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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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von Zölibat, Brevier, Meßstipendien und Ulosterwesen

Renaissance nun bedauert er, daß der Mann sein reiches Wissen und sein
schönes Talent auf eine Verlorne Sache, eine sogenannte Reformbewegung ver¬
schwende. In der katholischen Kirche, heißt es da, "gibt es heute und hat es
zu jeder Zeit gegeben -- Vertreter von strengern und von freiern Anschauungen.
Diese Teilung geht hinein bis in die Spalten der erklärtesten Zentrumsblätter,
sie geht hinein bis in die Orden der Franziskaner, Dominikaner, Benediktiner
und, last not iWt,, der Jesuiten. Die ruhig denkenden Männer der freiern
Richtung, die übrigens durch unendlich viele Abstufungen mit den konservativsten
verbunden ist, finden nicht die leiseste Veranlassung, sich durch Gründung eines
Neformvereins von ihren Glaubensbrüdern abzusondern. Denn dadurch würden
sie bei der dann notwendig eintretenden Spannung sich selber außer Beziehung
zu manchen wertvollen, gerade aus der konservativen Richtung fließenden
Elementen setzen, andrerseits sich jede Einwirkung auf ihre Glaubensgenossen
unmöglich machen. Sie würden der Gegenstand erbitterter Angriffe von diesen
werden, und die verhältnismäßig milde Kampfform des Jgnorierens, wie sie
gegen Dr. Müller geübt wird, würde einem ganz andern Kampfe Platz machen,
dessen Ergebnis verhängnisvoll für die Kirche werden könnte. Denn sobald
die Kirche Deutschlands, die haben wir ja im Auge, in zwei äußerlich getrennte
Lager zerfällt, gibt es da Krieg, wo früher das duldsame in clnbiis libsrt^
als ausdrücklich oder stillschweigend anerkannte Devise gegolten hatte. Gerade
jetzt aber beginnt für das sehende Auge dieses Prinzip seinen milden Glanz zu
verbreiten. Denn es ist kein Zweifel, daß die freier gesinnten Geister schon
mancherorts, freilich noch lange nicht überall, bei ihren konservativem Glaubens¬
genossen dieselbe Achtung genießen, die sie diesen zu schenken ihrerseits nicht
das mindeste Bedenken tragen. Durch ruhige Überlegung findet man eben
heraus, daß die Differenzen außerhalb des festen Glaubensgebiets liegen, das
man hüben wie drüben mit der festesten Sicherheit und dem tiefsten Einheits¬
bewußtsein gegen jeden Angriff zu verteidigen gesonnen ist. Ja, es ringt sich
von verschiednen Punkten aus in der katholischen Welt eine neue Strömung
empor, die gewillt ist, aus der defensiven Stellung herauszugehn und den
geistigen Kampf mit allen unkatholischen Prinzipien auf der ganzen Linie
zu eröffnen, nachdem dafür die Waffen der geistigen Tüchtigkeit geschmiedet
worden sind."

In den Schulen des protestantischen Preußens, muß man hinzufügen, und
mit dem Erfolge, daß die Differenzen zwischen liberalen und ultramontanen
Katholiken keineswegs außerhalb des Dogmas liegen, was sich jene freilich
aus den oben angeführten Gründen nicht einzugestehn wagen. Da unter diesen
Umständen eine Reformbewegung weder in den romanischen Ländern noch in
Deutschland in Gang kommen kann, wird man es einem Unberufnen vielleicht
verzeihen, daß er fortführt, sich über die katholische Kirchenreform den Kopf zu
zerbrechen, weil er es für ein Unglück halten würde, wenn die katholische Kirche
aufhörte eine Kulturmacht zu sein und zu einem Institut für abergläubische
Bauern und Frauen hinabsänke, und weil es gerade das dnrch die Reform zu
beseitigende ist, was den Katholizismus den Protestanten verhaßt macht und
die Flammen der konfessionellen Zwietracht nährt. Selbstverständlich werden


von Zölibat, Brevier, Meßstipendien und Ulosterwesen

Renaissance nun bedauert er, daß der Mann sein reiches Wissen und sein
schönes Talent auf eine Verlorne Sache, eine sogenannte Reformbewegung ver¬
schwende. In der katholischen Kirche, heißt es da, „gibt es heute und hat es
zu jeder Zeit gegeben — Vertreter von strengern und von freiern Anschauungen.
Diese Teilung geht hinein bis in die Spalten der erklärtesten Zentrumsblätter,
sie geht hinein bis in die Orden der Franziskaner, Dominikaner, Benediktiner
und, last not iWt,, der Jesuiten. Die ruhig denkenden Männer der freiern
Richtung, die übrigens durch unendlich viele Abstufungen mit den konservativsten
verbunden ist, finden nicht die leiseste Veranlassung, sich durch Gründung eines
Neformvereins von ihren Glaubensbrüdern abzusondern. Denn dadurch würden
sie bei der dann notwendig eintretenden Spannung sich selber außer Beziehung
zu manchen wertvollen, gerade aus der konservativen Richtung fließenden
Elementen setzen, andrerseits sich jede Einwirkung auf ihre Glaubensgenossen
unmöglich machen. Sie würden der Gegenstand erbitterter Angriffe von diesen
werden, und die verhältnismäßig milde Kampfform des Jgnorierens, wie sie
gegen Dr. Müller geübt wird, würde einem ganz andern Kampfe Platz machen,
dessen Ergebnis verhängnisvoll für die Kirche werden könnte. Denn sobald
die Kirche Deutschlands, die haben wir ja im Auge, in zwei äußerlich getrennte
Lager zerfällt, gibt es da Krieg, wo früher das duldsame in clnbiis libsrt^
als ausdrücklich oder stillschweigend anerkannte Devise gegolten hatte. Gerade
jetzt aber beginnt für das sehende Auge dieses Prinzip seinen milden Glanz zu
verbreiten. Denn es ist kein Zweifel, daß die freier gesinnten Geister schon
mancherorts, freilich noch lange nicht überall, bei ihren konservativem Glaubens¬
genossen dieselbe Achtung genießen, die sie diesen zu schenken ihrerseits nicht
das mindeste Bedenken tragen. Durch ruhige Überlegung findet man eben
heraus, daß die Differenzen außerhalb des festen Glaubensgebiets liegen, das
man hüben wie drüben mit der festesten Sicherheit und dem tiefsten Einheits¬
bewußtsein gegen jeden Angriff zu verteidigen gesonnen ist. Ja, es ringt sich
von verschiednen Punkten aus in der katholischen Welt eine neue Strömung
empor, die gewillt ist, aus der defensiven Stellung herauszugehn und den
geistigen Kampf mit allen unkatholischen Prinzipien auf der ganzen Linie
zu eröffnen, nachdem dafür die Waffen der geistigen Tüchtigkeit geschmiedet
worden sind."

In den Schulen des protestantischen Preußens, muß man hinzufügen, und
mit dem Erfolge, daß die Differenzen zwischen liberalen und ultramontanen
Katholiken keineswegs außerhalb des Dogmas liegen, was sich jene freilich
aus den oben angeführten Gründen nicht einzugestehn wagen. Da unter diesen
Umständen eine Reformbewegung weder in den romanischen Ländern noch in
Deutschland in Gang kommen kann, wird man es einem Unberufnen vielleicht
verzeihen, daß er fortführt, sich über die katholische Kirchenreform den Kopf zu
zerbrechen, weil er es für ein Unglück halten würde, wenn die katholische Kirche
aufhörte eine Kulturmacht zu sein und zu einem Institut für abergläubische
Bauern und Frauen hinabsänke, und weil es gerade das dnrch die Reform zu
beseitigende ist, was den Katholizismus den Protestanten verhaßt macht und
die Flammen der konfessionellen Zwietracht nährt. Selbstverständlich werden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/431>, abgerufen am 15.01.2025.