Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Die Tage von Lhampigny und villiers Ausbruch des Kriegs Ansetzn und Vertrauen in erschreckender Weise eingebüßt. Der Popanz, vor dem man sich am kaiserlichen Hofe gefürchtet, und der Die Tage von Lhampigny und villiers Ausbruch des Kriegs Ansetzn und Vertrauen in erschreckender Weise eingebüßt. Der Popanz, vor dem man sich am kaiserlichen Hofe gefürchtet, und der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0377" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296388"/> <fw type="header" place="top"> Die Tage von Lhampigny und villiers</fw><lb/> <p xml:id="ID_2165" prev="#ID_2164"> Ausbruch des Kriegs Ansetzn und Vertrauen in erschreckender Weise eingebüßt.<lb/> Leute, die wir, wenn sie bei ihrem Berufe geblieben wären, als brauchbare<lb/> und begabte Menschen schätzen würden, waren dadurch, daß sie sich auf ihnen<lb/> völlig fremden Gebieten, dem diplomatischen, dem innerpolitischen und dem<lb/> militärischen, zu Autoritäten aufgeworfen hatten, gefährliche Abenteurer ge¬<lb/> worden, die alles besser zu wissen und zu jedem Amt, zu jedem Geschäft, zu<lb/> jeder Ratserteilung geschickt zu sein glaubten. Wären die Vorgänge, die den<lb/> Krieg einleiteten, nicht so ernst und in ihren Folgen so gewaltig gewesen, würde<lb/> man einer Posse beizuwohnen geglaubt haben, bei der die Freiheitshelden und<lb/> die Advokaten das große Maul hatten, der Kaiser aber, die Regentin und<lb/> deren Umgebung eine wenig beneidenswerte Rolle spielten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2166" next="#ID_2167"> Der Popanz, vor dem man sich am kaiserlichen Hofe gefürchtet, und der<lb/> den Regentschaftsrat wie den sich bei der Armee als fünftes Rad am Wagen<lb/> fühlenden Kaiser zu den unglaublichsten Entschlüssen und Maßnahmen verleitet<lb/> hatte, die Furcht vor einer von unermüdlichen Demagogen zum Schreckbild<lb/> für alles, was Ordnung und Herkommen hieß, gemachten öffentlichen Meinung,<lb/> die so, wie sie dargestellt wurde, gar nicht bestand, sondern der Umgebung<lb/> des Kaisers nur geflissentlich vorgespiegelt wurde, hatte auch nach dem Falle<lb/> des Kaiserreichs, als sogenannte Patrioten den Karren aus dem Sumpf, in<lb/> den er bis über die Achsen versunken war, ziehn zu können glaubten, bei der<lb/> Taufe des Gouvernement de la Däfense Pate gestanden. Die Überzeugung,<lb/> daß man der Menge durch Phrasen und entweder völlig unwahre oder doch<lb/> gewissenlos aufgebauschte Glücks- und Siegesposten Sand in die Augen streuen<lb/> müsse, war den durch den 4. September ans Ruder gekommnen, selbstgeheuerten<lb/> Steuerleuten so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, daß man nie über<lb/> die mögliche Entbehrlichkeit dieses Notbehelfs, sondern immer nur über die<lb/> rechte Art, sich dessen in jedem einzelnen Falle zu bedienen, verhandeln zu<lb/> müssen glaubte. Nicht die Rücksicht auf den Gegner, nicht die Frage, wie<lb/> man es anfangen müsse, den Prussiens beizukommen, war die zunächst ma߬<lb/> gebende Erwägung, sondern bei den fast täglich in später Nachtstunde abge-<lb/> haltnen Sitzungen, deren Einzelheiten uns in bestürzender Ausführlichkeit er¬<lb/> halten sind, kam es immer wieder darauf an, was Europa, was Frankreich,<lb/> Mas die Nationalgarde, was die Maires, was Blanqui, Delescluze, Pyat,<lb/> Römers zu einer Maßnahme, die wie staatserhaltende Energie aussah, sagen<lb/> würden, und wenn die Vogelscheuche des demagogischen Hottigs nicht genügte, die<lb/> weniger eingeschüchterten Regierungsmitglieder in der von Dorian, Garnier-<lb/> Pages, Rochefort oder Arago gewünschten Weise zu beeinflussen, so konnte man<lb/> allemal noch seine Zuflucht zu dem drohenden Gespenst der Bataillone von<lb/> Belleville und der Tibaldischen Tirailleure nehmen: mit etwas geringerm als<lb/> Plünderung und der „Kommune" war diesen Herren prinzipiell nicht gedient.<lb/> Trochu und die drei Jules (Ferry, Favre und Simon), deren ehrlicher Taufname<lb/> inmitten einer so schweren Zeit und zum Dank für ihre patriotischen Bemühungen<lb/> von der Pariser Bevölkerung für ewige Zeiten einem Geschirr beigelegt wurde,<lb/> das mit einem Henkel versehen und zwar nützlich, aber nicht salonfähig ist, stießen<lb/> bei jedem männlichen Anlauf, den sie nahmen, um dem immer von neuem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0377]
Die Tage von Lhampigny und villiers
Ausbruch des Kriegs Ansetzn und Vertrauen in erschreckender Weise eingebüßt.
Leute, die wir, wenn sie bei ihrem Berufe geblieben wären, als brauchbare
und begabte Menschen schätzen würden, waren dadurch, daß sie sich auf ihnen
völlig fremden Gebieten, dem diplomatischen, dem innerpolitischen und dem
militärischen, zu Autoritäten aufgeworfen hatten, gefährliche Abenteurer ge¬
worden, die alles besser zu wissen und zu jedem Amt, zu jedem Geschäft, zu
jeder Ratserteilung geschickt zu sein glaubten. Wären die Vorgänge, die den
Krieg einleiteten, nicht so ernst und in ihren Folgen so gewaltig gewesen, würde
man einer Posse beizuwohnen geglaubt haben, bei der die Freiheitshelden und
die Advokaten das große Maul hatten, der Kaiser aber, die Regentin und
deren Umgebung eine wenig beneidenswerte Rolle spielten.
Der Popanz, vor dem man sich am kaiserlichen Hofe gefürchtet, und der
den Regentschaftsrat wie den sich bei der Armee als fünftes Rad am Wagen
fühlenden Kaiser zu den unglaublichsten Entschlüssen und Maßnahmen verleitet
hatte, die Furcht vor einer von unermüdlichen Demagogen zum Schreckbild
für alles, was Ordnung und Herkommen hieß, gemachten öffentlichen Meinung,
die so, wie sie dargestellt wurde, gar nicht bestand, sondern der Umgebung
des Kaisers nur geflissentlich vorgespiegelt wurde, hatte auch nach dem Falle
des Kaiserreichs, als sogenannte Patrioten den Karren aus dem Sumpf, in
den er bis über die Achsen versunken war, ziehn zu können glaubten, bei der
Taufe des Gouvernement de la Däfense Pate gestanden. Die Überzeugung,
daß man der Menge durch Phrasen und entweder völlig unwahre oder doch
gewissenlos aufgebauschte Glücks- und Siegesposten Sand in die Augen streuen
müsse, war den durch den 4. September ans Ruder gekommnen, selbstgeheuerten
Steuerleuten so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, daß man nie über
die mögliche Entbehrlichkeit dieses Notbehelfs, sondern immer nur über die
rechte Art, sich dessen in jedem einzelnen Falle zu bedienen, verhandeln zu
müssen glaubte. Nicht die Rücksicht auf den Gegner, nicht die Frage, wie
man es anfangen müsse, den Prussiens beizukommen, war die zunächst ma߬
gebende Erwägung, sondern bei den fast täglich in später Nachtstunde abge-
haltnen Sitzungen, deren Einzelheiten uns in bestürzender Ausführlichkeit er¬
halten sind, kam es immer wieder darauf an, was Europa, was Frankreich,
Mas die Nationalgarde, was die Maires, was Blanqui, Delescluze, Pyat,
Römers zu einer Maßnahme, die wie staatserhaltende Energie aussah, sagen
würden, und wenn die Vogelscheuche des demagogischen Hottigs nicht genügte, die
weniger eingeschüchterten Regierungsmitglieder in der von Dorian, Garnier-
Pages, Rochefort oder Arago gewünschten Weise zu beeinflussen, so konnte man
allemal noch seine Zuflucht zu dem drohenden Gespenst der Bataillone von
Belleville und der Tibaldischen Tirailleure nehmen: mit etwas geringerm als
Plünderung und der „Kommune" war diesen Herren prinzipiell nicht gedient.
Trochu und die drei Jules (Ferry, Favre und Simon), deren ehrlicher Taufname
inmitten einer so schweren Zeit und zum Dank für ihre patriotischen Bemühungen
von der Pariser Bevölkerung für ewige Zeiten einem Geschirr beigelegt wurde,
das mit einem Henkel versehen und zwar nützlich, aber nicht salonfähig ist, stießen
bei jedem männlichen Anlauf, den sie nahmen, um dem immer von neuem
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