Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Unfall-, Alters- und Invalidenversicherung bieten können wie die deutsche? Wenn Das Band, das die Leitung der dentschen Sozialdemokratie mit der der rus¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches Unfall-, Alters- und Invalidenversicherung bieten können wie die deutsche? Wenn Das Band, das die Leitung der dentschen Sozialdemokratie mit der der rus¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0400" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296411"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_2270" prev="#ID_2269"> Unfall-, Alters- und Invalidenversicherung bieten können wie die deutsche? Wenn<lb/> man früher sagen durfte, daß ein russischer Angriff an dem hohen Kulturstande<lb/> Deutschlands scheitern müsse und werde, so gilt das von einem Übergreifen<lb/> der russischen Revolution in noch viel höherm Grade. Oder glaubt die sozial¬<lb/> demokratische „Wissenschaftlichkeit" wirklich um einen Mongolenzug der russischen<lb/> Revolution? Wenn er dereinst käme, würden unsre fleißigen und intelligenten<lb/> Arbeiter in ihrer großen Mehrzahl am Ende doch finden, daß die „ostelbischen<lb/> Junker" ihnen sehr viel näher stehn als die „russischen Brüder," und sie würden<lb/> sich wahrscheinlich der Führung jeuer Junker ebenso gern anvertrauen wie einst<lb/> ihre Väter und Großväter, um sich dieser „russischen Brüder" zu entledigen. Die<lb/> Sache der deutschen Arbeiterschaft ist nicht die der russischen Revolutionäre, sondern<lb/> ist Deutschland, ist die heimatliche Henne, die ihnen die goldnen Eier reichlicher<lb/> und reichlich bezahlter Arbeit, eines fortgesetzt steigenden Wohlstandes legt. Wer etwas<lb/> andres treibt und predigt, begeht bewußterweise Reichs- und Landesverrat. Die<lb/> am 19. März 1848 infolge des unverantwortlichen Abzugs der Truppen „sieg¬<lb/> reichen" Berliner haben sich bekanntlich in den nächsten Tagen unsterblich lächerlich<lb/> gemacht durch die Furcht: „der Prinz von Preußen kommt mit den Russen!" Liegt<lb/> die Sache heute anders, wenn die Organe der „siegreichen" Dreimillionenpartei in<lb/> den Ruf ausbrechen: August Bebel kommt mit den Russen! Oder gar Herr Singer!<lb/> Es wäre vielleicht recht nützlich angelegtes Geld, dieses Bild auszumalen und in<lb/> Hunderttausenden von Exemplaren durch Deutschland zu verbreiten!</p><lb/> <p xml:id="ID_2271" next="#ID_2272"> Das Band, das die Leitung der dentschen Sozialdemokratie mit der der rus¬<lb/> sischen verbindet, ist viel weniger die Gleichartigkeit der Ideen als vielmehr ein<lb/> gewisses Judentum, präziser gesprochen: nicht Bebel sondern — Singer! Bebel<lb/> ist der pathetische, polternde und dabei posierende Fanatiker, der mehr und mehr<lb/> in die Rolle des Parteipatriarchen hineinwächst; Singer der pfadfindende, kalt be¬<lb/> rechnende Verschwörer, der die unterirdischen Minengänge überall zu legen und recht¬<lb/> zeitig zu entzünden weiß. Bebel kämpft den „Emanzipntionskampf" des vierten<lb/> Standes, so wie er ihn versteht, Singer kämpft den Emanzipationskampf des Juden-<lb/> tums. Ihm, dem Millionär, sind die Arbeitermassen, die ihm „seine" Schlachten aus¬<lb/> fechten müssen, nur Kanonenfutter in des Wortes, verwegenster Bedeutung, das den<lb/> Staat und die Gesellschaft zertrümmern soll die das Judentum nicht als ebenbürtig<lb/> anerkennen und sich von ihm nicht beherrschen lassen wollen. Das Judentum ist das<lb/> Rückgrat der russischen revolutionären Bewegung geworden, es hat mit deutscher<lb/> sozialdenwkratischer Hilfe und nach deutschem sozialdemokratischen Vorbilde die Re-<lb/> volutionsarmee geschaffen, die von der deutschen Grenze bis zur Ostgrenze Sibiriens<lb/> organisiert dasteht. Ohne die Judenschaft in Rußland wäre dieser gleichzeitige Ausbruch<lb/> in seinen ungeheuern Verzweigungen und seiner in der Geschichte aller Zeiten uner¬<lb/> hörten Ausdehnung gar nicht möglich gewesen. Solche revolutionären Zuckungen eines<lb/> mächtigen Staatskörpers vollzieh» sich aber nicht ohne Erschütterungen der schwersten<lb/> Art und nicht ohne Opfer. Wer die Pöbelmassen ruft und organisiert, muß damit<lb/> rechnen, daß sie sich auch gegen ihre Organisatoren wenden, und wer die Eisen¬<lb/> bahnen zum Stillstand bringt, muß es in den Kauf nehmen, daß er sich damit selbst<lb/> die Flucht abschneidet. Wie die Verhältnisse in Rußland nun einmal liegen, sind<lb/> die Judenverfolgungen der fast unvermeidliche Gegenschlag, die selbstverständliche<lb/> Folge der sozialdemokratischen Revolution. Denn in der Annahme, daß die revo¬<lb/> lutionären Massen gerade vor den jüdischen Geldschränken Halt machen würden,<lb/> irren die Organisatoren dieser Revolution in Rußland wie anderwärts. Die alte<lb/> Frau Rothschild konnte seinerzeit das Wort sprechen: „Es bleibt Friede, mein Sohn<lb/> gibt den Regierungen kein Geld zum Kriegführen." Die monarchischen Regierungen<lb/> haben sich damit bescheiden müssen, aber die revolutionären Massen, denen man<lb/> die Mißachtung jeder Autorität endlich beigebracht hat, wissen das Geld zu nehmen.<lb/> Und wenn man die Truppen unzuverlässig gemacht und kein Mittel gescheut hat,<lb/> sie ihrem Eide und ihrer Pflicht zu entfremden, darf man sich nicht wundern, wenn<lb/> sie auch bei Judenkrawallcn versagen und schließlich überhaupt nicht mehr wissen,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0400]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Unfall-, Alters- und Invalidenversicherung bieten können wie die deutsche? Wenn
man früher sagen durfte, daß ein russischer Angriff an dem hohen Kulturstande
Deutschlands scheitern müsse und werde, so gilt das von einem Übergreifen
der russischen Revolution in noch viel höherm Grade. Oder glaubt die sozial¬
demokratische „Wissenschaftlichkeit" wirklich um einen Mongolenzug der russischen
Revolution? Wenn er dereinst käme, würden unsre fleißigen und intelligenten
Arbeiter in ihrer großen Mehrzahl am Ende doch finden, daß die „ostelbischen
Junker" ihnen sehr viel näher stehn als die „russischen Brüder," und sie würden
sich wahrscheinlich der Führung jeuer Junker ebenso gern anvertrauen wie einst
ihre Väter und Großväter, um sich dieser „russischen Brüder" zu entledigen. Die
Sache der deutschen Arbeiterschaft ist nicht die der russischen Revolutionäre, sondern
ist Deutschland, ist die heimatliche Henne, die ihnen die goldnen Eier reichlicher
und reichlich bezahlter Arbeit, eines fortgesetzt steigenden Wohlstandes legt. Wer etwas
andres treibt und predigt, begeht bewußterweise Reichs- und Landesverrat. Die
am 19. März 1848 infolge des unverantwortlichen Abzugs der Truppen „sieg¬
reichen" Berliner haben sich bekanntlich in den nächsten Tagen unsterblich lächerlich
gemacht durch die Furcht: „der Prinz von Preußen kommt mit den Russen!" Liegt
die Sache heute anders, wenn die Organe der „siegreichen" Dreimillionenpartei in
den Ruf ausbrechen: August Bebel kommt mit den Russen! Oder gar Herr Singer!
Es wäre vielleicht recht nützlich angelegtes Geld, dieses Bild auszumalen und in
Hunderttausenden von Exemplaren durch Deutschland zu verbreiten!
Das Band, das die Leitung der dentschen Sozialdemokratie mit der der rus¬
sischen verbindet, ist viel weniger die Gleichartigkeit der Ideen als vielmehr ein
gewisses Judentum, präziser gesprochen: nicht Bebel sondern — Singer! Bebel
ist der pathetische, polternde und dabei posierende Fanatiker, der mehr und mehr
in die Rolle des Parteipatriarchen hineinwächst; Singer der pfadfindende, kalt be¬
rechnende Verschwörer, der die unterirdischen Minengänge überall zu legen und recht¬
zeitig zu entzünden weiß. Bebel kämpft den „Emanzipntionskampf" des vierten
Standes, so wie er ihn versteht, Singer kämpft den Emanzipationskampf des Juden-
tums. Ihm, dem Millionär, sind die Arbeitermassen, die ihm „seine" Schlachten aus¬
fechten müssen, nur Kanonenfutter in des Wortes, verwegenster Bedeutung, das den
Staat und die Gesellschaft zertrümmern soll die das Judentum nicht als ebenbürtig
anerkennen und sich von ihm nicht beherrschen lassen wollen. Das Judentum ist das
Rückgrat der russischen revolutionären Bewegung geworden, es hat mit deutscher
sozialdenwkratischer Hilfe und nach deutschem sozialdemokratischen Vorbilde die Re-
volutionsarmee geschaffen, die von der deutschen Grenze bis zur Ostgrenze Sibiriens
organisiert dasteht. Ohne die Judenschaft in Rußland wäre dieser gleichzeitige Ausbruch
in seinen ungeheuern Verzweigungen und seiner in der Geschichte aller Zeiten uner¬
hörten Ausdehnung gar nicht möglich gewesen. Solche revolutionären Zuckungen eines
mächtigen Staatskörpers vollzieh» sich aber nicht ohne Erschütterungen der schwersten
Art und nicht ohne Opfer. Wer die Pöbelmassen ruft und organisiert, muß damit
rechnen, daß sie sich auch gegen ihre Organisatoren wenden, und wer die Eisen¬
bahnen zum Stillstand bringt, muß es in den Kauf nehmen, daß er sich damit selbst
die Flucht abschneidet. Wie die Verhältnisse in Rußland nun einmal liegen, sind
die Judenverfolgungen der fast unvermeidliche Gegenschlag, die selbstverständliche
Folge der sozialdemokratischen Revolution. Denn in der Annahme, daß die revo¬
lutionären Massen gerade vor den jüdischen Geldschränken Halt machen würden,
irren die Organisatoren dieser Revolution in Rußland wie anderwärts. Die alte
Frau Rothschild konnte seinerzeit das Wort sprechen: „Es bleibt Friede, mein Sohn
gibt den Regierungen kein Geld zum Kriegführen." Die monarchischen Regierungen
haben sich damit bescheiden müssen, aber die revolutionären Massen, denen man
die Mißachtung jeder Autorität endlich beigebracht hat, wissen das Geld zu nehmen.
Und wenn man die Truppen unzuverlässig gemacht und kein Mittel gescheut hat,
sie ihrem Eide und ihrer Pflicht zu entfremden, darf man sich nicht wundern, wenn
sie auch bei Judenkrawallcn versagen und schließlich überhaupt nicht mehr wissen,
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