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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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H. <L. Andersen

der Liebe, nicht die Begeisterung für Kunst und Wissenschaft elektrisieren alle
Nerven so wie das Bewußtsein: Jetzt bin ich Student!"

Während der Schulzeit hatte er ernstlich nur für das eine arbeiten können:
das Examen zu bestehn; jetzt aber konnte er wieder für seinen Ruhm arbeiten,
und der Weg zum Ruhm war, Dichter zu werden, Dichter und nichts weiter.
Er war sich völlig klar über sein Ziel, und er hatte einen nie versagenden
Glauben an seinen göttlichen Beruf, deshalb mußte geschrieben werden, ge¬
schrieben werden mit vollem Dampf; er will "bis Ostern Dichter werden," hat
also große Eile. Aber so sicher wie er wegen seines Berufs war und seines
schließlichen Durchdringens, ebenso unsicher war er sich über sein Genre. Und
dann begann er mit der Parodie. Er schreibt seine "Fußreise," "Die Liebe
auf den: Nikolaiturm" wurde im königlichen Theater aufgeführt, und daneben
war er Lyriker Z ig. Heine. Er parodierte, was ihm eigentlich heilig war, er
verspottete seine eignen Gefühle -- alles war ihm gleichgiltig, wenn er nur
bemerkt wurde und einen Namen gewinnen konnte.

Er machte seine erste kleine Reise ins Ausland, jubelte über alles, was
er sah, über die Gebirge Norddeutschlands und die alten Städte mit den
gotischen Kirchtürmen und den Springbrunnen auf dem Marktplatz -- jetzt
konnte er ja anfangen, hinter die Straßenecke zu sehen, um die er in dem
Guckkasten seiner Kindheit nicht herumkommen konnte. Und schon jetzt be¬
wegte er sich überall, wohin er kam, natürlich und ohne Scheu unter den
Großen des Geistes; er fühlte, daß er zu ihnen gehörte, und mit einem ganz
minimalen Wortschatz wußte er sich in den fremden Sprachen verständlich zu
machen.

Damals, als Öhlenschläger als ganz junger und unbekannter Mensch eine
Unterhaltung darüber anhörte, wie tief die dünische Dichtkunst gesunken sei, und
plötzlich auf deu Tisch schlug und sagte: "Ja, sie ist gesunken, aber sie soll sich,
hol mich der Teufel, wieder erheben!" da nahm er einen Vorschuß auf seine
künftige Größe. Und Andersen tat jetzt eigentlich etwas ähnliches. Wohl hatte
er schon etwas vor sich gebracht und unzweifelhaftes Talent gezeigt, aber es
war doch, als ob sein unerschütterlicher Glaube an sich selbst ihm früh den
Mut verleihe, etwas von dem Kapital der Berühmtheit aufzunehmen, die er
noch nicht erworben hatte, und die Fähigkeit, sich selbst einzuführen, die in
Wirklichkeit auf dem Gefühl des eignen Wertes beruht, und die er schon
Sibonis Haushälterin gegenüber an den Tag gelegt hatte, die begleitete ihn
auf seine erste Reise ins Ausland wie auch später sein ganzes Leben lang.
Nicht so zu versteh", als ob er der Bittsteller gewesen wäre, der sich ans den
Hintertreppen den Großen zu nähern gesucht hätte, im Gegenteil, er ging immer
gerade darauf los, zur Haupttür hinein, und die Schildwache präsentierte das
Gewehr -- machte Horreur vor dem Genie!

Nach der Heimkehr veröffentlichte er seine "Schattenbilder," schrieb Opern¬
texte, teils um zu schreiben, teils um zu leben, und trat dann seine zweite
größere Reise ins Ausland an.

Die Frucht dieser Reise war der "Jmprovisator," dieses in so vieler Be¬
ziehung wunderbare Buch, das wie aus einem Gusse erscheint, und das ebenso-


H. <L. Andersen

der Liebe, nicht die Begeisterung für Kunst und Wissenschaft elektrisieren alle
Nerven so wie das Bewußtsein: Jetzt bin ich Student!"

Während der Schulzeit hatte er ernstlich nur für das eine arbeiten können:
das Examen zu bestehn; jetzt aber konnte er wieder für seinen Ruhm arbeiten,
und der Weg zum Ruhm war, Dichter zu werden, Dichter und nichts weiter.
Er war sich völlig klar über sein Ziel, und er hatte einen nie versagenden
Glauben an seinen göttlichen Beruf, deshalb mußte geschrieben werden, ge¬
schrieben werden mit vollem Dampf; er will „bis Ostern Dichter werden," hat
also große Eile. Aber so sicher wie er wegen seines Berufs war und seines
schließlichen Durchdringens, ebenso unsicher war er sich über sein Genre. Und
dann begann er mit der Parodie. Er schreibt seine „Fußreise," „Die Liebe
auf den: Nikolaiturm" wurde im königlichen Theater aufgeführt, und daneben
war er Lyriker Z ig. Heine. Er parodierte, was ihm eigentlich heilig war, er
verspottete seine eignen Gefühle — alles war ihm gleichgiltig, wenn er nur
bemerkt wurde und einen Namen gewinnen konnte.

Er machte seine erste kleine Reise ins Ausland, jubelte über alles, was
er sah, über die Gebirge Norddeutschlands und die alten Städte mit den
gotischen Kirchtürmen und den Springbrunnen auf dem Marktplatz — jetzt
konnte er ja anfangen, hinter die Straßenecke zu sehen, um die er in dem
Guckkasten seiner Kindheit nicht herumkommen konnte. Und schon jetzt be¬
wegte er sich überall, wohin er kam, natürlich und ohne Scheu unter den
Großen des Geistes; er fühlte, daß er zu ihnen gehörte, und mit einem ganz
minimalen Wortschatz wußte er sich in den fremden Sprachen verständlich zu
machen.

Damals, als Öhlenschläger als ganz junger und unbekannter Mensch eine
Unterhaltung darüber anhörte, wie tief die dünische Dichtkunst gesunken sei, und
plötzlich auf deu Tisch schlug und sagte: „Ja, sie ist gesunken, aber sie soll sich,
hol mich der Teufel, wieder erheben!" da nahm er einen Vorschuß auf seine
künftige Größe. Und Andersen tat jetzt eigentlich etwas ähnliches. Wohl hatte
er schon etwas vor sich gebracht und unzweifelhaftes Talent gezeigt, aber es
war doch, als ob sein unerschütterlicher Glaube an sich selbst ihm früh den
Mut verleihe, etwas von dem Kapital der Berühmtheit aufzunehmen, die er
noch nicht erworben hatte, und die Fähigkeit, sich selbst einzuführen, die in
Wirklichkeit auf dem Gefühl des eignen Wertes beruht, und die er schon
Sibonis Haushälterin gegenüber an den Tag gelegt hatte, die begleitete ihn
auf seine erste Reise ins Ausland wie auch später sein ganzes Leben lang.
Nicht so zu versteh«, als ob er der Bittsteller gewesen wäre, der sich ans den
Hintertreppen den Großen zu nähern gesucht hätte, im Gegenteil, er ging immer
gerade darauf los, zur Haupttür hinein, und die Schildwache präsentierte das
Gewehr — machte Horreur vor dem Genie!

Nach der Heimkehr veröffentlichte er seine „Schattenbilder," schrieb Opern¬
texte, teils um zu schreiben, teils um zu leben, und trat dann seine zweite
größere Reise ins Ausland an.

Die Frucht dieser Reise war der „Jmprovisator," dieses in so vieler Be¬
ziehung wunderbare Buch, das wie aus einem Gusse erscheint, und das ebenso-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/38>, abgerufen am 15.01.2025.