Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.von Zölibat, Brevier, Meßstipendien und Rlosterwesen keiner religiösen Beweggründe mehr, sondern schätzen die Reinlichkeit um ihrer Nur diese untereinander verschlungnen, dem Geiste des Urchristentums, der von Zölibat, Brevier, Meßstipendien und Rlosterwesen keiner religiösen Beweggründe mehr, sondern schätzen die Reinlichkeit um ihrer Nur diese untereinander verschlungnen, dem Geiste des Urchristentums, der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0436" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296447"/> <fw type="header" place="top"> von Zölibat, Brevier, Meßstipendien und Rlosterwesen</fw><lb/> <p xml:id="ID_2370" prev="#ID_2369"> keiner religiösen Beweggründe mehr, sondern schätzen die Reinlichkeit um ihrer<lb/> selbst willen und wegen der Gesundheit. Die Heiligtümer des Christen aber<lb/> sind nicht Gerätschaften, Kultgegenstände und körperliche Zustände, sondern der<lb/> unsichtbare geistige Gott, Erkenntnis der Wahrheit, edle Gesinnung und ein<lb/> dieser entsprechendes Verhalten. Gerade darin besteht der Unterschied des<lb/> Christentums von allen heidnischen Religionen und vom Mosaismus, wie jeder<lb/> weiß, der das Neue Testament kennt, besonders den Galaterbrief, Matthäus 23<lb/> und Markus 7.</p><lb/> <p xml:id="ID_2371"> Nur diese untereinander verschlungnen, dem Geiste des Urchristentums, der<lb/> sich im Neuen Testament spiegelt, durchaus widersprechenden Irrtümer konnten<lb/> dazu verführen, zum Zwange für den gesamten geistlichen Stand zu erheben,<lb/> was unter gewissen Umständen dein einzelnen geistlich gesinnten als Pflicht<lb/> erscheinen mag. Wie dann diese entschuldbaren theoretischen Irrtümer von der<lb/> hierarchischen Selbstsucht ausgenutzt worden sind, nachdem sie erwacht war, und<lb/> aus welchen Gründen sich der so begründete Zwangszölibat dieser Selbstsucht<lb/> empfahl, das ist allgemein bekannt. Nur wird von den Gegnern der Hierarchie<lb/> meist irrigerweise angenommen, selbstsüchtige Erwägungen seien die ersten und<lb/> einzigen Ursachen der Einführung des Zölibats gewesen, und wird übersehen,<lb/> daß sich die Vorsehung des Irrtums zur Lösung einer großen weltgeschichtlichen<lb/> Aufgabe bedient hat. Ohne die Durchführung des Zölibats im elften und im<lb/> zwölften Jahrhundert würden die Benefizicn erblich geworden, und würde eine<lb/> erbliche Priesterkaste entstanden sein, die als höchster Neichsadel die unum¬<lb/> schränkte weltliche und geistliche Gewalt geübt und durch solchen Despotismus<lb/> die keimende abendländische Kultur auch dann erstickt Hütte, wenn das sehr<lb/> mögliche schlimmste, die Konzentration der geistlich-weltlichen Gewalt in einer<lb/> einheitlichen Spitze, einem dem islamitischen Kalifen entsprechenden Papstkaiser,<lb/> hätte abgewandt werden können. Auch heute scheint der Irrtum seine welt¬<lb/> geschichtliche Rolle noch nicht ausgespielt zu haben. Eine verheiratete Geistlich¬<lb/> keit würde den Kulturkampf schwerlich so gut Überstauden haben. Diese Er¬<lb/> fahrung wird auch die liberalen Katholiken, die den Zwangszölibat gern abschaffen<lb/> möchten, vorläufig noch von einer Äußerung solcher Wünsche zurückhalten. Diese<lb/> Reform wird darum erst dann ernstlich erwogen werden können, wenn von den<lb/> Gegnern des Katholizismus jeder Gedanke an gewalttätige Zerstörung der<lb/> katholischen Kirche aufgegeben sein wird. Die Redaktoren des neuen französischen<lb/> Kirchengesetzes scheinen bemüht gewesen zu sein, den Verdacht solcher Absichten<lb/> nicht aufkommen zu lassen. Zu den Zweckmäßigkeitserwägungen kommt dann<lb/> noch die leidenschaftliche Begeisterung der Frauen und der Mädchen für das<lb/> Institut, worüber sich ein interessantes Buch schreiben ließe, von dem einige<lb/> Kapitel das Decameron ergänzen wurden. Die katholische Kirche hält zwar<lb/> formell sehr streng auf das inulisr woest in Loolssis, aber in Wirklichkeit übt<lb/> das fromme Frauengeschlecht eine nicht zu unterschätzende Kulissenregierung.<lb/> Die Aufpasserei, die Denunziationen und das Geschrei der Betschwestern machen<lb/> jeden Geistlichen unmöglich, der in diesem Punkte oder in andern Stücken freiere<lb/> Ansichten verrät. Sittliche Gebrechen von Geistlichen decken sie mit dem Mantel<lb/> der Liebe zu.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0436]
von Zölibat, Brevier, Meßstipendien und Rlosterwesen
keiner religiösen Beweggründe mehr, sondern schätzen die Reinlichkeit um ihrer
selbst willen und wegen der Gesundheit. Die Heiligtümer des Christen aber
sind nicht Gerätschaften, Kultgegenstände und körperliche Zustände, sondern der
unsichtbare geistige Gott, Erkenntnis der Wahrheit, edle Gesinnung und ein
dieser entsprechendes Verhalten. Gerade darin besteht der Unterschied des
Christentums von allen heidnischen Religionen und vom Mosaismus, wie jeder
weiß, der das Neue Testament kennt, besonders den Galaterbrief, Matthäus 23
und Markus 7.
Nur diese untereinander verschlungnen, dem Geiste des Urchristentums, der
sich im Neuen Testament spiegelt, durchaus widersprechenden Irrtümer konnten
dazu verführen, zum Zwange für den gesamten geistlichen Stand zu erheben,
was unter gewissen Umständen dein einzelnen geistlich gesinnten als Pflicht
erscheinen mag. Wie dann diese entschuldbaren theoretischen Irrtümer von der
hierarchischen Selbstsucht ausgenutzt worden sind, nachdem sie erwacht war, und
aus welchen Gründen sich der so begründete Zwangszölibat dieser Selbstsucht
empfahl, das ist allgemein bekannt. Nur wird von den Gegnern der Hierarchie
meist irrigerweise angenommen, selbstsüchtige Erwägungen seien die ersten und
einzigen Ursachen der Einführung des Zölibats gewesen, und wird übersehen,
daß sich die Vorsehung des Irrtums zur Lösung einer großen weltgeschichtlichen
Aufgabe bedient hat. Ohne die Durchführung des Zölibats im elften und im
zwölften Jahrhundert würden die Benefizicn erblich geworden, und würde eine
erbliche Priesterkaste entstanden sein, die als höchster Neichsadel die unum¬
schränkte weltliche und geistliche Gewalt geübt und durch solchen Despotismus
die keimende abendländische Kultur auch dann erstickt Hütte, wenn das sehr
mögliche schlimmste, die Konzentration der geistlich-weltlichen Gewalt in einer
einheitlichen Spitze, einem dem islamitischen Kalifen entsprechenden Papstkaiser,
hätte abgewandt werden können. Auch heute scheint der Irrtum seine welt¬
geschichtliche Rolle noch nicht ausgespielt zu haben. Eine verheiratete Geistlich¬
keit würde den Kulturkampf schwerlich so gut Überstauden haben. Diese Er¬
fahrung wird auch die liberalen Katholiken, die den Zwangszölibat gern abschaffen
möchten, vorläufig noch von einer Äußerung solcher Wünsche zurückhalten. Diese
Reform wird darum erst dann ernstlich erwogen werden können, wenn von den
Gegnern des Katholizismus jeder Gedanke an gewalttätige Zerstörung der
katholischen Kirche aufgegeben sein wird. Die Redaktoren des neuen französischen
Kirchengesetzes scheinen bemüht gewesen zu sein, den Verdacht solcher Absichten
nicht aufkommen zu lassen. Zu den Zweckmäßigkeitserwägungen kommt dann
noch die leidenschaftliche Begeisterung der Frauen und der Mädchen für das
Institut, worüber sich ein interessantes Buch schreiben ließe, von dem einige
Kapitel das Decameron ergänzen wurden. Die katholische Kirche hält zwar
formell sehr streng auf das inulisr woest in Loolssis, aber in Wirklichkeit übt
das fromme Frauengeschlecht eine nicht zu unterschätzende Kulissenregierung.
Die Aufpasserei, die Denunziationen und das Geschrei der Betschwestern machen
jeden Geistlichen unmöglich, der in diesem Punkte oder in andern Stücken freiere
Ansichten verrät. Sittliche Gebrechen von Geistlichen decken sie mit dem Mantel
der Liebe zu.
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