllen, daß sich die Aussichtslosigkeit der<lb/> Rechtsverfolgung aus Rechtsgründen ergibt, stellt sich also die Sache ziemlich<lb/> einfach. Aber kann sich die Aussichtslosigkeit der beabsichtigten Nechtsver-<lb/> folgung auch aus tatsächlichen Gründen ergeben? Kann also, wenn die von<lb/> dem das Armenrecht Nachsuchenden vorgebrachten Tatsachen „schlüssig" sind,<lb/> d. h. falls sie wahr sind, zur Begründung des von ihm behaupteten Anspruchs<lb/> ausreichen, das Gericht die Erteilung des Armenrechts dennoch ablehnen, weil<lb/> die tatsächlichen Behauptungen des Antragstellers dem Gericht im höchsten<lb/> Grade unwahrscheinlich vorkommen? Kann also das Gericht aus Erwägungen<lb/> dieser Art zu der Überzeugung kommen, die beabsichtigte Rechtsverfolgung sei<lb/> mutwillig oder aussichtslos? Zur Aufklärung des Gemeinten seien folgende<lb/> Fälle erwähnt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2484" next="#ID_2485"> Jemand, der im ganzen Gerichtsbezirk, also auch den Richtern, als ein<lb/> vermögensloser Taugenichts bekannt ist, sucht das Armenrecht nach, um einen<lb/> Anspruch auf Rückzahlung eines Darlehns zu erheben gegen einen Mann, der<lb/> überall, insbesondre auch den Richtern, als gewissenhaft, wohlhabend und pünkt¬<lb/> licher Zahler bekannt ist. Die Richter, die über dieses Gesuch zu beschließen<lb/> haben, können sich mit völliger Gewißheit sagen, daß der Anspruch unbegründet<lb/> ist. Aber sie können deshalb doch nicht die beabsichtigte Rechtsverfolgung als</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0464]
Armenrecht, Anwaltszwang und Gerichtskostengesetz
Grundstücke gerichtlicher oder notarieller Beurkundung bedarf. Anders schon,
wenn der das Armenrecht Nachsuchende gegen meinen Bruder eine Forderung
hat, gegen mich aber auf Zahlung klagen will, weil ich die Schuld meines
Bruders selbstschuldnerisch durch mündliche Erklärung übernommen habe. Zwar
hat das Reichsgericht in einem Urteil vom 20. März 1902 für diese Schuld¬
übernahme die Schriftform für nötig erachtet; aber dieser Ansicht ist von an¬
gesehenen Schriftstellern auf das nachdrücklichste widersprochen worden, sodaß
diese Rechtsanschauung des Reichsgerichts keineswegs als die herrschende be¬
zeichnet werden kann, und es fraglich erscheint, ob das Reichsgericht sie bei
nochmaliger Prüfung wird aufrechterhalten können. Hier wird man schon
nicht sagen können, daß die beabsichtigte Rechtsverfolgung „mutwillig oder
aussichtslos" erscheine, und das Gericht kann deshalb die Erteilung des
Armenrechts nicht ablehnen. Oder: das Kammergericht hat im Anschluß an
angesehene Schriftsteller angenommen, die Rechtswirksamkeit der vom Notar
beurkundeten Erklärungen von Personen, die der deutschen Sprache nicht
mächtig sind, hänge nur davon ab, daß die Erklärung der Beteiligten, „sprach¬
fremd" zu sein, im Protokoll beurkundet ist. Dagegen vertreten zahlreiche
angesehene Schriftsteller den Standpunkt, zur Rechtswirksamkeit der Beurkundung
müsse im Protokoll bemerkt sein, daß die Beteiligten in Wahrheit des Deutschen
nicht mächtig, also objektiv sprachfremd sind. Suche ich nun das Armenrecht
nach, um die Rechtswirksamkeit einer Urkunde anzufechten, in der nur diese
Erklärung der Beteiligten beurkundet ist, so wird mir das Armenrecht nicht
verweigert werden können; denn da die Rechtsfrage eine streitige ist und
keineswegs also als in einem mir ungünstigen Sinne feststehend entschieden
gelten kann, so kann man nicht sagen, die von mir beabsichtigte Rechtsver¬
folgung sei „mutwillig oder aussichtslos."
In den bisher besprochnen Füllen, daß sich die Aussichtslosigkeit der
Rechtsverfolgung aus Rechtsgründen ergibt, stellt sich also die Sache ziemlich
einfach. Aber kann sich die Aussichtslosigkeit der beabsichtigten Nechtsver-
folgung auch aus tatsächlichen Gründen ergeben? Kann also, wenn die von
dem das Armenrecht Nachsuchenden vorgebrachten Tatsachen „schlüssig" sind,
d. h. falls sie wahr sind, zur Begründung des von ihm behaupteten Anspruchs
ausreichen, das Gericht die Erteilung des Armenrechts dennoch ablehnen, weil
die tatsächlichen Behauptungen des Antragstellers dem Gericht im höchsten
Grade unwahrscheinlich vorkommen? Kann also das Gericht aus Erwägungen
dieser Art zu der Überzeugung kommen, die beabsichtigte Rechtsverfolgung sei
mutwillig oder aussichtslos? Zur Aufklärung des Gemeinten seien folgende
Fälle erwähnt.
Jemand, der im ganzen Gerichtsbezirk, also auch den Richtern, als ein
vermögensloser Taugenichts bekannt ist, sucht das Armenrecht nach, um einen
Anspruch auf Rückzahlung eines Darlehns zu erheben gegen einen Mann, der
überall, insbesondre auch den Richtern, als gewissenhaft, wohlhabend und pünkt¬
licher Zahler bekannt ist. Die Richter, die über dieses Gesuch zu beschließen
haben, können sich mit völliger Gewißheit sagen, daß der Anspruch unbegründet
ist. Aber sie können deshalb doch nicht die beabsichtigte Rechtsverfolgung als
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