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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Die russische Volksvertretung
George (Lleinom von (Schluß)

as Verhältnis eines Parlaments zu den Reichsbehörden wird
am schärfsten charakterisiert durch die Vorschriften, die den Ent¬
wicklungsweg einer Gesetzesvorlage bis zu einem rechtsgiltigen
Gesetz vorzeichnen. Gesetzesvvrschläge können eingebracht werden
durch die einzelnen Minister oder die selbständigen Ressortchefs
(Paragraph 36) und durch Abgeordnete (Paragraph 34). Das Recht, die
Einbringung eines Gesetzentwurfs in die Neichsduma zu fordern, hat nicht
jeder Abgeordnete einzeln, es bedarf vielmehr einer Gruppe von dreißig
(Paragraph 54), die Gesetzgebungsmaschine in Gang zu bringen. Jedoch auch
das genügt nicht ganz: die Antragsteller sind gehalten, zugleich mit dem
Antrag einen vollständig durchgearbeiteten Entwurf nebst Erläuterung einzu¬
reichen -- eine in wenig Strichen gezeichnete Skizze der Ziele der Antrag¬
steller genügt nicht. Es kann angenommen werden, daß sich die Regierung
hiermit vor einer Sturmflut ungenügend motivierter Forderungen und Wünsche
sichern will. Ich denke mir, wenn das erste Feuer der Begeisterung für die
parlamentarische Tätigkeit verflogen sein wird, und die Abgeordneten sich in
Arbeitsbienen, Dauerredner und Diätenschlucker geteilt haben werden, dann
wird auch diese von Lasarewski (Prawo 33) als eigentümlich bezeichnete Be¬
stimmung ihre Härten verlieren. Jedenfalls dürfte sie weit eher eine Be¬
schleunigung als eine Verschleppung der brennendsten Fragen zur Folge haben.

Die Antragsteller müssen ihren Entwurf dem Dumapräsidenten einreichen;
dieser gibt ihn in die zuständige Sektion (Paragraph 54), bestimmt den Tag
der Lesung im Plenum und macht spätestens zehn Tage vor dem festgesetzten
Termin dem zuständigen Minister Mitteilung (Paragraph 55). Sofern die
Duma und der zuständige Minister die Notwendigkeit der beantragten Än¬
derung anerkennen, gibt der Minister der "Angelegenheit den gesetzlichen Lauf"
(Paragraph 55). Diese Bestimmung hat im Zusammenhang mit dem Para¬
graphen 57, wonach der zuständige Minister usw. einem gegen seinen Willen
angenommnen Initiativantrag nur auf Befehl des Zaren Folge zu geben hat,
das Mißtrauen der Gesellschaft erregt. So behauptete Lasarewski im Prawo 33,
jeder Minister würde trotz dem Kaiserlichen Befehl tun, was ihm gut bunte,
da er ohne weitere Begründung einer Jnterpellation der Duma mit der Ent¬
schuldigung begegnen könne, "das Ressort der Kaiserlichen Gestüte hat sich
noch nicht geäußert." Man fürchtet also eine Obstruktion bei den Administrativ¬
behörden. Auch in dieser Auffassung scheint mir ein ungerechtfertigter Pessi¬
mismus zum Ausdruck zu kommen. Denn in den Worten: "Der Minister gibt




Die russische Volksvertretung
George (Lleinom von (Schluß)

as Verhältnis eines Parlaments zu den Reichsbehörden wird
am schärfsten charakterisiert durch die Vorschriften, die den Ent¬
wicklungsweg einer Gesetzesvorlage bis zu einem rechtsgiltigen
Gesetz vorzeichnen. Gesetzesvvrschläge können eingebracht werden
durch die einzelnen Minister oder die selbständigen Ressortchefs
(Paragraph 36) und durch Abgeordnete (Paragraph 34). Das Recht, die
Einbringung eines Gesetzentwurfs in die Neichsduma zu fordern, hat nicht
jeder Abgeordnete einzeln, es bedarf vielmehr einer Gruppe von dreißig
(Paragraph 54), die Gesetzgebungsmaschine in Gang zu bringen. Jedoch auch
das genügt nicht ganz: die Antragsteller sind gehalten, zugleich mit dem
Antrag einen vollständig durchgearbeiteten Entwurf nebst Erläuterung einzu¬
reichen — eine in wenig Strichen gezeichnete Skizze der Ziele der Antrag¬
steller genügt nicht. Es kann angenommen werden, daß sich die Regierung
hiermit vor einer Sturmflut ungenügend motivierter Forderungen und Wünsche
sichern will. Ich denke mir, wenn das erste Feuer der Begeisterung für die
parlamentarische Tätigkeit verflogen sein wird, und die Abgeordneten sich in
Arbeitsbienen, Dauerredner und Diätenschlucker geteilt haben werden, dann
wird auch diese von Lasarewski (Prawo 33) als eigentümlich bezeichnete Be¬
stimmung ihre Härten verlieren. Jedenfalls dürfte sie weit eher eine Be¬
schleunigung als eine Verschleppung der brennendsten Fragen zur Folge haben.

Die Antragsteller müssen ihren Entwurf dem Dumapräsidenten einreichen;
dieser gibt ihn in die zuständige Sektion (Paragraph 54), bestimmt den Tag
der Lesung im Plenum und macht spätestens zehn Tage vor dem festgesetzten
Termin dem zuständigen Minister Mitteilung (Paragraph 55). Sofern die
Duma und der zuständige Minister die Notwendigkeit der beantragten Än¬
derung anerkennen, gibt der Minister der „Angelegenheit den gesetzlichen Lauf"
(Paragraph 55). Diese Bestimmung hat im Zusammenhang mit dem Para¬
graphen 57, wonach der zuständige Minister usw. einem gegen seinen Willen
angenommnen Initiativantrag nur auf Befehl des Zaren Folge zu geben hat,
das Mißtrauen der Gesellschaft erregt. So behauptete Lasarewski im Prawo 33,
jeder Minister würde trotz dem Kaiserlichen Befehl tun, was ihm gut bunte,
da er ohne weitere Begründung einer Jnterpellation der Duma mit der Ent¬
schuldigung begegnen könne, „das Ressort der Kaiserlichen Gestüte hat sich
noch nicht geäußert." Man fürchtet also eine Obstruktion bei den Administrativ¬
behörden. Auch in dieser Auffassung scheint mir ein ungerechtfertigter Pessi¬
mismus zum Ausdruck zu kommen. Denn in den Worten: „Der Minister gibt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/412>, abgerufen am 15.01.2025.