Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.von Zölibat, Brevier, Meßstipendien und Alosterwesen die Verpflichtung, das Menschengeschlecht und das eigne Volk zu erhalten, daß Der Priesterzölibat ist ein Stück Askese. Deren Berechtigung und Wert von Zölibat, Brevier, Meßstipendien und Alosterwesen die Verpflichtung, das Menschengeschlecht und das eigne Volk zu erhalten, daß Der Priesterzölibat ist ein Stück Askese. Deren Berechtigung und Wert <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0433" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296444"/> <fw type="header" place="top"> von Zölibat, Brevier, Meßstipendien und Alosterwesen</fw><lb/> <p xml:id="ID_2364" prev="#ID_2363"> die Verpflichtung, das Menschengeschlecht und das eigne Volk zu erhalten, daß<lb/> die meisten Menschen in die Ehe treten. Aber ich schwärme nicht für den<lb/> proletarischen Kaninchenstall und weiß, daß es auch in sehr vielen nicht prole¬<lb/> tarischen Ehen nicht übermäßig schön zugeht, vor allein widerspreche ich der<lb/> Behauptung, daß ein Lediger keine vollkommne Persönlichkeit und kein sittlicher<lb/> Mensch sein könne. Es wäre nicht allein lächerlich, sondern auch unverschämt,<lb/> wenn man Männern wie David Hume und Adam Smith, Kant, Beethoven<lb/> und Alexander von Humboldt — von Paulus und den übrigen christlichen<lb/> Heroen nicht zu reden — die volle Persönlichkeit oder die Sittlichkeit absprechen<lb/> wollte. Also der Zölibat an sich ist nicht verwerflich, sondern nur der Priester¬<lb/> zölibat in seiner heutigen Form, weil er auf falschen dogmatischen Voraus¬<lb/> setzungen beruht und schlimme Folgen hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_2365" next="#ID_2366"> Der Priesterzölibat ist ein Stück Askese. Deren Berechtigung und Wert<lb/> hängt von den Anschauungen und Beweggründen ab, denen sie entspringt.<lb/> Askese in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes als Lxsreitium, Übung in<lb/> der Selbstbeherrschung und Kraftentfaltung, ist ein unentbehrlicher Bestandteil<lb/> der Jugend-, Volks- und Selbsterziehung. Ohne solche Askese wird niemand<lb/> ein tüchtiger Mann, sondern bleibt ein schlapper Fnnlpelz und Genußmensch.<lb/> Wird diese Askese methodisch für einen bestimmten Zweck geübt, so heißt sie<lb/> Trainierung. Die antike Welt hatte die Trainierung für die Wettkämpfe in<lb/> der Arena und in der Rennbahn, die Paulus 1. Kor. 9, 24 ff. zum Vergleich<lb/> heranzieht, wir heutigen haben die Trainierung der Sportleute und den mili¬<lb/> tärischen Drill. Es ist klar, daß auch in der Erziehung und im Leben des<lb/> christlichen Geistlichen solche Askese nicht entbehrt werden kann, denn wer dem<lb/> Volke Selbstüberwindung predigen soll, darf kein Weichling sein. Welche Formen<lb/> sie je nach Zeiten, Orten und Umstünden annehmen muß, darauf ist hier nicht<lb/> einzugehn. In fein organisierten Gemütern wird sich häufig dem Hauptbeweg¬<lb/> gründe ein ästhetischer zugesellen. Der animalische Lebensprozeß bringt manches<lb/> Widerwärtige mit sich, dessen sich gesittete Menschen von jeher geschämt haben.<lb/> Je weniger zhnisch ein Mensch geartet ist, desto mehr wird er wünschen, dieses<lb/> Widerwärtige auf ein möglichst geringes Maß einzuschränken. Dieses Motiv<lb/> scheint in der indischen Askese wirksam gewesen zu sein, da die Inder der<lb/> höchsten Kaste sehr fein organisierte Menschen sind. Und es hat ohne Zweifel<lb/> bei den Jungfrauen mitgewirkt, von denen die katholischen Legenden und auch<lb/> neuere Geschichten behaupten, sie hätten jahrelang außer der Hostie oder einigen<lb/> Limonenscheibchcn keine Nahrung zu sich genommen. Wieviel davon wahr,<lb/> wieviel Übertreibung ist, wird man ja niemals ermitteln können, doch läßt es<lb/> sich denken, daß bei einer bettlügrigen Person, die weder ihre Muskeln noch<lb/> ihr Hirn anstrengt und ihr Leben mit Kontemplation, d. h. in einem traum¬<lb/> haften Zustande zubringt, der Stoffwechsel und die Nahrungmenge auf ein sehr<lb/> geringes Maß beschränkt werden können. Geistlichen Personen solcher Gemüts¬<lb/> art, die einen anstrengenden Dienst haben und darum ordentlich essen müssen,<lb/> liegt der Gedanke nahe, wenigstens jede Art Stoffwechsel zu vermeiden, die zur<lb/> Erhaltung eines gesunden, kräftigen Leibes nicht unbedingt notwendig ist; und<lb/> können wir die aus diesem Grunde gewählte Ehelosigkeit nicht für etwas be-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0433]
von Zölibat, Brevier, Meßstipendien und Alosterwesen
die Verpflichtung, das Menschengeschlecht und das eigne Volk zu erhalten, daß
die meisten Menschen in die Ehe treten. Aber ich schwärme nicht für den
proletarischen Kaninchenstall und weiß, daß es auch in sehr vielen nicht prole¬
tarischen Ehen nicht übermäßig schön zugeht, vor allein widerspreche ich der
Behauptung, daß ein Lediger keine vollkommne Persönlichkeit und kein sittlicher
Mensch sein könne. Es wäre nicht allein lächerlich, sondern auch unverschämt,
wenn man Männern wie David Hume und Adam Smith, Kant, Beethoven
und Alexander von Humboldt — von Paulus und den übrigen christlichen
Heroen nicht zu reden — die volle Persönlichkeit oder die Sittlichkeit absprechen
wollte. Also der Zölibat an sich ist nicht verwerflich, sondern nur der Priester¬
zölibat in seiner heutigen Form, weil er auf falschen dogmatischen Voraus¬
setzungen beruht und schlimme Folgen hat.
Der Priesterzölibat ist ein Stück Askese. Deren Berechtigung und Wert
hängt von den Anschauungen und Beweggründen ab, denen sie entspringt.
Askese in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes als Lxsreitium, Übung in
der Selbstbeherrschung und Kraftentfaltung, ist ein unentbehrlicher Bestandteil
der Jugend-, Volks- und Selbsterziehung. Ohne solche Askese wird niemand
ein tüchtiger Mann, sondern bleibt ein schlapper Fnnlpelz und Genußmensch.
Wird diese Askese methodisch für einen bestimmten Zweck geübt, so heißt sie
Trainierung. Die antike Welt hatte die Trainierung für die Wettkämpfe in
der Arena und in der Rennbahn, die Paulus 1. Kor. 9, 24 ff. zum Vergleich
heranzieht, wir heutigen haben die Trainierung der Sportleute und den mili¬
tärischen Drill. Es ist klar, daß auch in der Erziehung und im Leben des
christlichen Geistlichen solche Askese nicht entbehrt werden kann, denn wer dem
Volke Selbstüberwindung predigen soll, darf kein Weichling sein. Welche Formen
sie je nach Zeiten, Orten und Umstünden annehmen muß, darauf ist hier nicht
einzugehn. In fein organisierten Gemütern wird sich häufig dem Hauptbeweg¬
gründe ein ästhetischer zugesellen. Der animalische Lebensprozeß bringt manches
Widerwärtige mit sich, dessen sich gesittete Menschen von jeher geschämt haben.
Je weniger zhnisch ein Mensch geartet ist, desto mehr wird er wünschen, dieses
Widerwärtige auf ein möglichst geringes Maß einzuschränken. Dieses Motiv
scheint in der indischen Askese wirksam gewesen zu sein, da die Inder der
höchsten Kaste sehr fein organisierte Menschen sind. Und es hat ohne Zweifel
bei den Jungfrauen mitgewirkt, von denen die katholischen Legenden und auch
neuere Geschichten behaupten, sie hätten jahrelang außer der Hostie oder einigen
Limonenscheibchcn keine Nahrung zu sich genommen. Wieviel davon wahr,
wieviel Übertreibung ist, wird man ja niemals ermitteln können, doch läßt es
sich denken, daß bei einer bettlügrigen Person, die weder ihre Muskeln noch
ihr Hirn anstrengt und ihr Leben mit Kontemplation, d. h. in einem traum¬
haften Zustande zubringt, der Stoffwechsel und die Nahrungmenge auf ein sehr
geringes Maß beschränkt werden können. Geistlichen Personen solcher Gemüts¬
art, die einen anstrengenden Dienst haben und darum ordentlich essen müssen,
liegt der Gedanke nahe, wenigstens jede Art Stoffwechsel zu vermeiden, die zur
Erhaltung eines gesunden, kräftigen Leibes nicht unbedingt notwendig ist; und
können wir die aus diesem Grunde gewählte Ehelosigkeit nicht für etwas be-
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