Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.von Zölibat, Brevier, Meßstipendien "ut Klosterwesen profanem Gebrauch entzieh", und an die Wirkung von Sühnopfern. Der Daß der Höllenglaube auch die zuletzt genannte Gruppe falscher Ansichten von Zölibat, Brevier, Meßstipendien »ut Klosterwesen profanem Gebrauch entzieh», und an die Wirkung von Sühnopfern. Der Daß der Höllenglaube auch die zuletzt genannte Gruppe falscher Ansichten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0435" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296446"/> <fw type="header" place="top"> von Zölibat, Brevier, Meßstipendien »ut Klosterwesen</fw><lb/> <p xml:id="ID_2368" prev="#ID_2367"> profanem Gebrauch entzieh», und an die Wirkung von Sühnopfern. Der<lb/> Manichäismus ist zwar von der katholischen Kirche ausdrücklich verworfen und<lb/> der gnostisch - manichüische Ursprung des Zölibats niemals zugegeben worden,<lb/> aber dieser liegt trotzdem so auf der Hand, daß es sehr naiv klingt, wenn der<lb/> Katholik Grupp in seiner Kulturgeschichte der römischen Kaiserzeit II, 407 schreibt:<lb/> „Nach Lea ist der Zölibat manichäisch." Man braucht doch wahrhaftig den<lb/> mir unbekannten Lea nicht gelesen zu haben, wenn man das erkennen will.<lb/> (Übrigens führt Grupp viele Zeugnisse dafür an, daß die Priester und die<lb/> Bischöfe der ersten Jahrhunderte verheiratet gewesen sind, und gibt zu, daß der<lb/> Zölibat in seiner heutigen Form bedenkliche Folgen hat, die nur beseitigt<lb/> werden könnten, wenn die Zustände wiederhergestellt würden, die bei seiner<lb/> ersten Einführung bestanden, wo er zunächst nur für die höhern Kirchcnämter<lb/> gefordert wurde, und nur ältere bewährte Männer in solche aufstiegen.) Wenn<lb/> für den geistlichen Stand Unbeslecktheit verlangt wird und die Ehe als Be¬<lb/> fleckung gilt, so wird doch damit der Zeugungsprozeß verurteilt, also die Fort¬<lb/> pflanzung und Verbreitung des leiblichen Lebens für böse erklärt. Oder soll<lb/> die Befleckung vielleicht im Anästhetischen liegen? Aber das Unästhetische ist<lb/> nicht an sich sündhaft, sondern kann es nur durch die Umstünde werden.<lb/> Wäre es an sich sündhaft und darum mit dem geistlichen Amte unverträglich,<lb/> dann könnte es überhaupt keine Geistlichen geben, denn kein Mensch kann das<lb/> den organischen Lebensprozessen anhaftende Unästhetische vermeiden. Oder soll<lb/> der Genuß mit dem geistlichen Amt unverträglich sein? Dann darf der Geistliche<lb/> auch keine wohlschmeckenden Speisen und Getränke genießen und muß sich gleich<lb/> den Asketen strengster Richtung mit dem Verzicht auf Komfort, mit Geißelungen<lb/> und Büßerhemd peinigen, zumal da der Glaube, der dazu treibt, nämlich daß<lb/> man dadurch sich und andre vor der Hölle bewahren könne, ihn als Seelsorger,<lb/> als Bewahrer und Retter der Seelen, doch wohl zu allererst verpflichtet.</p><lb/> <p xml:id="ID_2369" next="#ID_2370"> Daß der Höllenglaube auch die zuletzt genannte Gruppe falscher Ansichten<lb/> erzeugt, habe ich in dem zweiten der Aufsätze über die Jesuitenfrage und die<lb/> konfessionelle Polemik hervorgehoben. Die aus dem Judentum und dem orphischen<lb/> Kreise des Hellenentums überkommne Angst vor der Holle erzeugte zunächst eine<lb/> juristische Erlösungs- und Rechtfertigungstheorie, dann später, da die bloße Er¬<lb/> innerung an den Opfertod Jesu und der Glaube an dessen Wirkungen dem<lb/> Volksgemüt nicht genügte, handgreifliche Vermittlungen dieser Wirkungen nach<lb/> dem Muster der heidnischen und der jüdischen Sühnemysterien, und so wurde<lb/> aus der Abendmahlsfeier ein Opfer, der Gemeindeälteste, der Prophet und der<lb/> Lehrer der Urkirche verschmolzen zu einem Sühnepriester, und die beiden ein¬<lb/> fachen Symbole der Urkirche wuchsen sich zu einem vielgestaltigen verwickelten<lb/> Sühnungs- und Heiligungsapparat aus. Man hatte nun heilige Geräte und<lb/> Kultgegenstände, die nur mit gesalbten Händen angerührt werden durften, und<lb/> zu den gesalbten Händen gehörte ein Leib, von dem die rituelle Reinheit ge¬<lb/> fordert werden mußte. Die rituelle Reinheit hat jedoch einen voltspüdagogischen<lb/> Zweck gehabt, der heute uicht mehr besteht. Die Vorschriften darüber sollten<lb/> die Völker zur Reinlichkeit erziehn, lind um sie wirksam zu machen, mußte man<lb/> sie als religiöse Pflichten verkündigen. Die heutigen Kulturvölker aber bedürfen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0435]
von Zölibat, Brevier, Meßstipendien »ut Klosterwesen
profanem Gebrauch entzieh», und an die Wirkung von Sühnopfern. Der
Manichäismus ist zwar von der katholischen Kirche ausdrücklich verworfen und
der gnostisch - manichüische Ursprung des Zölibats niemals zugegeben worden,
aber dieser liegt trotzdem so auf der Hand, daß es sehr naiv klingt, wenn der
Katholik Grupp in seiner Kulturgeschichte der römischen Kaiserzeit II, 407 schreibt:
„Nach Lea ist der Zölibat manichäisch." Man braucht doch wahrhaftig den
mir unbekannten Lea nicht gelesen zu haben, wenn man das erkennen will.
(Übrigens führt Grupp viele Zeugnisse dafür an, daß die Priester und die
Bischöfe der ersten Jahrhunderte verheiratet gewesen sind, und gibt zu, daß der
Zölibat in seiner heutigen Form bedenkliche Folgen hat, die nur beseitigt
werden könnten, wenn die Zustände wiederhergestellt würden, die bei seiner
ersten Einführung bestanden, wo er zunächst nur für die höhern Kirchcnämter
gefordert wurde, und nur ältere bewährte Männer in solche aufstiegen.) Wenn
für den geistlichen Stand Unbeslecktheit verlangt wird und die Ehe als Be¬
fleckung gilt, so wird doch damit der Zeugungsprozeß verurteilt, also die Fort¬
pflanzung und Verbreitung des leiblichen Lebens für böse erklärt. Oder soll
die Befleckung vielleicht im Anästhetischen liegen? Aber das Unästhetische ist
nicht an sich sündhaft, sondern kann es nur durch die Umstünde werden.
Wäre es an sich sündhaft und darum mit dem geistlichen Amte unverträglich,
dann könnte es überhaupt keine Geistlichen geben, denn kein Mensch kann das
den organischen Lebensprozessen anhaftende Unästhetische vermeiden. Oder soll
der Genuß mit dem geistlichen Amt unverträglich sein? Dann darf der Geistliche
auch keine wohlschmeckenden Speisen und Getränke genießen und muß sich gleich
den Asketen strengster Richtung mit dem Verzicht auf Komfort, mit Geißelungen
und Büßerhemd peinigen, zumal da der Glaube, der dazu treibt, nämlich daß
man dadurch sich und andre vor der Hölle bewahren könne, ihn als Seelsorger,
als Bewahrer und Retter der Seelen, doch wohl zu allererst verpflichtet.
Daß der Höllenglaube auch die zuletzt genannte Gruppe falscher Ansichten
erzeugt, habe ich in dem zweiten der Aufsätze über die Jesuitenfrage und die
konfessionelle Polemik hervorgehoben. Die aus dem Judentum und dem orphischen
Kreise des Hellenentums überkommne Angst vor der Holle erzeugte zunächst eine
juristische Erlösungs- und Rechtfertigungstheorie, dann später, da die bloße Er¬
innerung an den Opfertod Jesu und der Glaube an dessen Wirkungen dem
Volksgemüt nicht genügte, handgreifliche Vermittlungen dieser Wirkungen nach
dem Muster der heidnischen und der jüdischen Sühnemysterien, und so wurde
aus der Abendmahlsfeier ein Opfer, der Gemeindeälteste, der Prophet und der
Lehrer der Urkirche verschmolzen zu einem Sühnepriester, und die beiden ein¬
fachen Symbole der Urkirche wuchsen sich zu einem vielgestaltigen verwickelten
Sühnungs- und Heiligungsapparat aus. Man hatte nun heilige Geräte und
Kultgegenstände, die nur mit gesalbten Händen angerührt werden durften, und
zu den gesalbten Händen gehörte ein Leib, von dem die rituelle Reinheit ge¬
fordert werden mußte. Die rituelle Reinheit hat jedoch einen voltspüdagogischen
Zweck gehabt, der heute uicht mehr besteht. Die Vorschriften darüber sollten
die Völker zur Reinlichkeit erziehn, lind um sie wirksam zu machen, mußte man
sie als religiöse Pflichten verkündigen. Die heutigen Kulturvölker aber bedürfen
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |