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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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H. (L. Andersen

Ein fröhliches sehnlicher, so wie es Ingemann und Rosenkilde vergönnt
gewesen war, ein sehnlicher, aus dem er spater tausenderlei erfreuliche Er¬
innerungen schöpfen konnte, sollte ihm nicht beschieden sein, weder in Slagelse
noch später in Helsingör. Er wurde freilich nicht vor das Schulgericht ge¬
fordert, so wie Baggesen, aber er litt darunter, daß er der ausgewachsne fremde
Vogel unter den Kameraden war, und litt unter jedem Vorwurf, jedem spöttischen
Wort, das er von dem freilich wohlmeinenden aber ein wenig rücksichtslosen
Rektor hören mußte. Er hatte keine Vorkenntnisse, nichts, worauf er fußen
konnte; was die andern Schüler von Hause her und durch den vorbereitenden
Unterricht wußten, das mußte er sich von Grund auf aneignen. Diese Schul¬
jahre waren Arbeitsjahre, strenge Arbeitsjahre; er litt keinen Hunger mehr,
aber für seine Energie hatte er beständig hinreichend Verwendung, nur uuter
andern Formen als bisher.

Lichtpunkte in seinem sehnlicher in Slagelse waren die Sonntagswan¬
derungen zu Ingemann nach Sorö, und ein Lichtpunkt, den er nie vergaß, war
eine Ferienreise nach Odense, das er nicht gesehen hatte, seit er an jenem
Sonntag als blinder Passagier nach Kopenhagen gefahren war. Großvater
war tot, und Großmutter auch, aber die Mutter lebte, und sie und der Sohn
waren gleich stolz, wenn die Leute in den kleinen Gassen die Fenster öffneten,
um Schusters Marie ihren Hans Christian zu sehen, der jetzt für des Königs
Geld studierte. Er kam zu allen Honoratioren der Stadt und wurde überall
mit Freundlichkeit aufgenommen, und eines Nachmittags "fuhr er im Boot mit
Guldbergs und des Bischofs Familien auf dem Wasser zwischen den Gurten" --
die Mutter weinte, weil er "geehrt wurde wie ein Grafenkind," sie selber duckte
sich demütig aber glückselig, und zum erstenmal jubelte es unbewußt in ihm:
"Von so viel Glück ließ ich mir nicht träumen, als ich noch das häßliche junge
Entlein war!" Seitdem hatte er das unzähligemal wiederholt; man hatte ihm,
dem gefeierten Gast, in zahlreichen Fürstenhäusern gehuldigt, zu denen sich die
Türen, wie in den Märchen, ihm immer von selber aufladen, er hat sich aber
wohl kaum jemals stolzer und glücklicher gefühlt als während jener Fahrt auf
der Odenser An "mit Guldbergs und des Bischofs Familien."

Der Lichtpunkte im sehnlicher waren freilich wenig, trübes Wetter war
das Alltägliche. "Fleißig sein!" hieß es beständig für ihn zur Zeit und zur
Unzeit; "vergiß nie, daß du des Königs Geld verzehrst, und schreibe um
Himmels willen keine Verse!" Keine Verse schreiben, wenn sie in ihm kribbeln
und krabbeln, um Form zu gewinnen, und wenn die Verse, das hatte er jetzt
eingesehen, der Weg zur Berühmtheit waren! Das war unmöglich, und das
Unmögliche konnte niemand von ihm verlangen; er schrieb denn auch Verse,
gute und schlechte bunt durcheinander, aber Student wurde er trotzdem, Student
in dem berühmten Anno 28, wo unter den Abiturienten des Jahres zwölf
große und zwölf kleine Poeten waren -- Schusters Marie ihr Hans Christian
sollte aber doch der berühmteste unter ihnen werden.

Was bedeutete es nicht für ihn, Student zu sein, die Fesseln abzuwerfen
und mit den Flügeln zu schlagen! Man empfindet einen Widerhall an dem
Jubel des Fuchsjahres, wenn er noch nach Jahren schreibt: "Nicht das Glück


H. (L. Andersen

Ein fröhliches sehnlicher, so wie es Ingemann und Rosenkilde vergönnt
gewesen war, ein sehnlicher, aus dem er spater tausenderlei erfreuliche Er¬
innerungen schöpfen konnte, sollte ihm nicht beschieden sein, weder in Slagelse
noch später in Helsingör. Er wurde freilich nicht vor das Schulgericht ge¬
fordert, so wie Baggesen, aber er litt darunter, daß er der ausgewachsne fremde
Vogel unter den Kameraden war, und litt unter jedem Vorwurf, jedem spöttischen
Wort, das er von dem freilich wohlmeinenden aber ein wenig rücksichtslosen
Rektor hören mußte. Er hatte keine Vorkenntnisse, nichts, worauf er fußen
konnte; was die andern Schüler von Hause her und durch den vorbereitenden
Unterricht wußten, das mußte er sich von Grund auf aneignen. Diese Schul¬
jahre waren Arbeitsjahre, strenge Arbeitsjahre; er litt keinen Hunger mehr,
aber für seine Energie hatte er beständig hinreichend Verwendung, nur uuter
andern Formen als bisher.

Lichtpunkte in seinem sehnlicher in Slagelse waren die Sonntagswan¬
derungen zu Ingemann nach Sorö, und ein Lichtpunkt, den er nie vergaß, war
eine Ferienreise nach Odense, das er nicht gesehen hatte, seit er an jenem
Sonntag als blinder Passagier nach Kopenhagen gefahren war. Großvater
war tot, und Großmutter auch, aber die Mutter lebte, und sie und der Sohn
waren gleich stolz, wenn die Leute in den kleinen Gassen die Fenster öffneten,
um Schusters Marie ihren Hans Christian zu sehen, der jetzt für des Königs
Geld studierte. Er kam zu allen Honoratioren der Stadt und wurde überall
mit Freundlichkeit aufgenommen, und eines Nachmittags „fuhr er im Boot mit
Guldbergs und des Bischofs Familien auf dem Wasser zwischen den Gurten" —
die Mutter weinte, weil er „geehrt wurde wie ein Grafenkind," sie selber duckte
sich demütig aber glückselig, und zum erstenmal jubelte es unbewußt in ihm:
„Von so viel Glück ließ ich mir nicht träumen, als ich noch das häßliche junge
Entlein war!" Seitdem hatte er das unzähligemal wiederholt; man hatte ihm,
dem gefeierten Gast, in zahlreichen Fürstenhäusern gehuldigt, zu denen sich die
Türen, wie in den Märchen, ihm immer von selber aufladen, er hat sich aber
wohl kaum jemals stolzer und glücklicher gefühlt als während jener Fahrt auf
der Odenser An „mit Guldbergs und des Bischofs Familien."

Der Lichtpunkte im sehnlicher waren freilich wenig, trübes Wetter war
das Alltägliche. „Fleißig sein!" hieß es beständig für ihn zur Zeit und zur
Unzeit; „vergiß nie, daß du des Königs Geld verzehrst, und schreibe um
Himmels willen keine Verse!" Keine Verse schreiben, wenn sie in ihm kribbeln
und krabbeln, um Form zu gewinnen, und wenn die Verse, das hatte er jetzt
eingesehen, der Weg zur Berühmtheit waren! Das war unmöglich, und das
Unmögliche konnte niemand von ihm verlangen; er schrieb denn auch Verse,
gute und schlechte bunt durcheinander, aber Student wurde er trotzdem, Student
in dem berühmten Anno 28, wo unter den Abiturienten des Jahres zwölf
große und zwölf kleine Poeten waren — Schusters Marie ihr Hans Christian
sollte aber doch der berühmteste unter ihnen werden.

Was bedeutete es nicht für ihn, Student zu sein, die Fesseln abzuwerfen
und mit den Flügeln zu schlagen! Man empfindet einen Widerhall an dem
Jubel des Fuchsjahres, wenn er noch nach Jahren schreibt: „Nicht das Glück


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[0037] H. (L. Andersen Ein fröhliches sehnlicher, so wie es Ingemann und Rosenkilde vergönnt gewesen war, ein sehnlicher, aus dem er spater tausenderlei erfreuliche Er¬ innerungen schöpfen konnte, sollte ihm nicht beschieden sein, weder in Slagelse noch später in Helsingör. Er wurde freilich nicht vor das Schulgericht ge¬ fordert, so wie Baggesen, aber er litt darunter, daß er der ausgewachsne fremde Vogel unter den Kameraden war, und litt unter jedem Vorwurf, jedem spöttischen Wort, das er von dem freilich wohlmeinenden aber ein wenig rücksichtslosen Rektor hören mußte. Er hatte keine Vorkenntnisse, nichts, worauf er fußen konnte; was die andern Schüler von Hause her und durch den vorbereitenden Unterricht wußten, das mußte er sich von Grund auf aneignen. Diese Schul¬ jahre waren Arbeitsjahre, strenge Arbeitsjahre; er litt keinen Hunger mehr, aber für seine Energie hatte er beständig hinreichend Verwendung, nur uuter andern Formen als bisher. Lichtpunkte in seinem sehnlicher in Slagelse waren die Sonntagswan¬ derungen zu Ingemann nach Sorö, und ein Lichtpunkt, den er nie vergaß, war eine Ferienreise nach Odense, das er nicht gesehen hatte, seit er an jenem Sonntag als blinder Passagier nach Kopenhagen gefahren war. Großvater war tot, und Großmutter auch, aber die Mutter lebte, und sie und der Sohn waren gleich stolz, wenn die Leute in den kleinen Gassen die Fenster öffneten, um Schusters Marie ihren Hans Christian zu sehen, der jetzt für des Königs Geld studierte. Er kam zu allen Honoratioren der Stadt und wurde überall mit Freundlichkeit aufgenommen, und eines Nachmittags „fuhr er im Boot mit Guldbergs und des Bischofs Familien auf dem Wasser zwischen den Gurten" — die Mutter weinte, weil er „geehrt wurde wie ein Grafenkind," sie selber duckte sich demütig aber glückselig, und zum erstenmal jubelte es unbewußt in ihm: „Von so viel Glück ließ ich mir nicht träumen, als ich noch das häßliche junge Entlein war!" Seitdem hatte er das unzähligemal wiederholt; man hatte ihm, dem gefeierten Gast, in zahlreichen Fürstenhäusern gehuldigt, zu denen sich die Türen, wie in den Märchen, ihm immer von selber aufladen, er hat sich aber wohl kaum jemals stolzer und glücklicher gefühlt als während jener Fahrt auf der Odenser An „mit Guldbergs und des Bischofs Familien." Der Lichtpunkte im sehnlicher waren freilich wenig, trübes Wetter war das Alltägliche. „Fleißig sein!" hieß es beständig für ihn zur Zeit und zur Unzeit; „vergiß nie, daß du des Königs Geld verzehrst, und schreibe um Himmels willen keine Verse!" Keine Verse schreiben, wenn sie in ihm kribbeln und krabbeln, um Form zu gewinnen, und wenn die Verse, das hatte er jetzt eingesehen, der Weg zur Berühmtheit waren! Das war unmöglich, und das Unmögliche konnte niemand von ihm verlangen; er schrieb denn auch Verse, gute und schlechte bunt durcheinander, aber Student wurde er trotzdem, Student in dem berühmten Anno 28, wo unter den Abiturienten des Jahres zwölf große und zwölf kleine Poeten waren — Schusters Marie ihr Hans Christian sollte aber doch der berühmteste unter ihnen werden. Was bedeutete es nicht für ihn, Student zu sein, die Fesseln abzuwerfen und mit den Flügeln zu schlagen! Man empfindet einen Widerhall an dem Jubel des Fuchsjahres, wenn er noch nach Jahren schreibt: „Nicht das Glück

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/37>, abgerufen am 15.01.2025.